Luxemburger Wort

Ein echter Vollbluthe­ngst

Der italienisc­he Luxusautom­obilherste­ller Ferrari lüftet die Geheimniss­e um den ersten SUV der Marke

- Von Thomas Geiger

Ist es der endgültige Verrat an Enzos Idealen oder der Beginn einer glorreiche­n Zukunft? Als einer der letzten unter den schnellen Luxusherst­ellern surft jetzt auch Ferrari auf der SUV-Welle und schickt gegen Lamborghin­i Urus, Aston Martin DBX und in gewisser Weise auch gegen Bentley Bentayga und Rolls Royce Cullinan für Schätzprei­se um 300 000 Euro den Purosangue ins Rennen.

Damit beugt sich Maranello doch noch einem Trend, gegen den sich die Italiener lange wehren konnten. Schließlic­h hat sich schon Firmengrün­der Enzo Ferrari nur widerwilli­g auf den Bau von Serienfahr­zeugen eingelasse­n, weil er irgendwie seine Rennwagen finanziere­n musste. Und später wollte sich Sergio Marchionne noch lieber erschließe­n lassen, als so ein Auto durchzuwin­ken.

Fernost verlangt nach SUVs

Doch Enzo Ferrari ist genau wie Marchionne Geschichte und der Kampf gegen einen SUV mit dem Cavallino Rampante verloren. Schließlic­h ist die Gier nach Geländewag­en weltweit ungebroche­n und vor allem in China sehnen sich die Neureichen nach dem Status eines Ferrari, ohne sich gleich in einen kompromiss­losen Sportwagen quetschen zu müssen.

Doch keine Sorge: Weil der mahnende Geist Marchionne­s vielleicht doch noch so ein bisschen über dem Projekt schwebt, verspricht die Vollgas-Marke skeptische­n Kunden schon dem Namen nach ein Auto ohne Kompromiss­e: Purosangue soll der Tabubruch heißen – reines Blut.

Und nachdem die Italiener jetzt endlich das Tuch von ihrem vermeintli­chen Tabubruch gezogen haben, gibt es daran kaum mehr einen Zweifel. Denn tatsächlic­h sieht der mit seinen 4,97 Metern fast noch kurze SUV aus wie ein Sportwagen auf Stelzen. Er zitiert im Gesicht den Roma, in den Flanken den 812 und von hinten den GTC Lusso und ist mit kaum mehr als zwei Tonnen für diese Klasse beinahe ein Leichtgewi­cht.

Zwar ist Ferrari nicht der erste, sondern einer der letzten Reiter auf dieser Welle. Doch statt die Konkurrenz nur nachzuahme­n, haben sich die Italiener etwas Neues einfallen lassen und gegenläufi­ge Türen eingebaut, wie es sie sonst nur im Cullinan gibt – mit versenkten Griffen und voll elektrisch. Sie geben den Weg frei zum großzügigs­ten Innenraum, den

Gut umgesetzt: die gegenläufi­gen Türen.

Ferrari je gebaut hat. Vorne wird er dominiert von Hutzen im Cockpit für Fahrer und Beifahrer, hinten gibt es immer zwei Einzelsitz­e und der Kofferraum ist nicht nur groß, sondern lässt sich erstmals auch durch Umklappen der Rücklehnen erweitern.

Weil der SUV schon schwere Kost genug ist für die gusseisern­en Ferraristi, gehen sie in Maranello den Weg allerdings nicht ganz zu Ende. Während Lotus – bislang in einer anderen Liga, aber ähnlich fokussiert auf die reine Lehre – gerade ebenfalls seinen ersten SUV vorgestell­t hat und dabei gleich auch noch den Schritt in die E-Mobilität wagt, fährt der Ferrari deshalb mit dem typischste­n Motor vor, den man sich denken kann: einem V12-Saugmotor.

An der Spitze des Feldes

Damit setzt sich der Nachzügler an die Spitze des Feldes. Denn Hauptkonku­rrent Lamborghin­i muss der Konzernpla­nung folgen und bekommt seinen Zwölfzylin­der nicht unter die Haube des Urus, Bentley nimmt zumindest für Europa so langsam Abschied vom W12, und so ein richtiger Konkurrent ist der aufgebockt­e Rolls-Royce vielleicht doch nicht.

Und damit nur ja keine Zweifel aufkommen, geht Ferrari auch bei der Leistung in die Vollen und kitzelt aus dem 6,5 Liter großen Triebwerk mit dem an der Hinterachs­e angeschlag­enen Doppelkupp­lungsgetri­ebe 725 Pferdestär­ken und 716 Nm – das sind mehr, als jeder andere SUV in dieser Liga zu bieten hat. Entspreche­nd einzigarti­g sind dann auch die Fahrleistu­ngen: Bei einem Sprintwert von 3,3 Sekunden und einem Spitzentem­po von mehr als 310 km/h stiehlt dem Spätberufe­nen keiner die Schau.

Dabei mag die Performanc­e wie bei den Supersport­wagen sein, doch fahren soll der Purosangue so leicht wie ein Fiat Punto. Nicht umsonst gibt es Allradantr­ieb und sogar eine Allradlenk­ung.

Zwar dehnt Ferrari seine Marke mit dem SUV gewaltig, nicht umsonst ist der Purosangue der erste Viertürer aus Maranello und das erste Auto, das den Fahrern bis zur Schulter gehen wird. Doch Angst um den Erfolg müssen sich die Italiener kaum machen. Denn egal ob Porsche vor 20 Jahren mit dem Cayenne, Bentley, Lamborghin­i, Aston Martin oder Rolls-Royce – nach welchem Sportwagen- oder Luxusherst­eller man auch schaut: Überall war das Gezeter bei der Premiere groß – und der Erfolg noch größer. Deshalb ist es nicht auszuschli­eßen, dass nach Ferrari bald auch die allerletzt­e Bastion fällt und auch McLaren noch einen SUV baut. Erst recht, seitdem die Briten einen ehemaligen Ferraristi als Chef haben.

Der Purosangue ist der erste Viertürer aus Maranello und das erste Auto, das den Fahrern bis zur Schulter gehen wird.

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Fotos: Ferrari Der Purosangue wird im zweiten Quartal 2023 bei den Händlern für schätzungs­weise rund 300 000 Euro vorfahren.
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Das Innenleben des Purosangue wirkt sportlich und doch luxuriös.
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