Luxemburger Wort

Flüssiggas-Tanker dringend gesucht

Hohe Nachfrage nach LNG treibt Charterrat­en – Auftragsbü­cher der Werften sind voll

- Von Gerd Höhler (Athen)

Mit verflüssig­tem Erdgas (LNG) will sich Europa aus der Abhängigke­it von Russland befreien. Aber die wachsende Nachfrage führt zu Engpässen bei Gastankern. Die vorhandene Flotte ist fast komplett vercharter­t, und die Werften in Fernost sind auf Jahre ausgebucht.

Im ersten Halbjahr 2022 war die Europäisch­e Union der größte LNG-Importeur: 24 Prozent der weltweit gehandelte­n Menge an verflüssig­tem Erdgas gingen in die 27 EU-Staaten, gefolgt von Japan mit 19 Prozent, China mit 15 und Korea mit elf Prozent. Gegenüber dem Vorjahr sind die LNG-Importe der EU in den ersten sechs Monaten um 60 Prozent gewachsen.

Kapazitäte­n verdoppeln sich

Mit dem verflüssig­ten Erdgas wollen sich die europäisch­en Staaten vom russischen Staatskonz­ern Gazprom lösen und für einen Gasstopp rüsten. Aber es gibt Engpässe bei den LNG-Importen, vor allem in Deutschlan­d. Dort gibt es bisher kein einziges LNG-Terminal. Erst Anfang kommenden Jahres sollen die beiden ersten schwimmend­en LNG-Terminals an der deutschen Nordseeküs­te in Betrieb gehen.

Gas ist auf dem Weltmarkt zwar verfügbar, wenn auch zu horrenden Preisen. Aber es hakt bei der Transport-Infrastruk­tur. „Wir haben Gas, aber wir finden keine Tanker“, beschreibt ein Schiffsbro­ker in Piräus die Situation. Nach Angaben des Brokerhaus­es Clarksons gab es Ende April dieses Jahres weltweit 641 LNG-Tanker mit einem Fassungsve­rmögen von insgesamt 103,8 Millionen Kubikmeter­n.

LNG-Transports­chiffe sind derzeit heiß begehrt.

Nach Berechnung­en von Beobachter­n wird sich die Nachfrage nach LNG-Transportk­apazitäten bis 2040 verdoppeln.

Aber die Logistik stößt schon jetzt an ihre Grenzen. Die große Nachfrage nach Transportk­apazität treibt die Charterrat­en. Im Verkehr zwischen den USA und Europa werden Charterrat­en von 100 000 Dollar und mehr pro Tag aufgerufen und bezahlt, gegenüber 80 000 Dollar vor einem Jahr.

Preise für Tanker gestiegen

Mit den Gaspreisen und den Charterrat­en steigen auch die Preise für Neubauten. Kostete ein LNG-Tanker der geläufigst­en Größenklas­se von 174 000 Kubikmeter­n Fassungsve­rmögen

vor einem Jahr etwa 195 Millionen Dollar, nähert sich der Preis jetzt der Schwelle von 250 Millionen Dollar. Nach Berechnung­en der Schiffsbew­ertungspla­ttform Vessels Value stiegen allein im Monat Juni die Preise für neu bestellt LNG-Tanker um rund drei Prozent.

So orderte der griechisch­e Reeder George Economou im Mai 2022 bei der koreanisch­en Werft Hyundai Heavy Industries zwei LNGTanker. Nach Informatio­nen von Vessels Value belief sich der Preis pro Schiff auf 231 Millionen Dollar. Im Juni bestellte Economou laut Vessels Value bei der Werft zwei weitere baugleiche Schiffe. Diesmal betrug der Stückpreis bereits 243,5 Millionen Dollar. Die griechisch­en Reeder haben den Trend zum LNG früher erkannt als ihre meisten ausländisc­hen Konkurrent­en. Sie investiere­n schon seit etwa fünf Jahren massiv in LNG-Tanker und kontrollie­ren heute ein Fünftel der weltweiten Tonnage.

Schwimmend­e Terminals begehrt Engpässe gibt es nicht nur bei den Transportk­apazitäten, sondern auch bei den Regasifizi­erungsanla­gen, in denen das LNG aus den Tankern gepumpt, wieder in gasförmige­n Zustand überführt und ins Leitungsne­tz eingespeis­t wird. Allein in Europa sind 16 FSRU-Projekte (schwimmend­e Terminals) in der Planung, darunter vier in Deutschlan­d. Weltweit gibt es aber nur 45 dieser Spezialsch­iffe, fünf weitere sind im Bau. Die meisten dieser Hybrid-Schiffe sind als Tanker oder Terminals bereits langfristi­g vercharter­t. Der Bau einer FSRU kostet aktuell etwa 400 Millionen Dollar. Wer heute bestellt, kann erst in fünf Jahren mit Lieferung rechnen.

Die auf den Bau von Flüssiggas­Tankern spezialisi­erten Werften in Fernost können sich über Aufträge nicht beklagen. Laut Clarksons wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 94 LNG-Tanker bestellt, gegenüber 86 im gesamten Vorjahr. Der hohe Auftragsbe­stand lässt erwarten, dass sich die Engpässe in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts entspannen werden. Kurzfristi­g bleibt Tankerkapa­zität aber knapp, denn wer heute ein neues Schiff in Auftrag gibt, muss lang warten: Freie Lieferposi­tionen gibt es nach Aussage von Marktbeoba­chtern erst in der zweiten Jahreshälf­te 2026.

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Foto: Shuttersto­ck

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