Klagen für das Klima
Umweltschützer ziehen gegen Firmen und Staaten vor Gericht – Luxemburg könnte ein zentraler Schauplatz werden
Der Deutsche Energiekonzern RWE feiert im kommenden Jahr sein 125-jähriges Bestehen. Zu feiern hat das Unternehmen gerade einiges, denn bisher hat die Energiekrise sich vor allem positiv auf die Bilanz ausgewirkt. In der ersten Jahreshälfte verbuchte der Konzern einen operativen Gewinn von 2,9 Milliarden Euro – gegenüber 1,8 Milliarden im Vorjahreszeitraum.
Ob das in Zukunft so bleibt, hängt auch vom Ausgang eines Gerichtsverfahrens vor einem Regionalgericht im nordrhein-westfälischen Hamm ab. Dort verklagt nämlich der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya den Energieriesen wegen dessen Beitrag zum Klimawandel, der die Lebensgrundlage des Farmers bedroht. Das Unternehmen selbst war dabei nie in Peru aktiv.
Aber laut einer groß angelegten Studie des Climate Accountability Institute aus dem Jahr 2014 belegt RWE den dreizehnten Rang in der Liste der weltweit größten Klimasünder in Privatbesitz. Demnach stieß das Unternehmen seit seiner Gründung klimaschädliche Gase aus, die 6,472 Millionen Tonnen CO2 entsprechen. Laut dem Institut trug RWE bis 2010 mit 0,41 Prozent zum Klimawandel bei.
Entsprechend fordert Saúl Luciano Lliuya, dass sich der Konzern
an den Kosten beteiligt, die benötigt werden, um seine Heimatstadt Huarez vor den Folgen der Erderwärmung zu schützen – der Ort wird von einem anschwellenden Gletschersee bedroht. Die Summe, um die es geht – 20 000 Euro – sind Peanuts für den globalen Konzern.
Dennoch verfolgen Tausende von Konzernlenkern sehr aufmerksam den Fortgang des Prozesses. Denn sollte das Unternehmen per Gerichtsbeschluss dazu verdonnert werden, Kompensationen für seine Emissionen leisten zu müssen, würde das Tür und Tor öffnen für tausende ähnliche Prozesse. Die Folgen wären gewaltig.
Klage in Luxemburg
Dabei ist der Fall des peruanischen Bauern beileibe kein Einzelfall. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Privatpersonen und NGOs deutlich erhöht, die Staaten und Firmen durch Gerichtsentscheide dazu zwingen möchten, ihre Klimapolitik zu verändern oder zumindest transparenter zu werden – teilweise bereits mit Erfolg. So wies ein Gericht in Den Haag den Energiekonzern Shell 2021 an, seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu verringern.
In Luxemburg wollte Greenpeace 2019 per Klage durchsetzen, dass der zuständige Minister (damals Romain Schneider) erklärt, wie der „Fonds de compensation“(FDC) seine Investitionspolitik mit dem Pariser Abkommen in Einklang bringen will.
Schneider hatte den Brief der Umweltorganisation unbeantwortet gelassen. Vor Gericht konnten die Umweltschützer aber lediglich einen Teilerfolg verbuchen. Zwar erklärten die Richter, dass der Minister zwar rechtlich verpflichtet gewesen sei, auf das Anschreiben zu antworten, aber nicht, über die angefragten Informationen zu verfügen. Ebenso wenig gebe es für Luxemburg die Rechtspflicht, sich an das Pariser Abkommen zu halten, weil es keine Sanktionsmechanismen vorsehe.
Immerhin veröffentlichte der Fonds 2020 erstmals einen Report zu den Klimafolgen seiner Investments. „Unsere Klage war vielleicht nicht der einzige Grund, warum der FDC diese Informationen nun herausgegeben hat, aber auf jeden Fall hat sie dazu beigetragen, dass der Fonds sich in die richtige Richtung entwickelt“,
Der Klimawandel ist direkt mit der Frage der Menschenrechte verknüpft. Myrna Koster, Greenpeace Luxemburg
sagt Myrna Koster, bei Greenpeace Luxemburg für das Thema Klimagerechtigkeit verantwortlich.
Tausende von Klimaklagen
In den letzten Jahren ist die Zahl solcher Fälle deutlich gestiegen, sagt die Aktivistin. „Wir haben jetzt teilweise schon Tausende von Klimaklagen in der Welt“, so Koster. „Solche Verfahren sind ein wichtiges Mittel, um die Klimapolitik von Regierungen und Firmen voranzubringen, indem Akteure in verschiedenen Bereichen Verantwortung für ihren Beitrag zum Klimawandel übernehmen müssen.“
Dabei gehe es vor allem auch um Klimagerechtigkeit, da gerade die Menschen, die am meisten unter der Erderwärmung leiden, selbst kaum Emissionen verursacht hätten. „Auf Europa oder Luxemburg trifft das nicht so zu, aber in Südostasien oder Afrika werden Menschen direkt in ihrer Existenz bedroht. Der Klimawandel ist dort direkt mit der Frage der Menschenrechte – das Recht auf Leben, auf Nahrung, auf Wasser – verknüpft“, sagt Koster.
