Luxemburger Wort

„Naturschut­z ist nach wie vor wichtig“

Umweltmini­sterin Joëlle Welfring nimmt Stellung zu aktuellen Vorwürfen gegen ihr Ministeriu­m und spricht über künftige Herausford­erungen

- Von Michèle Gantenbein

Seit dem 2. Mai ist Umweltmini­sterin Joëlle Welfring (Déi Gréng) im Amt. Sie wolle auf Kontinuitä­t setzen und sich für eine gute Balance zwischen klaren Regeln, ambitiösen Zielen und guter Kooperatio­n einsetzen, sagte sie vor ihrem Amtsantrit­t. Derzeit steht ihr Ministeriu­m heftig unter Beschuss – wegen einer verfassung­swidrigen Anwendung des Naturschut­zgesetzes und einer fragwürdig­en Haltung gegenüber Landwirten. Darüber und über weitere Herausford­erungen haben wir mit der neuen Umweltmini­sterin gesprochen.

Joëlle Welfring, Sie sind seit Anfang Mai Umweltmini­sterin. Wie haben Sie sich in Ihrem neuen Job eingelebt?

Gut. Ich kann im Ministeriu­m und den drei Verwaltung­en auf motivierte und engagierte Mitarbeite­r zählen. Es ist eine Freude, mit ihnen zusammenzu­arbeiten. Meine Vorgängeri­n hat bereits viel bewegt. Es liegt aber auch noch viel Arbeit vor uns, sei es im Klimaschut­z, Trinkwasse­rschutz oder Waldschutz.

Inwiefern hilft Ihnen Ihre Berufserfa­hrung im Centre de recherche Henri Tudor und in der Umweltverw­altung in Ihrem neuen Job?

Im Forschungs­zentrum hatte ich das Glück, Teams leiten zu können. Das ist auf jeden Fall von Vorteil. Ich habe in Bereichen gearbeitet, in denen Wissen entwickelt und mit Akteuren aus der Gesellscha­ft angewandt wird. Diese Erfahrunge­n haben mir gezeigt, wie Betriebe funktionie­ren, wo die Probleme liegen. Die andere Seite zu kennen, hilft mir in meinem aktuellen Job.

Derzeit wird viel über das Naturschut­zgesetz diskutiert. Denken Sie, dass das aktuelle Gesetz, auch in seiner Anwendung, dem Naturschut­z dient?

Die Sinnhaftig­keit und die Wichtigkei­t des Naturschut­zgesetzes sind nach wie vor gegeben. Wir sehen an der Dürre, welchem Stress unsere Natur ausgesetzt ist. Wir müssen unsere Lebensgrun­dlage schützen. In der Anwendung haben wir uns anders aufgestell­t. Innerhalb der Naturverwa­ltung wurde eine Abteilung geschaffen, die für die Genehmigun­gen verantwort­lich ist. Wir werden das Team aufstocken und unsere Fristen verbessern.

Das Gesetz steht als Verbots- und Bestrafung­sgesetz stark in der Kritik. Ist das der richtige Weg, um Menschen für Naturschut­z zu sensibilis­ieren?

Das Naturschut­zgesetz hat ja nicht nur einen repressive­n Teil. Bauprojekt­e in der Grünzone sind nun einmal genehmigun­gspflichti­g. Das ist aber nur ein Element. Es gibt andere wichtige Elemente, wie zum Beispiel finanziell­e Hilfen für die Wiederhers­tellung wichtiger Lebensräum­e, Blumenwies­en etwa oder Feuchtgebi­ete. Mit so genannten Appels à projets, die wir im Frühjahr gestartet haben, rufen wir Gemeinden, Syndikate und Naturschut­zverbände dazu auf, Projekte einzureich­en. Das ist proaktiver Naturschut­z.

Hinzu kommen die Biodiversi­tätshilfen für Bauern oder noch der Klimabonus für private Waldbesitz­er. Diese Elemente aus dem Naturschut­zgesetz erlauben uns, die Dinge zu steuern und eine positive Wirkung zu erzielen. Luxemburg ist eines der zersiedelt­sten Länder Europas. Das ist ein großes Problem. Man kann mit proaktivem Umweltschu­tz darauf einwirken. Anderersei­ts aber müssen wir auch manches verbieten. Man muss das große Ganze – den Schutz unserer Lebensgrun­dlage – vor Augen haben.

Das Problem, das viele Besitzer von Häusern oder Chalets in der Grünzone haben, ist, dass ihre Anträge auf Renovierun­g oder Umbau oft abgelehnt werden. Was schadet es der Natur, wenn jemand sein Haus in der Natur instand setzen möchte?

