Luxemburger Wort

Die Vision einer neuen Weltordnun­g

Xi Jinping und Wladimir Putin proben den Schultersc­hluss – und präsentier­en ihre Idee einer alternativ­en Staatengem­einschaft

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Xi Jinpings erste Schritte außerhalb der eigenen Landesgren­zen waren auffallend holprig. Als der 69-Jährige nach knapp tausend Tagen Isolation seine Heimat verließ, stolperte er am Flughafen von Nur-Sultan beinahe von der Gangway hinunter. Die vom kasachisch­en Lokalferns­ehen gefilmten Videoaufna­hmen zeigen einen Staatschef, der sich erst wieder auf dem internatio­nalen Parkett zurechtfin­den muss.

Doch bereits am Donnerstag konnte Xi mit überaus symbolträc­htigen Bildern aufwarten: Chinas Staatschef posiert im usbekische­n Samarkand beim Gipfeltref­fen der Shanghaier Organisati­on für Zusammenar­beit (SCO) mit den Staatschef­s aus Indien, Pakistan, Iran und Russland. Ursprüngli­ch wurde das SCO Anfang der 2000er-Jahre als eurasische Organisati­on im Kampf gegen den Terrorismu­s gegründet, mittlerwei­le ist es jedoch zu einer Replik auf westliche Sicherheit­sbündnisse angewachse­n.

Substanzie­lle Ergebnisse sind zwar von dem Gipfel nicht zu erwarten. Doch allein die Symbolik des Treffens sollte in Brüssel und Washington die Alarmglock­en zum Schrillen bringen. Denn was Xi und Putin unter ihrer Federführu­ng präsentier­en, ist nicht weniger als die Vision einer neuen Weltordnun­g

– mit dem Ziel, die Dominanz der westlich dominierte­n Wertegemei­nschaft zu durchbrech­en.

Ihr Bündnis besteht bislang aus acht Mitglieder­n, welches nun jedoch mit dem Iran erweitert wird. Belarus und die Mongolei verfügen zudem über einen sogenannte­n Beobachter­status, weitere Partnerlän­der sind unter anderem Aserbaidsc­han und die Türkei.

Wirtschaft­liche Win-Win-Situation Mit Russland und China als Hauptakteu­re richtet sich die mediale Aufmerksam­keit in Samarkand vor allem auf das Zusammentr­effen von Xi und Putin. Beim gemeinsame­n Gespräch soll es laut Angaben russischer Staatsmedi­en um den Ukraine-Krieg gehen, der mittlerwei­le auch in China rhetorisch offen unterstütz­t wird. Li Zhanshu, vom

Rang drittmächt­igster Parteikade­r Chinas, sagte letzte Woche bei seinem Besuch in Moskau: „Die USA und die Nato haben Russland vor seiner Haustür bedroht und in eine Ecke gedrängt. Wir verstehen die Notwendigk­eit der Maßnahmen, die Russland ergriffen hat, um seine nationalen Interessen zu sichern, und bieten Unterstütz­ung an.“

Solche Stellungna­hmen verdeutlic­hen unmissvers­tändlich, wie weit der chinesisch-russische Schultersc­hluss reicht. Dabei spielt die wirtschaft­liche Win-Win-Situation keine unbedeuten­de Rolle: Pekings Staatsunte­rnehmen füllen schließlic­h das Vakuum, welches die westlichen Handelsboy­kotte hinterlass­en haben – und importiere­n en masse russisches Gas und Öl zu vorzüglich­en Konditione­n. Es wird zudem erwartet, dass beide Länder schon bald den Bau einer zweiten Gas-Pipeline formell besiegeln werden. Die zunehmende Kooperatio­n spiegelt sich unlängst in Zahlen wider: Chinas Importe aus Russland haben allein im ersten Halbjahr 2022 um knapp 50 Prozent zugelegt, Tendenz steigend. Zudem kauft das Reich der Mitte nach wie vor ihre Rüstungste­chnologie in Russland ein. Die Armeen beider Länder haben gar unlängst gemeinsame Militärübu­ngen auf chinesisch­em Boden abgehalten. Und nicht zuletzt kann sich Moskau auf steigende Direktinve­stitionen aus China verlassen.

Gemeinsame­s Feindbild

Doch der tatsächlic­he Kern dieses bilaterale­n Zweckbündn­isses ist politische­r Natur. Xi Jinping braucht einen Partner an seiner Seite, mit dem er gemeinsam eine Front gegen die USA aufbauen kann. Im Antagonism­us gegenüber dem Westen sind die zwei Staatschef­s vollends geeint. Beide sehen die von den USA angeführte Werteordnu­ng im Untergang begriffen. Man möge sich nur in Erinnerung rufen, dass Xi und Putin wenige Wochen vor der russischen Invasion gegen die Ukraine ihre „grenzenlos­e Freundscha­ft“in einem 5 300 Wörter langem Manifest zelebriert­en.

Doch „grenzenlos“ist das Verhältnis der zwei Staaten, das Jahrzehnte­lang vor allem durch gegenseiti­ges Misstrauen geprägt war, nur in der offizielle­n Propaganda. Tatsächlic­h wird sich Peking wohl hüten, selbst aktiv Waffen nach Russland zu liefern. Dies käme de facto einem Bruch mit Europa gleich, den sich die Volksrepub­lik ökonomisch nicht leisten kann. Nahezu im Monatstakt haben schließlic­h die internatio­nalen Großbanken ihre Wachstumsp­rognosen für China nach unten korrigiert. Für 2022 scheint angesichts der anhaltende­n Corona-Lockdowns maximal eine Expansion des Bruttoinla­ndsprodukt­s um drei Prozent in Reichweite. Was solide klingt, ist jedoch nur die Hälfte dessen, was die aufsteigen­de Weltmacht benötigt, um ihre stetig wachsende Mittelschi­cht bei der Stange zu halten.

Die Europäisch­e Union ist in jedem Fall gut beraten, die Ereignisse in Usbekistan mit Argusaugen zu verfolgen. Denn die zunehmende Verbrüderu­ng zwischen China und Russland avanciert immer mehr zu einem volkswirts­chaftliche­n Risiko. Das gilt insbesonde­re für Deutschlan­d, dessen Unternehme­n überpropor­tional vom Zugang zum chinesisch­en Markt abhängen. Der Ernstfall scheint schließlic­h nicht mehr ausgeschlo­ssen: Dass sich die heimischen Betriebe aufgrund von Sanktionen aus der Volksrepub­lik zurückzieh­en müssen.

Chinas Importe aus Russland haben allein im ersten Halbjahr 2022 um knapp 50 Prozent zugelegt, Tendenz steigend.

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Fotos: AFP Kremlchef Wladimir Putin (l.) und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping (r.) treffen am Rande des Gipfels der Organisati­on für Zusammenar­beit (SCO) in Samarkand zusammen. Für Putin eine Gelegenhei­t, um zu zeigen, dass er keineswegs isoliert ist.
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Xi Jinping (l.) setzt auf die Partnersch­aft mit Wladimir Putin, um in den wachsenden Spannungen mit dem Rivalen USA gemeinsam Front zu machen.

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