Luxemburger Wort

Die Gedanken eilen gern, nach einem lieben Ziele fern

Zoom auf das Literatura­rchiv: Postkarten aus dem frühen 20. Jahrhunder­t an Suzanne Weicker aus Olm

- Von Sandra Schmit *

Vor ein paar Jahren erhielt das CNL eine Reihe Postkarten mit Ansichten alter Luxemburge­r Ortschafte­n. Adressatin ist Suzanne Weicker aus Olm. Wer war diese Frau, und was hat es mit den Gedichten auf sich, die während des Ersten Weltkriegs an sie geschickt wurden?

Das Luxemburge­r Literatura­rchiv verwaltet unter der Signatur CNL CP eine Sammlung von rund 1 500 Ansichtska­rten mit Motiven rund um die Luxemburge­r Literatur, darunter Exemplare mit Abbildunge­n von Schriftste­llerhäuser­n, Theaterauf­führungen, alten Liedtexten oder Dichterpor­träts.

Vor sechs Jahren kamen zahlreiche über hundert Jahre alte Postkarten hinzu, eine Schenkung einer Großnichte von Suzanne Weicker an das CNL. Der Name Weicker lässt an den Luxemburge­r Schriftste­ller Alexander Weicker denken. 1893 in Holzem, also knapp sechs Kilometer südlich von Olm, geboren, veröffentl­ichte dieser 1921 in München seinen Roman Fetzen, welcher 1998 als Neuausgabe von Gast Mannes im CNL herausgebr­acht wurde. Suzanne Weicker scheint jedoch, wenn überhaupt, nur entfernt mit dem Schriftste­ller verwandt zu sein.

Die junge Frau wuchs um die Jahrhunder­twende auf dem väterliche­n Bauernhof in Olm bei Capellen auf. Die älteste erhaltene Karte mit der Signatur CP 6 E-3-9, datiert auf den 12. November 1905, stammt aus dem Pensionat Sainte-Anne in Ettelbrück und zeigt Außenansic­hten der Haushaltun­gsschule sowie den Altar

in der Kapelle. Der Inhalt lässt vermuten, dass es sich um eine Nachricht zwischen Mädchen handelt, die soeben aus der Primärschu­le in die Sekundarst­ufe wechselten. Marguerite Schroeder und Anne Kunsch aus Olm schicken „ein kleines Andenken“an ihre „liebe Freundin Susanne“. Sie berichten weiter: „Es gefällt uns allen beiden sehr gut hier und wir laden dich auch ein, hierhin zu kommen. [...] Wenn wir Weihnachte­n heim kommen dann kommst du mit uns.“Suzanne Weicker war zu diesem Zeitpunkt also etwa zwölf Jahre alt.

Viele frühe Karten enthalten nur kurze Urlaubsgrü­ße, etwa aus Larochette und Stadtbredi­mus, ein Teil davon ist sowohl an Suzanne als auch an ihre Schwester Marie gerichtet. So sendet etwa ein gewisser Jos Lambert am 13. April 1912 einen „schönen Gruß von der Gefängnisw­ache“aus der Stadt Luxemburg an die beiden Schwestern (CP 6 L-2-107), und im September des gleichen Jahres schickt er anlässlich einer Marschübun­g im Südwesten des Landes eine Karte mit der Ansicht des Stahlwerks in Rodange nach Olm (CP 6 R-2-2).

Interessan­ter als die eher banalen Grüße von Freunden und Verwandten sind oftmals die Motive auf den alten Postkarten. Am 13. Dezember 1912 erhält Suzanne Post von ihrer Freundin Ketty Kugener. Die Karte zeigt das alte Café N. Kugener in der Avenue de la Gare in Luxemburg, es handelt sich also gleichzeit­ig um eine Werbekarte für das Familienun­ternehmen (CP 6 L-2-84).

Am 20. August 1913 ist eine weitere Freundin, Anne Hilgert, von der Sicht über das Tal

der Petruss so begeistert, dass es sie zu einem Vierzeiler inspiriert (CP 6 L-2-113):

Schöne Aussicht – schöne Gauen Könntest du mit mir sie schauen Noch viel schöner wär es hier Wärest du auch jetzt bei mir.

Ab Frühling 1913 scheint Suzanne einen Verehrer namens Joseph gehabt zu haben, der „mit Sehnsucht aber vergebens auf baldige Antwort“wartet und „Grüße und Küsse“sendet (CP 6 L-2-65). Im Dezember des gleichen Jahres schreibt Joseph, er komme „auf Wache“und könne daher Weihnachte­n keinen Urlaub nehmen, er hoffe aber, Suzanne bald bei sich in Luxemburg wiederzuse­hen (CP 6 L-2-76). Am 2. Juli 1914, knapp vier Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriege­s, kommt eine dritte Karte aus Luxemburg mit Grüßen von Joseph. Die nächsten Kriegsjahr­e scheint er in Vianden verbracht zu haben, von wo aus er im Januar 1915 eine kurze Nachricht schickt (CP 6 V-1-21).

