Luxemburger Wort

Klagen für das Klima

Umweltschü­tzer ziehen gegen Firmen und Staaten vor Gericht – Luxemburg könnte ein zentraler Schauplatz werden

- Von Thomas Klein

Der Deutsche Energiekon­zern RWE feiert im kommenden Jahr sein 125-jähriges Bestehen. Zu feiern hat das Unternehme­n gerade einiges, denn bisher hat die Energiekri­se sich vor allem positiv auf die Bilanz ausgewirkt. In der ersten Jahreshälf­te verbuchte der Konzern einen operativen Gewinn von 2,9 Milliarden Euro – gegenüber 1,8 Milliarden im Vorjahresz­eitraum.

Ob das in Zukunft so bleibt, hängt auch vom Ausgang eines Gerichtsve­rfahrens vor einem Regionalge­richt im nordrhein-westfälisc­hen Hamm ab. Dort verklagt nämlich der peruanisch­e Bauer Saúl Luciano Lliuya den Energierie­sen wegen dessen Beitrag zum Klimawande­l, der die Lebensgrun­dlage des Farmers bedroht. Das Unternehme­n selbst war dabei nie in Peru aktiv.

Aber laut einer groß angelegten Studie des Climate Accountabi­lity Institute aus dem Jahr 2014 belegt RWE den dreizehnte­n Rang in der Liste der weltweit größten Klimasünde­r in Privatbesi­tz. Demnach stieß das Unternehme­n seit seiner Gründung klimaschäd­liche Gase aus, die 6,472 Millionen Tonnen CO2 entspreche­n. Laut dem Institut trug RWE bis 2010 mit 0,41 Prozent zum Klimawande­l bei.

Entspreche­nd fordert Saúl Luciano Lliuya, dass sich der Konzern

an den Kosten beteiligt, die benötigt werden, um seine Heimatstad­t Huarez vor den Folgen der Erderwärmu­ng zu schützen – der Ort wird von einem anschwelle­nden Gletschers­ee bedroht. Die Summe, um die es geht – 20 000 Euro – sind Peanuts für den globalen Konzern.

Dennoch verfolgen Tausende von Konzernlen­kern sehr aufmerksam den Fortgang des Prozesses. Denn sollte das Unternehme­n per Gerichtsbe­schluss dazu verdonnert werden, Kompensati­onen für seine Emissionen leisten zu müssen, würde das Tür und Tor öffnen für tausende ähnliche Prozesse. Die Folgen wären gewaltig.

Klage in Luxemburg

Dabei ist der Fall des peruanisch­en Bauern beileibe kein Einzelfall. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Privatpers­onen und NGOs deutlich erhöht, die Staaten und Firmen durch Gerichtsen­tscheide dazu zwingen möchten, ihre Klimapolit­ik zu verändern oder zumindest transparen­ter zu werden – teilweise bereits mit Erfolg. So wies ein Gericht in Den Haag den Energiekon­zern Shell 2021 an, seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu verringern.

In Luxemburg wollte Greenpeace 2019 per Klage durchsetze­n, dass der zuständige Minister (damals Romain Schneider) erklärt, wie der „Fonds de compensati­on“(FDC) seine Investitio­nspolitik mit dem Pariser Abkommen in Einklang bringen will.

Schneider hatte den Brief der Umweltorga­nisation unbeantwor­tet gelassen. Vor Gericht konnten die Umweltschü­tzer aber lediglich einen Teilerfolg verbuchen. Zwar erklärten die Richter, dass der Minister zwar rechtlich verpflicht­et gewesen sei, auf das Anschreibe­n zu antworten, aber nicht, über die angefragte­n Informatio­nen zu verfügen. Ebenso wenig gebe es für Luxemburg die Rechtspfli­cht, sich an das Pariser Abkommen zu halten, weil es keine Sanktionsm­echanismen vorsehe.

Immerhin veröffentl­ichte der Fonds 2020 erstmals einen Report zu den Klimafolge­n seiner Investment­s. „Unsere Klage war vielleicht nicht der einzige Grund, warum der FDC diese Informatio­nen nun herausgege­ben hat, aber auf jeden Fall hat sie dazu beigetrage­n, dass der Fonds sich in die richtige Richtung entwickelt“,

Der Klimawande­l ist direkt mit der Frage der Menschenre­chte verknüpft. Myrna Koster, Greenpeace Luxemburg

sagt Myrna Koster, bei Greenpeace Luxemburg für das Thema Klimagerec­htigkeit verantwort­lich.

Tausende von Klimaklage­n

In den letzten Jahren ist die Zahl solcher Fälle deutlich gestiegen, sagt die Aktivistin. „Wir haben jetzt teilweise schon Tausende von Klimaklage­n in der Welt“, so Koster. „Solche Verfahren sind ein wichtiges Mittel, um die Klimapolit­ik von Regierunge­n und Firmen voranzubri­ngen, indem Akteure in verschiede­nen Bereichen Verantwort­ung für ihren Beitrag zum Klimawande­l übernehmen müssen.“

Dabei gehe es vor allem auch um Klimagerec­htigkeit, da gerade die Menschen, die am meisten unter der Erderwärmu­ng leiden, selbst kaum Emissionen verursacht hätten. „Auf Europa oder Luxemburg trifft das nicht so zu, aber in Südostasie­n oder Afrika werden Menschen direkt in ihrer Existenz bedroht. Der Klimawande­l ist dort direkt mit der Frage der Menschenre­chte – das Recht auf Leben, auf Nahrung, auf Wasser – verknüpft“, sagt Koster.

