„Aus der Realität flüchten“
Jérôme Konen spricht über die kommende Spielzeit im Mamer Kinneksbond und Herausforderungen hiesiger Kulturhäuser
Tanzvorstellungen, Theateraufführungen und eine ganze Reihe von Konzerten – der Mamer Kinneksbond hat den Menschen in, aber auch außerhalb der Region eine breite Palette an Kulturevents zu bieten. Vielfalt wird hier großgeschrieben, wodurch sich – anders, als das in manch anderen Kulturhäusern der Fall ist – nicht zwingend auf ein Thema fokussiert wird.
Ganz ohne Konzept kommt der Kinneksbond selbstverständlich nicht aus. „Eigentlich ist es nicht mein Ziel, für eine Spielzeit einen thematischen Schwerpunkt zu setzen. Da wir in unseren Programmen allerdings stets auf die Aktualität zurückgreifen, ergeben sich während dem Planen dann doch meistens wiederkehrende, soziale Themen“, so Jérôme Konen, der Leiter des Mamer Kulturzentrums.
Auch für die Saison 2022/23 gibt es im Kinneksbond kein übergreifendes Thema. Dennoch sollen hier in den kommenden Monaten die Frauen im Mittelpunkt stehen: „Einerseits werden viele unserer Produktionen für die kommende Spielzeit von Frauen getragen. Andererseits setzen viele unserer Projekte sich mit Identität, Gender und Frauenrechten auseinander.“
An dieser Stelle weist der Intendant auf das Jugendtheaterstück „Der Vorgang“hin, das im November in Mamer zu sehen ist. Die Inszenierung beschäftigt sich mit dem Thema Abtreibung und wurde bereits programmiert, bevor in den USA über Schwangerschaftsabbruchrechte abgestimmt wurde.
Dabei ist das Stück speziell für junge Menschen ausgelegt, sodass den Jugendlichen in erster Linie nahe gebracht werden soll, dass jeder das Recht hat, über seinen eigenen Körper zu entscheiden.
Balance zwischen den Geschlechtern
„Generell versuchen wir darauf zu achten, dass wir sowohl auf als auch hinter der Bühne ein Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen haben“, erklärt Jérôme Konen, der seit 2015 an der Leitungsspitze des Kinneksbond steht.
Ob das reicht, um das Publikum (wieder) nach Mamer zu locken? Immerhin wurde, nachdem alle coronabedingten Maßnahmen gefallen waren, ein Rückgang der Zuschauerzahlen registriert. Das liegt, wie Jérôme Konen feststellt, vermutlich auch daran, dass es seitdem wieder unzählige Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten gibt.
Trotzdem kann der Kinneksbond zuversichtlich in die kommende Saison starten: „Wenn wir einen Blick auf den Vorverkauf für die erste Vorstellung der neuen Spielzeit werfen, sehen die Besucherzahlen sehr vielversprechend aus. Selbstverständlich können wir das nicht auf zukünftige Veranstaltungen projizieren.“
Auffällig sei ebenfalls, dass sich das Kaufverhalten der Besucherinnen und Besucher verändert habe. Die meisten Karten würden, laut Jérôme Konen, mittlerweile eher kurzfristig reserviert werden.
Krisen, Krieg und jede Menge soziale Probleme prägen die Gegenwart. Das wirkt sich eben auch auf das Konsumverhalten der Menschen von kulturellen Gütern aus. Hier will das Team des Kulturzentrums seinem Publikum entgegenkommen, indem es nicht nur schwer verdauliche und sozialpolitische Kost anbietet.
„Die Menschen wollen im Theater unterhalten werden, sie wollen lachen, sich amüsieren und nicht nur mit komplexen Themen konfrontiert werden“, bemerkt der Intendant. „Ich meine, man braucht nur den Fernseher einzuschalten oder die Zeitung aufzuschlagen, um mit tragischen Nachrichten bombardiert zu werden.“
„Deswegen haben wir in Bezug auf unser Programm versucht, eine Balance finden, zwischen Stücken, die zum Lachen einladen und Inszenierungen, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen beschäftigen. Wir möchten dem Publikum also eine Art Blase anbieten, in der sie aus der Realität flüchten und sich schlichtweg während ein bis zwei Stunden verzaubern lassen können“fährt Jérôme Konen fort.
Große Hürden, neue Konzepte
Sorgen über das aktuelle Weltgeschehen und die Zukunft macht sich wohl mittlerweile jeder. Auch Kulturhäuser und deren Vertreterinnen und Vertreter sehen sich nach der sanitären Krise nun mit neuen Herausforderungen konfrontiert.
Dazu äußert sich der Leiter des Kinneksbond ebenfalls: „Neben den Auswirkungen der Pandemie, kommen jetzt zusätzlich ökonomische Fragen auf uns zu. Auch bei uns steigen die Nebenkosten sowie die Preise für Transporte. Wir haben beispielsweise eine Produktion geplant, für die die Kulissen von außerhalb zu uns gebracht werden müssen. Da lagen die Kosten zunächst bei 3.000 Euro. Mittlerweile sind sie auf 6.900 Euro gestiegen.“
Obschon die Preise durch die Decke schießen, hat sich Jérôme Konen fest vorgenommen, Kulturevents weiterhin für möglichst viele Menschen zugänglich machen: „Wir werden versuchen, die Ticketpreise
so tief wie möglich zu halten. Zudem haben wir die Gruppe, die auf ermäßigten Tarife zurückgreifen kann, erweitert.“
Zusätzlich dazu, will das Team des Kinneksbond den Empfehlungen der Regierung nachkommen und nachhaltiger programmieren. „Theater und Tanz sind technische Produktionen. Der Energieaufwand ist also vergleichsweise hoch. Hier versuchen wir, auch in Absprache mit der Gemeinde, die Kosten und den Verbrauch möglichst niedrig zu halten.“
Nachhaltige Kulturevents zu organisieren, bedeutet für Jérôme Konen jedoch auch ein konzeptuelles Umdenken. Demnach möchte er für die darauffolgende Saison, also für das Jahr 2023/24 einige Produktionen auf die Bühne bringen, die im Ausland kreiert worden sind, sich allerdings keiner der ausländischen Kulturschaffenden zusätzlich auf den Weg nach Luxemburg machen muss.
„Wir würden also Re-Kreationen daraus machen. Das hat gleich mehrere Vorteile: Es fallen weniger Kosten an, das Programm wird umweltfreundlicher und der kreative Austausch zwischen nationalen und internationalen Künstlern wird weiterhin unterstützt“, erklärt der Intendant.
Bevor es allerdings soweit ist, dürfen sich alle Kulturinteressierte auf die aktuelle Spielzeit freuen, die ihren Auftakt mit einem Konzert des Cristina Godinho Trio macht.
Als Highlights der Saison 2022/23 entpuppen sich die Tanzperformance von Olivier Dubois, der erstmals nach Luxemburg kommt und der Auftritt von Robyn Orlin („We wear our wheels“).
Das vollständige Programm finden Sie unter: www.kinneksbond.lu