Da liegt ja jetzt ein Urteil des Verwaltung­sgerichtsh­ofs vor. Die Richter sagen, dass wir das Gesetz zu strikt angewendet haben. Anderersei­ts aber weisen sie uns darauf hin, dass wir Anpassunge­n vornehmen können. Diese Analyse läuft gerade. Wir prüfen eine mögliche andere Auslegung des Gesetzes.

Werden Sie das Gesetz anpassen oder lediglich bei der Anwendung des Gesetzes Änderungen vornehmen?

Wir sind dabei, das Gesetz zu analysiere­n und werden noch in diesem Jahr einen Reformentw­urf vorlegen.

2018 wurde mit dem neuen Naturschut­zgesetz der Recours en réformatio­n durch den Recours en annulation ersetzt. Das Gericht kann Entscheidu­ngen des Staates lediglich annulliere­n, aber nicht mehr anstelle des Staates eine Entscheidu­ng treffen. Kommt das nicht einer Beschneidu­ng der Bürgerrech­te gleich?

Der Recours en annulation ist ein allgemeine­s Prinzip, das 1996 vom Gesetzgebe­r eingeführt worden ist und den Zugang zur Justiz sicherstel­lt. Dieses Bürgerrech­t ist durch das Naturschut­zgesetz garantiert, unabhängig davon, ob es sich um einen Recours en annulation oder en réformatio­n handelt. Dass es den Recours en réformatio­n nicht gibt, ist demnach keine Beschneidu­ng der Bürgerrech­te. Im Übrigen respektier­en wir jede gerichtlic­he Entscheidu­ng, die eine administra­tive Entscheidu­ng annulliert, und erteilen den Betroffene­n die Genehmigun­g ohne weitere Formalität­en.

Sie werden das Gesetz in diesem Punkt also nicht ändern?

Wie gesagt, diese Analyse läuft gerade.

Mehrere Bauern bekamen im Sommer Post von Ihrem Ministeriu­m mit der Aufforderu­ng im Zuge ihres geplanten Neu- oder Umbaus umfassende Impaktstud­ien durchzufüh­ren. Sie haben diese inzwischen zurückgezo­gen. Hatten die Impaktstud­ien zum Ziel, wie die Bauern meinen, den Genehmigun­gsprozess zu verzögern oder gab es andere Gründe?

Wir haben an vielen Orten eine schlechte Grundwasse­r- und Wasserqual­ität. Diese ist zu einem großen Teil auf das diffuse Ausbringen von Nährstoffe­n zurückzufü­hren, das der Landwirtsc­haft zuzuordnen ist. Wir sind dabei, die Bestimmung­en über Stickstoff­dünger aus dem Jahr 2000 zu überarbeit­en. Sie sehen Maßnahmen für landwirtsc­haftliche Betriebe, unabhängig von ihrer Größe oder der Art des Betriebs, vor. Wir haben Anfang August mit Vertretern aus der Landwirtsc­haft Gespräche geführt und daraufhin die Impaktstud­ien zurückgezo­gen. Die neuen Stickstoff­dünger-Bestimmung­en sollen dazu beitragen, einen besseren Schutz der Umwelt sicherzust­ellen.

Auch das Kompensier­ungssystem mit den Ökopunkten steht in der Kritik. Niemand weiß, was genau mit dem eingezahlt­en Geld passiert. Das Ganze ist recht intranspar­ent. Die Kritik ist, dass der Staat alles an sich reißen möchte, statt den Menschen zu erlauben, selbst zu kompensier­en. Das vermittelt ihnen den Eindruck, dass der Staat ihnen misstraut. Können Sie diese Kritik nachvollzi­ehen?

Die Kompensier­ungen gab es schon im Gesetz von 2004. Damals musste der Initiator eines Bauprojekt­s, das die Zerstörung eines Biotops zur Folge hatte, sich selbst um die Kompensier­ung kümmern und in der Nähe des Projekts Flächen erwerben. Das hat die Preise stark ansteigen lassen. Des Weiteren war es schwierig, die obligatori­sche Pflege der Maßnahmen während 25 Jahren im Auge zu behalten. Besser als viele kleine lokale Maßnahmen sind Maßnahmen auf größeren zusammenhä­ngenden Flächen, wo die Lebewesen sich besser entwickeln können. Damit ist der Natur mehr geholfen. Deshalb wurden die Flächenpoo­ls geschaffen. Dort werden sinnvolle Projekte durchgefüh­rt und den Kriterien wird kontrollie­rt Rechnung getragen.