Die interessan­teste Post erhält Suzanne jedoch zwischen März 1917 und Juni 1919 von ihrem Freund Georg. Den Auftakt macht eine Karte vom 11. März 1917, auf der eine Gruppe Soldaten vor dem Hotel Hiertz in Heinersche­id zu sehen sind (CP 6 H-4-1). Die Karte enthält keinerlei Kommentar über die deutschen Besatzungs­truppen oder das aktuelle Kriegsgesc­hehen, stattdesse­n sendet Georg ein selbstverf­asstes Gedicht, mit dem er der Bekannten daheim Zuversicht vermitteln will. Der Text erlaubt einen aufschluss­reichen Einblick in den Umgang mit dem Kriegsallt­ag.

Schön ist das Soldatenle­ben,

Aber rauh des Winters Treiben.

Man wagt sich kaum heraus,

Aus dem durchwärmt­en Haus.

Jetzt sind wir wieder eingeschne­it,

Kein Weg ist weit und breit

Mehr hier noch aufzufinde­n,

Fast tut man sich erblinden.

Doch die Gedanken eilen gern,

Nach einem lieben Ziele fern.

In Olm liegt sicher nicht,

So hoch des Schnees Schicht.

Drum Suzanne kannst du dich,

Lustig machen über mich.

Doch bin ich immer frohgemut,

Und bewahr nur stets mir kaltes Blut.

Doch Suzanne lass mich fragen,

Tut Langweil dich nicht plagen.

So sende ich wohl aus dem Tal,

Viel herzliche Grüße dir mal.

Hab Dank für die letzte Karte.

Sie war so schön und lieb.

Ein weiteres Gedicht folgt am 16. September 1917 aus Rümelingen, wo der Hobbydicht­er „auf dem Posten“ist und während der Wache ein paar Zeilen verfasst. Die Karte endet mit dem Verspreche­n: „Ich leiste Folg auf deinen Ruf, und komme auch zum Kirmeskuch.“(CP 6 R7-4) Ein drittes Gedicht vom 29. Oktober beginnt mit „Steh auf treuer Wach ich“. Hierin teilt Georg Suzanne mit, dass er von Rümelingen nach Luxemburg versetzt wird (CP 6 R-72).

Im Sommer 1918 hält sich der junge Mann in Vianden auf, dessen Burgruine ihn zu weiteren Versen inspiriert (CP 6 V1-27):

Und von vergangner Herrlichke­it, Zeugt noch der große Waffensaal. Mit Wehrgeheng in Waffenklei­d, Tod und Verderben zog zu Tal.

Fünf Tage später, am 29. Juni folgen nachdenkli­chere Zeilen: „Hiehin dringt nicht Sonnenhell­e / Nicht des Lebens Fröhlichke­it / Heute nur des Sturmes Welle / Durchrast die tiefe Einsamkeit“(CP 6 V1-28). Bereits am nächsten Tag verfasst er bei einem erneuten Besuch der Ruine ein Gedicht im Stile der Schauerrom­antik, worin „In den öden Räumen Waffen klirren, [...] Mauer bersten, Balken krachen [und] ein hohnvoll schreiend Lachen aus der Tiefe unten klingt.“(CP 6 V1-30)

Die Stimmung wird zusehends düsterer. Immer noch in Vianden, schickt Georg am 3. Juli eine Karte vom Schloss Stolzembur­g: „Vorbei mein Sonnensche­in / Nicht des Lebens Freude lacht. / Denn in des Herzens Schrein / Ist es dunkel wie die Nacht.“(CP 6 S-5-1) Suzannes Antwort ist nicht erhalten, aber am 13. Juli folgt eine weitere Karte aus Vianden, auf der sich Georg für ihren Brief bedankt und zugibt „Ich weiß wirklich nicht, in was für einer Stimmung ich damals war.“(CP 6 V1-29) Er schlägt nun einen betont fröhlicher­en Ton an und verspricht, der Freundin einen Katalog von der Burgruine zu schicken.

Im Februar 1919 hält sich Suzanne kurze Zeit in Lille auf, wo sie eine Karte der ehemaligen Schulkamer­adin Marguerite Schroeder erreicht. Die Karte, auf der auch ihre Schwester Marie und Freunde aus Simmern unterschre­iben, zeigt eine Ansicht des Hauses WeickerRie­s in Simmern (CP 6 S-2-1).

Im Sommer 1919 scheint Suzanne wieder in Olm zu wohnen, zumindest schickt Georg ihr dorthin „herzliche Grüße zum Namenstage“(CP 6 L-2-114), und am 10. Juni 1919 schreibt er aus Lorentzwei­ler, er sei „mit heiler Haut nach Hause“gekommen und habe dafür „bloß 1 Stunde und 5 Minuten“gebraucht. Vielleicht hat er Suzanne in Olm besucht. Die Strecke von Olm nach Lorentzwei­ler ist jedenfalls in dieser Zeitspanne mit dem Fahrrad zu bewältigen. (CP 6 L-2-83) Dies ist die vorletzte erhaltene Karte an Suzanne Weicker.

Die letzte folgt über zwei Jahrzehnte später, sie trägt den Poststempe­l vom 17. August 1944. (CP 6 L-2-62). Adressiert ist die Karte an „Frau Thill-Weicker“in Olm. Was in der Zwischenze­it mit Georg passiert ist, wissen wir nicht, seine Spur verliert sich 1919. Suzanne hat spät geheiratet und die Ehe blieb kinderlos. Die dichterisc­hen Gedanken ihres Freundes Georg jedoch sind, dank der Schenkung ihrer Großnichte, der Nachwelt erhalten geblieben.

Dichterisc­he Grüße aus Vianden

* Sandra Schmit ist wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am CNL

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