„Naturschutz ist nach wie vor wichtig“
Umweltministerin Joëlle Welfring nimmt Stellung zu aktuellen Vorwürfen gegen ihr Ministerium und spricht über künftige Herausforderungen
Seit dem 2. Mai ist Umweltministerin Joëlle Welfring (Déi Gréng) im Amt. Sie wolle auf Kontinuität setzen und sich für eine gute Balance zwischen klaren Regeln, ambitiösen Zielen und guter Kooperation einsetzen, sagte sie vor ihrem Amtsantritt. Derzeit steht ihr Ministerium heftig unter Beschuss – wegen einer verfassungswidrigen Anwendung des Naturschutzgesetzes und einer fragwürdigen Haltung gegenüber Landwirten. Darüber und über weitere Herausforderungen haben wir mit der neuen Umweltministerin gesprochen.
Joëlle Welfring, Sie sind seit Anfang Mai Umweltministerin. Wie haben Sie sich in Ihrem neuen Job eingelebt?
Gut. Ich kann im Ministerium und den drei Verwaltungen auf motivierte und engagierte Mitarbeiter zählen. Es ist eine Freude, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Meine Vorgängerin hat bereits viel bewegt. Es liegt aber auch noch viel Arbeit vor uns, sei es im Klimaschutz, Trinkwasserschutz oder Waldschutz.
Inwiefern hilft Ihnen Ihre Berufserfahrung im Centre de recherche Henri Tudor und in der Umweltverwaltung in Ihrem neuen Job?
Im Forschungszentrum hatte ich das Glück, Teams leiten zu können. Das ist auf jeden Fall von Vorteil. Ich habe in Bereichen gearbeitet, in denen Wissen entwickelt und mit Akteuren aus der Gesellschaft angewandt wird. Diese Erfahrungen haben mir gezeigt, wie Betriebe funktionieren, wo die Probleme liegen. Die andere Seite zu kennen, hilft mir in meinem aktuellen Job.
Derzeit wird viel über das Naturschutzgesetz diskutiert. Denken Sie, dass das aktuelle Gesetz, auch in seiner Anwendung, dem Naturschutz dient?
Die Sinnhaftigkeit und die Wichtigkeit des Naturschutzgesetzes sind nach wie vor gegeben. Wir sehen an der Dürre, welchem Stress unsere Natur ausgesetzt ist. Wir müssen unsere Lebensgrundlage schützen. In der Anwendung haben wir uns anders aufgestellt. Innerhalb der Naturverwaltung wurde eine Abteilung geschaffen, die für die Genehmigungen verantwortlich ist. Wir werden das Team aufstocken und unsere Fristen verbessern.
Das Gesetz steht als Verbots- und Bestrafungsgesetz stark in der Kritik. Ist das der richtige Weg, um Menschen für Naturschutz zu sensibilisieren?
Das Naturschutzgesetz hat ja nicht nur einen repressiven Teil. Bauprojekte in der Grünzone sind nun einmal genehmigungspflichtig. Das ist aber nur ein Element. Es gibt andere wichtige Elemente, wie zum Beispiel finanzielle Hilfen für die Wiederherstellung wichtiger Lebensräume, Blumenwiesen etwa oder Feuchtgebiete. Mit so genannten Appels à projets, die wir im Frühjahr gestartet haben, rufen wir Gemeinden, Syndikate und Naturschutzverbände dazu auf, Projekte einzureichen. Das ist proaktiver Naturschutz.
Hinzu kommen die Biodiversitätshilfen für Bauern oder noch der Klimabonus für private Waldbesitzer. Diese Elemente aus dem Naturschutzgesetz erlauben uns, die Dinge zu steuern und eine positive Wirkung zu erzielen. Luxemburg ist eines der zersiedeltsten Länder Europas. Das ist ein großes Problem. Man kann mit proaktivem Umweltschutz darauf einwirken. Andererseits aber müssen wir auch manches verbieten. Man muss das große Ganze – den Schutz unserer Lebensgrundlage – vor Augen haben.
Das Problem, das viele Besitzer von Häusern oder Chalets in der Grünzone haben, ist, dass ihre Anträge auf Renovierung oder Umbau oft abgelehnt werden. Was schadet es der Natur, wenn jemand sein Haus in der Natur instand setzen möchte?
