Lange Zeit vor Frodo und Co.
„Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“überzeugt nach den ersten Folgen
Das Serienereignis des Jahres, wenn nicht des Jahrzehnts, über alles darunter wäre man im Hause Amazon Prime Video vermutlich enttäuscht, nachdem die ersten Episoden der ersten Staffel von „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“an den Start gingen.
Messlatte wie Erwartungen liegen in diesem Fall aber auch besonders hoch. Nicht nur, weil aus dem Werk von J.R.R. Tolkien in es die „Hobbit“-Filme taten, sondern eine, die im Zweiten Zeitalter von Mittelerde spielt, also viele tausend Jahre vor den hinlänglich bekannten Ereignissen. Einer von Tolkien ausformulierten Handlung folgt die Serie dabei nun nicht – und basiert doch, so wie es die strenge Nachlass-Verwaltung des britischen Schriftstelllers vorsieht, ganz unmittelbar auf dessen Arbeit: als Basis der neuen Geschichte dient alles, was in den umfangreichen Anhängen zu finden ist, die Tolkien dem „Herr der Ringe“beifügte.
Gleich zu Beginn der ersten beiden Folgen begegnet man nun trotzdem einer bereits bekannten Protagonistin. Galadriel (Morfydd Clark), die in der Kinotrilogie eine uralte, weise Elbenführerin war, ist hier eine noch junge Kriegerin, fest davon überzeugt, dass Sauron, der mächtige Feind des Guten, noch längst nicht endgültig besiegt ist, wie alle anderen nach Jahrhunderten des Krieges zu glauben scheinen. Doch „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“erzählt nicht nur von Galadriels unermüdlicher Suche nach dem Bösen, sondern stellt auch andere Figuren in den Mittelpunkt: Halbelbe Elrond (Robert Aramayo) etwa, der eine Allianz mit den Zwergen in KhazadDûm anstrebt, den Bogenschützen und Silvan-Elben Arondir (Ismael Cruz Córdova), der heimliche Gefühle für die menschliche Heilerin und alleinerziehende Mutter Bronwyn (Nazanin Boniadi) hegt, oder das neugierige Harfuß-Mädchen Nori (Markella Kavenagh), das mitansieht, wie ein Fremder in einem flammenden Meteor aus dem Himmel stürzt. Sie alle spüren ganz deutlich, dass neue, gefährliche Zeiten bevorstehen.
So sehr Payne und McKay sich um eine eigenständige, neue Erzählung bemühen, so sehr suchen sie mit ihrer Serie trotzdem auch die Nähe zu der von Jackson etablierten Welt, sei es durch dessen Komponisten Howard Shore, der hier zumindest die Titelmusik geschrieben hat, oder auch im Look der Landschaften und Figuren. Nicht umsonst wurde die komplette erste Staffel genau wie die Filme in der sattgrünen Natur Neuseeland gedreht (anders als die zweite, die dieser Tage nahe London entsteht).
Lust auf mehr
Tatsächlich geht die Rezeptur zumindest für den Anfang erfreulich gut auf. Man fühlt sich, als würde man eine vertraute Welt betreten, an der es neue Seiten zu entdecken gibt. Die Pracht der Bilder ist beeindruckend (und wirkt längst nicht bloß wie eine ComputerKreation), das Pathos sowohl in den Dialogen als auch in der Musik allerdings auch beträchtlich. Immer wieder schwillt die Orchesteruntermalung an, und Platz für eine ominöse Weisheit über Gut und Böse oder gleitende Schiffe und sinkende Steine findet sich immer. Aufgefangen wird das durch viele Momente nahtlos integrierten Humors sowie eine Vielzahl von einnehmenden Figuren, für die man auch deswegen schnell Interesse entwickelt, weil sich die Serie Zeit lässt mit der Exposition, statt sofort mit Action überwältigen zu wollen. Dass es in der gesamten ersten Folge nur einen einzigen Kampf mit einem finsteren Fabelwesen gibt, mag manch ungeduldige Zuschauerinnen und Zuschauer irritieren, deutet aber den dringend nötigen langen Atem der Verantwortlichen an. Und Lust auf mehr macht „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“nach dem gelungenen Auftakt der ersten Episoden allemal.
Die ersten drei Folgen sind auf Prime Video abrufbar. Hier erscheint wöchentlich eine neue Episode.