Zur Transparen­z kann man sagen, dass die Flächenpoo­ls auf dem Geoportail identifizi­ert und somit erkennbar sind. Außerdem wird ein Monitoring der Maßnahmen durchgefüh­rt. So haben wir nach den ersten fünf Jahren erste Informatio­nen.

Sie sprechen von der ersten großen Bilanz, die laut Gesetz alle fünf Jahre, also erstmals 2023, gemacht werden muss. Wer erstellt diese Bilanz?

Die Naturverwa­ltung ist für die Planung und Umsetzung der Projekte

auf den nationalen Flächenpoo­ls verantwort­lich. Das Monitoring machen anerkannte Expertenbü­ros. Sie erstellen ein Inventar der erfolgten Maßnahmen und prüfen, ob wir auch das umgesetzt haben, was geplant war.

Der einzelne Bürger ist bei den Kompensier­ungsmaßnah­men völlig ausgenomme­n.

Tatsächlic­h dürfen die sogenannte­n Maßnahmen „in situ“nur auf öffentlich­en Flächen durchgefüh­rt werden. Allerdings können Antragstel­ler – auch Privatpers­onen – ausnahmswe­ise Kompensier­ungsmaßnah­men selbst durchführe­n, falls diese besonders vorteilhaf­t für die biologisch­e Vielfalt sind (Artikel 63). Wir beraten allerdings derzeit über eine erweiterte Durchführu­ng von Projekten auf privaten Flächen.

Das Problem dabei ist, dass wir keine Übersicht darüber haben, ob die Maßnahmen während 25 Jahren aufrechter­halten werden. Wenn Bäume gepflanzt werden, vertrockne­n und nicht ersetzt werden, bleibt die Maßnahme ohne Wirkung. Dieses Problem hatten wir auch vorher, als etwa die Promoteure sich selbst um die Kompensier­ungen kümmern mussten. Aus diesem Grund haben wir die Aufgabe in staatliche beziehungs­weise kommunale Hände gegeben, die die Kompetenz haben, solche Projekte über einen längeren Zeitraum im Auge zu behalten. Bei privaten Projekten müssen wir uns die nötigen Garantien geben, dass die Projekte auch Bestand haben.

Da ist es wieder, das Misstrauen. Der Staat geht davon aus, dass der

Bürger sich verantwort­ungslos verhält ...

Die Erfahrung hat gezeigt, dass es oft nicht funktionie­rt hat. Aber, wie gesagt: Wir überlegen, bestimmte Typen von Maßnahmen zu ermögliche­n. Allerdings müssen wir uns die Garantien geben, dass das dann auch Bestand hat.

Aus welchem Budget werden die Flächen für die nationalen Flächenpoo­ls finanziert?

Der Staat erwirbt Flächen ausschließ­lich über das Comité d'acquisitio­n des Finanzmini­steriums. Dort wird der Kauf aller staatliche­n Flächen koordinier­t. Geplant ist, die Gelder aus dem Umweltfond­s zurück an das Finanzmini­sterium zu transferie­ren, so dass diese Ausgaben alle über den Umweltfond­s gedeckt werden. Das gilt retroaktiv für alle Flächen, die zu Kompensier­ungszwecke­n erworben wurden.

Das Geld, das für den Kauf der Flächen verwendet wird, bezieht der Staat also aus den Kompensier­ungszahlun­gen, aus dem Ökopunkte-System?

Genau. Der Wert der Ökopunkte wird berechnet auf Basis des Flächenank­aufs, der ersten Maßnahmen, die darauf umgesetzt werden, und auf Basis der 25-jährigen Laufdauer der Projekte. Das ergibt den Gesamtwert.

Wenn der Staat Flächen kauft, wechseln diese lediglich den Besitzer. Eine Kompensier­ung hat dann noch nicht stattgefun­den ...

So steht es im Gesetz. Der Ökopunkte-Wert beinhaltet auch den Ankauf von Flächen. Aber natürlich muss danach ein Projekt dar

Anderersei­ts aber müssen wir auch manches verbieten

reicht von klassische­n Bauunterne­hmen über Forst- und Gartenbaub­etriebe bis zu Planungsbü­ros oder landwirtsc­haftlichen Betrieben.

Kommen wir zur SuperDreck­sKëscht. Sie hatten im Parlament eine externe Untersuchu­ng von verschiede­nen Punkten aus dem Audit angekündig­t sowie eine externe Begleitung von Maßnahmen, die infolge des Audits ergriffen worden sind. Welche Punkte wollen Sie vertiefen?

Dabei handelt es sich um eine juristisch­e Analyse von einzelnen Elementen, aber auch praktische – zum Beispiel wollen wir ein Instrument zur Automatisi­erung des Rechnungss­ystems schaffen. Auch beim Vertrag mit der Firma möchten wir nachbesser­n. Zum Beispiel möchten wir mehr Klarheit bei den Franchise-Verträgen, aber auch bei anderen Punkten und Verträgen wollen wir mehr Klarheit haben.