Meistens nutzen die Kläger – auf juristisch kreative Weise – mehr als eine Rechtsgrundlage, um ihren Fall zu untermauern, erklärt Kleoniki Pouikli von der Europäischen Rechtsakademie in Trier, die zur sogenannten „Climate Litigation“forscht. „In der Regel handelt es sich dabei entweder um nationale Verfassungsbestimmungen oder um nationale zivilrechtliche Bestimmungen wie Sorgfaltspflichten gegenüber Bürgern, zusammen mit Argumenten aus dem Instrumentarium der Menschenrechte. Hinzu kommt die völkerrechtliche Rechtsgrundlage, die auf die im Pariser Abkommen verankerten Verpflichtungen der Vertragsparteien verweist“, so Pouikli, die zusätzlich als Assistant Professor an der Universität Utrecht arbeitet.
Klagen gegen Staaten und Konzerne So riefen 2020 sechs portugiesische Kinder und Jugendliche zwischen acht und 21 Jahren den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. Ihre Klage richtete sich gegen die Mitgliedsstaaten des Europarates, deren unzureichende Klimabemühungen ihr zukünftiges Recht auf Leben sowie Privat- und Familienleben nach der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzten, so der Anspruch.
Klagen dieser Art richten sich gegen Staaten, Industriebetriebe, aber auch, wie im Fall des FDC, gegen Akteure des Finanzmarktes. So erzwang ein 25-jähriger Australier im vergangenen Jahr von einem der größten Pensionsfonds des Landes vor Gericht die Zusage, dass der Fonds seine Klimarisiken offenlegt und sein Portfolio bis 2050 auf Klimaneutralität trimmt.
„Grundsätzlich sind Pensionsfonds definitionsgemäß auf Langfristigkeit angelegt. Indem sie in klimaschädliche Firmen oder Projekte investieren oder in solche, die nicht zukunftsfähig sind, wie fossile Energien, verstoßen sie gegen
Bei Klimaklagen ist die Kausalität diffuser und schwieriger nachzuweisen. Kleoniki Pouikli, Europäische Rechtsakademie in Trier
die treuhänderische Pflichten, die sie gegenüber ihren Anlegern haben“, sagt Koster.
Als ein wichtiger Standort für Fonds könnte Luxemburg daher zukünftig verstärkt zum Schauplatz solcher Klimaprozesse werden. „Das kann ich mir durchaus vorstellen. Denn viele der klimaschädlichen Projekte könnten ohne die Investitionen aus dem Finanzsektor nicht durchgeführt werden“, so die Aktivistin.
Wie weist man Kausalität nach?
Im Zentrum vieler der Fälle steht ein relativ neuer Wissenschaftszweig, die sogenannte „Climate Attribution Science.“Diese widmet sich eben der Frage, inwieweit der Klimawandel den Handlungen einzelner Firmen oder
Immer mehr verschmutzende Unternehmen haben sich vor Gericht zu verantworten.
Staaten zweifelsfrei zugeordnet werden kann.
Die Aussagekraft der Studien aus dem Bereich sei sehr unterschiedlich, sagt Kleoniki Pouikli. Aber insbesondere die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sich in den Sachstandsberichten des „Intergovernmental Panel on Climate Change“der Vereinten Nationen widerspiegelten, würden derzeit allgemein als Bezugspunkt für die Entwicklung des Klimawandels in den Gerichtssälen akzeptiert, so die Juristin.
„Allerdings ist zu beachten, dass auch verlässliche wissenschaftliche Daten vor Gericht nicht immer als solche akzeptiert werden können. Die nationalen Verfahrensvorschriften zu Beweiserfordernissen sind stets einzuhalten“, sagt Pouikli. Anders als bei „traditionellen“Fällen von Umweltschäden wie lokaler Wasserverschmutzung sei bei Klimaklagen die Kausalität diffuser und schwieriger nachzuweisen.
Die RWEs dieser Welt werden also hoffen, dass die Gerichte nicht der Argumentation folgen, dass Unternehmen für Umweltschäden in 10 000 Kilometer Entfernung haftbar gemacht werden können. Sonst darf bezweifelt werden, dass der Konzern auf weitere 125 Jahre kommen
wird.