Da liegt ja jetzt ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vor. Die Richter sagen, dass wir das Gesetz zu strikt angewendet haben. Andererseits aber weisen sie uns darauf hin, dass wir Anpassungen vornehmen können. Diese Analyse läuft gerade. Wir prüfen eine mögliche andere Auslegung des Gesetzes.
Werden Sie das Gesetz anpassen oder lediglich bei der Anwendung des Gesetzes Änderungen vornehmen?
Wir sind dabei, das Gesetz zu analysieren und werden noch in diesem Jahr einen Reformentwurf vorlegen.
2018 wurde mit dem neuen Naturschutzgesetz der Recours en réformation durch den Recours en annulation ersetzt. Das Gericht kann Entscheidungen des Staates lediglich annullieren, aber nicht mehr anstelle des Staates eine Entscheidung treffen. Kommt das nicht einer Beschneidung der Bürgerrechte gleich?
Der Recours en annulation ist ein allgemeines Prinzip, das 1996 vom Gesetzgeber eingeführt worden ist und den Zugang zur Justiz sicherstellt. Dieses Bürgerrecht ist durch das Naturschutzgesetz garantiert, unabhängig davon, ob es sich um einen Recours en annulation oder en réformation handelt. Dass es den Recours en réformation nicht gibt, ist demnach keine Beschneidung der Bürgerrechte. Im Übrigen respektieren wir jede gerichtliche Entscheidung, die eine administrative Entscheidung annulliert, und erteilen den Betroffenen die Genehmigung ohne weitere Formalitäten.
Sie werden das Gesetz in diesem Punkt also nicht ändern?
Wie gesagt, diese Analyse läuft gerade.
Mehrere Bauern bekamen im Sommer Post von Ihrem Ministerium mit der Aufforderung im Zuge ihres geplanten Neu- oder Umbaus umfassende Impaktstudien durchzuführen. Sie haben diese inzwischen zurückgezogen. Hatten die Impaktstudien zum Ziel, wie die Bauern meinen, den Genehmigungsprozess zu verzögern oder gab es andere Gründe?
Wir haben an vielen Orten eine schlechte Grundwasser- und Wasserqualität. Diese ist zu einem großen Teil auf das diffuse Ausbringen von Nährstoffen zurückzuführen, das der Landwirtschaft zuzuordnen ist. Wir sind dabei, die Bestimmungen über Stickstoffdünger aus dem Jahr 2000 zu überarbeiten. Sie sehen Maßnahmen für landwirtschaftliche Betriebe, unabhängig von ihrer Größe oder der Art des Betriebs, vor. Wir haben Anfang August mit Vertretern aus der Landwirtschaft Gespräche geführt und daraufhin die Impaktstudien zurückgezogen. Die neuen Stickstoffdünger-Bestimmungen sollen dazu beitragen, einen besseren Schutz der Umwelt sicherzustellen.
Auch das Kompensierungssystem mit den Ökopunkten steht in der Kritik. Niemand weiß, was genau mit dem eingezahlten Geld passiert. Das Ganze ist recht intransparent. Die Kritik ist, dass der Staat alles an sich reißen möchte, statt den Menschen zu erlauben, selbst zu kompensieren. Das vermittelt ihnen den Eindruck, dass der Staat ihnen misstraut. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Die Kompensierungen gab es schon im Gesetz von 2004. Damals musste der Initiator eines Bauprojekts, das die Zerstörung eines Biotops zur Folge hatte, sich selbst um die Kompensierung kümmern und in der Nähe des Projekts Flächen erwerben. Das hat die Preise stark ansteigen lassen. Des Weiteren war es schwierig, die obligatorische Pflege der Maßnahmen während 25 Jahren im Auge zu behalten. Besser als viele kleine lokale Maßnahmen sind Maßnahmen auf größeren zusammenhängenden Flächen, wo die Lebewesen sich besser entwickeln können. Damit ist der Natur mehr geholfen. Deshalb wurden die Flächenpools geschaffen. Dort werden sinnvolle Projekte durchgeführt und den Kriterien wird kontrolliert Rechnung getragen.
Zur Transparenz kann man sagen, dass die Flächenpools auf dem Geoportail identifiziert und somit erkennbar sind. Außerdem wird ein Monitoring der Maßnahmen durchgeführt. So haben wir nach den ersten fünf Jahren erste Informationen.