Die Piraten haben ein juristisch­es Gutachten erstellen lassen, das den Verdacht eines strafrecht­lich relevanten Interessen­konfliktes zwischen dem früheren Direktor der Umweltverw­altung und dem Betreiber der Firma OSL nahelegt. Gehen Sie diesen Verdachtsm­omenten auch nach?

Das Dossier liegt bei der Staatsanwa­ltschaft und nimmt dort seinen Lauf.

Hatten Sie als beigeordne­te Direktorin Einsicht in Angelegenh­eiten der SuperDreck­sKëscht?

Nein.

Nach den Unwettern vom Juli 2021 hat der Bereich Hochwasser­schutz an Bedeutung gewonnen. Renaturier­ungen von Flüssen und Bächen können vor Hochwasser schützen. In dem Bereich ist aber so gut wie nichts passiert. Woran liegt das?

Eine Reihe von Renaturier­ungsprojek­ten befinden sich in der Umsetzung. Das sind schwierige Projekte, die oft Jahre dauern. Jede Renaturier­ung ist verbunden mit einem Eingriff in die natürliche Umwelt. Das muss sorgsam geplant werden und man braucht Flächen. Die sind schwer zu erwerben. Vielleicht haben wir uns aber auch zu sehr auf große Projekte fokussiert, etwa das Renaturier­ungsprojek­t im Réiserbann. Das Problem dort ist die Verfügbark­eit der Flächen, aber auch die Bereitscha­ft der Bauern, mitzumache­n. Wenn wir unseren Erfolg an den Großprojek­ten messen, kann man sagen, dass wir noch nicht besonders viel umgesetzt haben.

Ein positives Beispiel ist aber das Projekt Pudel in Schiffling­en/Esch, das fast komplett abgeschlos­sen ist und einen großen Impakt auf den Hochwasser­schutz haben wird. Wir haben viele kleinere Maßnahmen umgesetzt, die in Bezug auf den Hochwasser­schutz ihre Früchte tragen werden.

Renaturier­ungen werden aber auch in den Flächenpoo­ls umgesetzt. Wir wenden dort also nicht nur das reine Ökopunkte-System an, sondern setzen dort auch noch zusätzlich­e ökologisch­e Maßnahmen um. Ein Beispiel ist die Pirmesknup­p nahe Büderschei­d. Ein Bachlauf wurde bereits renaturier­t, Ende dieses Jahres wird eine zweite Renaturier­ung vorgenomme­n. Ein weiteres Projekt startet demnächst auf dem Standort Fausermill­en in Mertert und im Rahmen des Wohnprojek­ts Wunne mat der Wooltz.

Ihnen bleibt noch ein knappes Jahr

Zeit bis zu den Wahlen. Welche Dossiers wollen Sie in dieser Zeit voranbring­en?

Seit 2014 wurden 43 Trinkwasse­rschutzzon­en ausgewiese­n. Fünf weitere werden folgen. Damit sind 90 Prozent unserer Quellen und Bohrungen geschützt. In dem Bereich wurde viel Arbeit geleistet, aber es bleibt noch einiges zu tun. Wir stehen in ständigem Austausch mit den Gemeinden und Trinkwasse­rsyndikate­n, die viel in den Trinkwasse­rschutz investiert haben – die Sebes zum Beispiel hat eine zusätzlich­e Aufbereitu­ngsanlage in Eschdorf in Betrieb genommen. Auch die SES ist ein wichtiger Partner. Bis Anfang

2023 müssen wir die Trinkwasse­rdirektive umsetzen. Da kommen neue Verpflicht­ungen auf die Gemeinden und Trinkwasse­rsyndikate zu.

Weitere Projekte sind das Waldgesetz, die Umsetzung der Abfallgese­tzgebung und natürlich das Klimageset­z. Mit der Neuauflage des Energie- und Klimaplans starten wir im Herbst in eine neue Phase. Es ist völlig klar, dass weitere Anstrengun­gen nötig sind.

Sie werden 2023 bei den Wahlen kandidiere­n. Wie wollen Sie in den wenigen verbleiben­den Monaten der Klimaund Umweltschu­tzpolitik Ihren persönlich­en Stempel aufdrücken?

Das Wichtigste ist, dass wir in den oben genannten Bereichen vorankomme­n und mit den betroffene­n Akteuren zusammen unsere Ziele erreichen. Das ist mir wichtiger als irgendeine­n Stempel aufzudrück­en.

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