„Ohne Heizung geht hier gar nichts“
Brauereien, Landwirte oder Bäckereien geraten europaweit zunehmend unter Druck
Die Energiekrise sorgt in Europas Wirtschaft für immer breiterer Verwerfungen, die weit über den Versorgersektor und energieintensive Branchen wie den Stahlsektor hinausgehen.
Beispiel Belgien: Hier läuft die Brauerei, die das Bier Delirium Tremens herstellt, erstmals in ihrer über hundertjährigen Geschichte Gefahr, die Produktion einstellen zu müssen. Deutsche Landwirte, die Tomaten anbauen, geraten ebenso unter Druck, Bäckereien in Schweden auch.
Die Brauerei Huyghe im belgischen Melle sieht sich einem 13-fachen Preisanstieg bei flüssigem Kohlendioxid gegenüber. Ihr Lieferant macht die Force-MajeurKlausel geltend, sodass Brauereichef Alain de Laet nach einem Plan B suchen muss, um an Kohlensäure für sein Bier zu kommen. „Vielleicht muss ich die Produktion stoppen“, so de Laet. Es wäre das erste Mal seit Gründung der Brauerei 1906.
Die Schwierigkeiten der belgischen Brauerei wurden durch eine Verkettung von Ungemach ausgelöst, die zeigt, wie sehr die europäische Wirtschaft von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägt ist. Angesichts des Gaskostenschocks, der auf die europäischen Sanktionen im Zuge von Russlands Invasion in der Ukraine folgte, hat der norwegische Düngemittelriese Yara International ASA die Ammoniakproduktion in einem Werk in den Niederlanden eingestellt. Das wiederum traf Huyghes Zulieferer Nippon Gases: Pro Tonne CO2 verlangt er nun 3 350 Euro, statt wie bisher 250 Euro.
„Gasproduktion nicht rentabel“„Derzeit ist die Gasproduktion in Europa nicht rentabel“, teilte Yara mit. Das Unternehmen beobachte die Lage und werde die Produktion anpassen. Nippon lehnte eine Stellungnahme unter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren ab.
„Vor ein paar Monaten funktionierte die Branche wie ein Schweizer Uhrwerk“, sagte Krishan Maudgal, Chef des Belgischen Brauerverbands. Inzwischen hätten die steigenden Gaspreise in der Wertschöpfungskette einen Dominoeffekt ausgelöst.
Ein Mangel an CO2 macht auch dem Bierkonzern Carlsberg A/S zu schaffen. Er hat angekündigt, seine Produktion in Polen womöglich „deutlich reduzieren“zu müssen und auch ein Komplettstopp ist nicht ausgeschlossen. Kohlensäure ist ein Nebenprodukt der
Ammoniakproduktion, die mit der Inflation des Ausgangsstoffs Erdgas unrentabel werden kann.
Für die Wittenberg Gemüse GmbH bedeutete die Unterbrechung der Ammoniakproduktion bei einem Geschäftspartner auch den Verlust der für den Betrieb ihrer Gewächshäuser benötigten Heizung und des Warmwassers.
Das sachsen-anhaltinische Unternehmen, das Tomaten, Erdbeeren und Paprika anbaut, ist sowohl bei der Wärmeversorgung als auch bei der CO2-Versorgung auf die SKW Piesteritz GmbH angewiesen. Deutschlands größter Hersteller von Ammoniak und Harnstoff hat wegen ausufernder Kosten letzte Woche seine Produktion eingestellt.
„Ohne Heizung geht hier gar nichts“, sagte Manager Kevin van IJperen. „Wir hatten noch Glück, denn in der letzten Woche waren die Temperaturen mild. Wäre dies später im Jahr passiert, hätten wir große Verluste gehabt.“
Dominoeffekt droht
Die SKW hat einen Anteil von rund 40 Prozent an der deutschen Produktion des Emissionssenkers AdBlue, ohne den moderne DieselFahrzeuge nicht fahren können. Wegen dieser Bedeutung für den Transportsektor hofft das Unternehmen auf Staatshilfen und hat angekündigt, mit dem mehrere Tage dauernden Prozess des Produktionsneustarts zu beginnen.
In Schweden warnt Pagen, eine der größten Bäckereien des Landes, wie andere Lebensmittelhersteller vor Risiken für die Lebensmittelversorgung durch steigende Energiekosten und drohende Stromausfällen.
Im Juni habe eine einsekündige Stromunterbrechung die Produktion vier Wochen lang gestört, gab
Pagen-Kommunikationschefin Berith Apelgren gegenüber lokalen Medien zu bedenken. Wiederkehrende Ausfälle wären „unfassbar“. Nach Angaben von Belgiens Premierminister
droht der europäischen Wirtschaft mit der Gaskrise ein „ausgewachsener“Dominoeffekt. Eingriffe in den Gasmarkt seien daher „das A und O“, sagte Alexander
de Croo. „Wenn man das richtig macht, sind viele andere Dinge eigentlich weniger wichtig, denn das ist das treibende Element.“Bloomberg
Wir hatten noch Glück, denn letzte Woche waren die Temperaturen mild. Später im Jahr hätten wir große Verluste gehabt. Kevin van IJperen, Manager der SKW Piesteritz GmbH