Sie sprechen von der ersten großen Bilanz, die laut Gesetz alle fünf Jahre, also erstmals 2023, gemacht werden muss. Wer erstellt diese Bilanz?
Die Naturverwaltung ist für die Planung und Umsetzung der Projekte
auf den nationalen Flächenpools verantwortlich. Das Monitoring machen anerkannte Expertenbüros. Sie erstellen ein Inventar der erfolgten Maßnahmen und prüfen, ob wir auch das umgesetzt haben, was geplant war.
Der einzelne Bürger ist bei den Kompensierungsmaßnahmen völlig ausgenommen.
Tatsächlich dürfen die sogenannten Maßnahmen „in situ“nur auf öffentlichen Flächen durchgeführt werden. Allerdings können Antragsteller – auch Privatpersonen – ausnahmsweise Kompensierungsmaßnahmen selbst durchführen, falls diese besonders vorteilhaft für die biologische Vielfalt sind (Artikel 63). Wir beraten allerdings derzeit über eine erweiterte Durchführung von Projekten auf privaten Flächen.
Das Problem dabei ist, dass wir keine Übersicht darüber haben, ob die Maßnahmen während 25 Jahren aufrechterhalten werden. Wenn Bäume gepflanzt werden, vertrocknen und nicht ersetzt werden, bleibt die Maßnahme ohne Wirkung. Dieses Problem hatten wir auch vorher, als etwa die Promoteure sich selbst um die Kompensierungen kümmern mussten. Aus diesem Grund haben wir die Aufgabe in staatliche beziehungsweise kommunale Hände gegeben, die die Kompetenz haben, solche Projekte über einen längeren Zeitraum im Auge zu behalten. Bei privaten Projekten müssen wir uns die nötigen Garantien geben, dass die Projekte auch Bestand haben.
Da ist es wieder, das Misstrauen. Der Staat geht davon aus, dass der
Bürger sich verantwortungslos verhält ...
Die Erfahrung hat gezeigt, dass es oft nicht funktioniert hat. Aber, wie gesagt: Wir überlegen, bestimmte Typen von Maßnahmen zu ermöglichen. Allerdings müssen wir uns die Garantien geben, dass das dann auch Bestand hat.
Aus welchem Budget werden die Flächen für die nationalen Flächenpools finanziert?
Der Staat erwirbt Flächen ausschließlich über das Comité d'acquisition des Finanzministeriums. Dort wird der Kauf aller staatlichen Flächen koordiniert. Geplant ist, die Gelder aus dem Umweltfonds zurück an das Finanzministerium zu transferieren, so dass diese Ausgaben alle über den Umweltfonds gedeckt werden. Das gilt retroaktiv für alle Flächen, die zu Kompensierungszwecken erworben wurden.
Das Geld, das für den Kauf der Flächen verwendet wird, bezieht der Staat also aus den Kompensierungszahlungen, aus dem Ökopunkte-System?
Genau. Der Wert der Ökopunkte wird berechnet auf Basis des Flächenankaufs, der ersten Maßnahmen, die darauf umgesetzt werden, und auf Basis der 25-jährigen Laufdauer der Projekte. Das ergibt den Gesamtwert.
Wenn der Staat Flächen kauft, wechseln diese lediglich den Besitzer. Eine Kompensierung hat dann noch nicht stattgefunden ...
So steht es im Gesetz. Der Ökopunkte-Wert beinhaltet auch den Ankauf von Flächen. Aber natürlich muss danach ein Projekt dar
Andererseits aber müssen wir auch manches verbieten
reicht von klassischen Bauunternehmen über Forst- und Gartenbaubetriebe bis zu Planungsbüros oder landwirtschaftlichen Betrieben.
Kommen wir zur SuperDrecksKëscht. Sie hatten im Parlament eine externe Untersuchung von verschiedenen Punkten aus dem Audit angekündigt sowie eine externe Begleitung von Maßnahmen, die infolge des Audits ergriffen worden sind. Welche Punkte wollen Sie vertiefen?
Dabei handelt es sich um eine juristische Analyse von einzelnen Elementen, aber auch praktische – zum Beispiel wollen wir ein Instrument zur Automatisierung des Rechnungssystems schaffen. Auch beim Vertrag mit der Firma möchten wir nachbessern. Zum Beispiel möchten wir mehr Klarheit bei den Franchise-Verträgen, aber auch bei anderen Punkten und Verträgen wollen wir mehr Klarheit haben.