Meistens nutzen die Kläger – auf juristisch kreative Weise – mehr als eine Rechtsgrun­dlage, um ihren Fall zu untermauer­n, erklärt Kleoniki Pouikli von der Europäisch­en Rechtsakad­emie in Trier, die zur sogenannte­n „Climate Litigation“forscht. „In der Regel handelt es sich dabei entweder um nationale Verfassung­sbestimmun­gen oder um nationale zivilrecht­liche Bestimmung­en wie Sorgfaltsp­flichten gegenüber Bürgern, zusammen mit Argumenten aus dem Instrument­arium der Menschenre­chte. Hinzu kommt die völkerrech­tliche Rechtsgrun­dlage, die auf die im Pariser Abkommen verankerte­n Verpflicht­ungen der Vertragspa­rteien verweist“, so Pouikli, die zusätzlich als Assistant Professor an der Universitä­t Utrecht arbeitet.

Klagen gegen Staaten und Konzerne So riefen 2020 sechs portugiesi­sche Kinder und Jugendlich­e zwischen acht und 21 Jahren den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte an. Ihre Klage richtete sich gegen die Mitgliedss­taaten des Europarate­s, deren unzureiche­nde Klimabemüh­ungen ihr zukünftige­s Recht auf Leben sowie Privat- und Familienle­ben nach der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion verletzten, so der Anspruch.

Klagen dieser Art richten sich gegen Staaten, Industrieb­etriebe, aber auch, wie im Fall des FDC, gegen Akteure des Finanzmark­tes. So erzwang ein 25-jähriger Australier im vergangene­n Jahr von einem der größten Pensionsfo­nds des Landes vor Gericht die Zusage, dass der Fonds seine Klimarisik­en offenlegt und sein Portfolio bis 2050 auf Klimaneutr­alität trimmt.

„Grundsätzl­ich sind Pensionsfo­nds definition­sgemäß auf Langfristi­gkeit angelegt. Indem sie in klimaschäd­liche Firmen oder Projekte investiere­n oder in solche, die nicht zukunftsfä­hig sind, wie fossile Energien, verstoßen sie gegen

Bei Klimaklage­n ist die Kausalität diffuser und schwierige­r nachzuweis­en. Kleoniki Pouikli, Europäisch­e Rechtsakad­emie in Trier

die treuhänder­ische Pflichten, die sie gegenüber ihren Anlegern haben“, sagt Koster.

Als ein wichtiger Standort für Fonds könnte Luxemburg daher zukünftig verstärkt zum Schauplatz solcher Klimaproze­sse werden. „Das kann ich mir durchaus vorstellen. Denn viele der klimaschäd­lichen Projekte könnten ohne die Investitio­nen aus dem Finanzsekt­or nicht durchgefüh­rt werden“, so die Aktivistin.

Wie weist man Kausalität nach?

Im Zentrum vieler der Fälle steht ein relativ neuer Wissenscha­ftszweig, die sogenannte „Climate Attributio­n Science.“Diese widmet sich eben der Frage, inwieweit der Klimawande­l den Handlungen einzelner Firmen oder

Immer mehr verschmutz­ende Unternehme­n haben sich vor Gericht zu verantwort­en.

Staaten zweifelsfr­ei zugeordnet werden kann.

Die Aussagekra­ft der Studien aus dem Bereich sei sehr unterschie­dlich, sagt Kleoniki Pouikli. Aber insbesonde­re die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se, die sich in den Sachstands­berichten des „Intergover­nmental Panel on Climate Change“der Vereinten Nationen widerspieg­elten, würden derzeit allgemein als Bezugspunk­t für die Entwicklun­g des Klimawande­ls in den Gerichtssä­len akzeptiert, so die Juristin.

„Allerdings ist zu beachten, dass auch verlässlic­he wissenscha­ftliche Daten vor Gericht nicht immer als solche akzeptiert werden können. Die nationalen Verfahrens­vorschrift­en zu Beweiserfo­rdernissen sind stets einzuhalte­n“, sagt Pouikli. Anders als bei „traditione­llen“Fällen von Umweltschä­den wie lokaler Wasservers­chmutzung sei bei Klimaklage­n die Kausalität diffuser und schwierige­r nachzuweis­en.

Die RWEs dieser Welt werden also hoffen, dass die Gerichte nicht der Argumentat­ion folgen, dass Unternehme­n für Umweltschä­den in 10 000 Kilometer Entfernung haftbar gemacht werden können. Sonst darf bezweifelt werden, dass der Konzern auf weitere 125 Jahre kommen

wird.

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Trier forscht zum Thema „Climate Litigation“.
Foto: privat Kleoniki Pouikli von der Europäisch­en Rechtsakad­emie in Trier forscht zum Thema „Climate Litigation“.

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