Die Piraten haben ein juristisches Gutachten erstellen lassen, das den Verdacht eines strafrechtlich relevanten Interessenkonfliktes zwischen dem früheren Direktor der Umweltverwaltung und dem Betreiber der Firma OSL nahelegt. Gehen Sie diesen Verdachtsmomenten auch nach?
Das Dossier liegt bei der Staatsanwaltschaft und nimmt dort seinen Lauf.
Hatten Sie als beigeordnete Direktorin Einsicht in Angelegenheiten der SuperDrecksKëscht?
Nein.
Nach den Unwettern vom Juli 2021 hat der Bereich Hochwasserschutz an Bedeutung gewonnen. Renaturierungen von Flüssen und Bächen können vor Hochwasser schützen. In dem Bereich ist aber so gut wie nichts passiert. Woran liegt das?
Eine Reihe von Renaturierungsprojekten befinden sich in der Umsetzung. Das sind schwierige Projekte, die oft Jahre dauern. Jede Renaturierung ist verbunden mit einem Eingriff in die natürliche Umwelt. Das muss sorgsam geplant werden und man braucht Flächen. Die sind schwer zu erwerben. Vielleicht haben wir uns aber auch zu sehr auf große Projekte fokussiert, etwa das Renaturierungsprojekt im Réiserbann. Das Problem dort ist die Verfügbarkeit der Flächen, aber auch die Bereitschaft der Bauern, mitzumachen. Wenn wir unseren Erfolg an den Großprojekten messen, kann man sagen, dass wir noch nicht besonders viel umgesetzt haben.
Ein positives Beispiel ist aber das Projekt Pudel in Schifflingen/Esch, das fast komplett abgeschlossen ist und einen großen Impakt auf den Hochwasserschutz haben wird. Wir haben viele kleinere Maßnahmen umgesetzt, die in Bezug auf den Hochwasserschutz ihre Früchte tragen werden.
Renaturierungen werden aber auch in den Flächenpools umgesetzt. Wir wenden dort also nicht nur das reine Ökopunkte-System an, sondern setzen dort auch noch zusätzliche ökologische Maßnahmen um. Ein Beispiel ist die Pirmesknupp nahe Büderscheid. Ein Bachlauf wurde bereits renaturiert, Ende dieses Jahres wird eine zweite Renaturierung vorgenommen. Ein weiteres Projekt startet demnächst auf dem Standort Fausermillen in Mertert und im Rahmen des Wohnprojekts Wunne mat der Wooltz.
Ihnen bleibt noch ein knappes Jahr
Zeit bis zu den Wahlen. Welche Dossiers wollen Sie in dieser Zeit voranbringen?
Seit 2014 wurden 43 Trinkwasserschutzzonen ausgewiesen. Fünf weitere werden folgen. Damit sind 90 Prozent unserer Quellen und Bohrungen geschützt. In dem Bereich wurde viel Arbeit geleistet, aber es bleibt noch einiges zu tun. Wir stehen in ständigem Austausch mit den Gemeinden und Trinkwassersyndikaten, die viel in den Trinkwasserschutz investiert haben – die Sebes zum Beispiel hat eine zusätzliche Aufbereitungsanlage in Eschdorf in Betrieb genommen. Auch die SES ist ein wichtiger Partner. Bis Anfang
2023 müssen wir die Trinkwasserdirektive umsetzen. Da kommen neue Verpflichtungen auf die Gemeinden und Trinkwassersyndikate zu.
Weitere Projekte sind das Waldgesetz, die Umsetzung der Abfallgesetzgebung und natürlich das Klimagesetz. Mit der Neuauflage des Energie- und Klimaplans starten wir im Herbst in eine neue Phase. Es ist völlig klar, dass weitere Anstrengungen nötig sind.
Sie werden 2023 bei den Wahlen kandidieren. Wie wollen Sie in den wenigen verbleibenden Monaten der Klimaund Umweltschutzpolitik Ihren persönlichen Stempel aufdrücken?
Das Wichtigste ist, dass wir in den oben genannten Bereichen vorankommen und mit den betroffenen Akteuren zusammen unsere Ziele erreichen. Das ist mir wichtiger als irgendeinen Stempel aufzudrücken.