„Reden tut gut – vor allem über Tabus“
Marlee Dos Reis macht sich für Luxemburgs Women of Colour – und neuerdings auch für die Umwelt – stark
Ein Netzwerk für Frauen, nachhaltige Mode, Make-up und Fotografie: Marlee Dos Reis aus Stegen will neben ihrem Vollzeitjob als Sekretärin unbedingt etwas bewegen. Welche Rolle der Kleiderschrank ihrer Eltern und die 2001 tödlich verunglückte R’n’B-Sängerin Aaliyah dabei spielen, erzählt die 33-Jährige im Interview.
Marlee Dos Reis, Sie scheinen sich schnell zu langweilen, wenn man sich anschaut, wie viele verschiedene Eisen Sie – wohlgemerkt in Ihrer Freizeit – mit der gemeinnützigen Organisation Imani im Feuer haben …
(lacht) Einfach bloß still herumsitzen liegt mir nicht. Ich bin ein kreativer Mensch, der gerne etwas erschafft. Schon als kleines Mädchen habe ich immer Modelagentur gespielt und die Zeitschriften meiner Mutter mit der Schere auseinandergenommen, ich habe gerne Kleider gezeichnet und mich für Fotos interessiert. Laut meiner Mutter habe ich damals schon gesagt: „Ich werde eine Marke und ein Netzwerk haben, ein Statement setzen, Make-up kreieren …“Und jetzt fügt sich irgendwie alles wie Puzzleteile ineinander. Ich mache all das, was ich früher auch schon gerne gemacht habe.
Können Sie sich noch an den Schlüsselmoment erinnern, der den Anstoß zum Aktivwerden gab?
2017 habe ich eine gewisse Frustration verspürt. Ich saß zu Hause, hatte alles und dachte mir trotzdem: „Irgendetwas fehlt.“Mein erster Gedanke war ein Baby, aber mir wurde schnell klar: „Nein, das ist es nicht! Ich will kein Kind bekommen und dann nachher sagen müssen, dass ich deswegen meine Träume nicht verwirklicht habe.“Schließlich wurde mir der Grund für meine Unzufriedenheit klar: In Luxemburg gab es zwar viele Menschen mit den unterschiedlichsten Wurzeln, aber diese große Diversität wurde in meinen Augen nicht richtig in der Öffentlichkeit repräsentiert. Statt mich aber still in einer Ecke darüber zu ärgern, habe ich beschlossen, die Dinge in die Hand zu nehmen.
Die Geburtsstunde von Imani sozusagen …
Meine Idee war es, eine Plattform zu schaffen, die die Menschen in ihrer gesamten Diversität repräsentiert, ihre Leistungen würdigt und dadurch weitere Menschen motiviert. Deshalb habe ich noch im selben Jahr eine Award-Show organisiert. Es ging um Sichtbarkeit, nicht um Konkurrenz. Im Endeffekt wünsche ich mir, dass sich die kleinen Mädchen heutzutage nicht hinterfragen müssen, weil sie keine Vorbilder zum Identifizieren haben. Wobei Sie mich nicht falsch verstehen dürfen: Ich bin stolze Luxemburgerin, aber man wundert sich – vor allem als Kind – schon, warum beispielsweise die Menschen im Fernsehen alle anders aussehen als man selber. Weil das Ganze aber sonst eine Nummer zu groß geworden wäre, habe ich mich erst einmal auf meine kapverdischen Wurzeln konzentriert und Preise in den unterschiedlichsten Kategorien verteilt: Business, Eventplaner, Friseure, Tänzer …
Das aus dem Stegreif ohne irgendwelche Vorerfahrung zu organisieren, ist bestimmt nicht leicht zu wuppen …
Danach hatten wir auch erst einmal eine Pause nötig, weil das Ganze doch größer wurde als gedacht. (lacht) Aber eine Neuauflage ist definitiv geplant, und womöglich werden wir kulturell erweitern. Die Verhandlungen sind jedenfalls am Laufen. Damit es gut wird, darf man aber nichts überstürzen.
Primär verstehen Sie Ihre Organisation Imani als Netzwerk für Frauen-Empowerment. Erzählen Sie uns doch ein wenig darüber …
Imani ist ein Suaheli-Name und beschreibt eine starke Frau, die ihre Kultur repräsentiert und die Menschen zusammenbringt. Es gibt viele Themen, die man sich als Frau nicht anzusprechen traut. Bei uns findet man ein offenes Ohr und kann seine Probleme und Sorgen mit anderen teilen, ohne dafür verurteilt zu werden. Wir wollten einen Ort schaffen, wo Leute zusammenkommen, um sich über die unterschiedlichsten Thematiken zu informieren und austauschen zu können – und ihnen auch die Möglichkeit bieten, dass wir sie bei Bedarf an Experten weitervermitteln. An Psychologen etwa. Das Klischee, dass man verrückt ist, wenn man zum Psychologen geht, ist leider noch immer weit verbreitet. Aber Reden tut gut, vor allem, wenn es um Tabus geht.
Um Tabus dreht sich auch eines Ihrer aktuellen Projekte …
Es ist ein Videoprojekt und nennt sich „Tell your Own Story“. Zum Beispiel erzählt eine Transgender von den Erfahrungen, die sie im Laufe der Jahre hier in Luxemburg gemacht hat. Und gerade arbeiten wir an einer Folge über Rassismus, ob in der Schule, im Job oder im Privatleben. Wir wollen niemanden bloßstellen, sondern für die Schwierigkeiten sensibilisieren, mit denen andere Menschen Tag für Tag konfrontiert werden. Trotzdem ist es natürlich nicht einfach jemanden zu finden, der bereit ist, offen über diese Thematiken zu sprechen.
Wie passt Ihre Make-up-Linie ins Bild?
Nach der Imani Award Show brauchte ich eigentlich etwas Abstand, um mir über meine genaue Vision klar zu werden. 2018 habe ich mich dann auf vermehrte Nachfrage der Mädchen, mit denen ich als Fotografin zusammengearbeitet habe, entschieden, einen Lippenstift herauszubringen. Junge Menschen sind ja sehr visuell veranlagt und das richtige Make-up ist etwas, das sie extrem motivieren kann. Als ich dann schwanger zu Hause saß und eigentlich vorhatte zu entspannen, habe ich dann doch angefangen, mich mit dem Thema Lippenstift auseinanderzusetzen, habe Zulieferer recherchiert und ein paar Samples bestellt.
Ich habe Angst, dass alles viel zu schnell vorbei sein kann. Deshalb muss man die Gelegenheiten beim Schopf packen.
Der Weg zur Mode ist von da aus nicht mehr ganz so weit …
Nachdem das Baby auf der Welt und das Make-up lanciert war, habe ich zu meinem Mann
gemeint: „Hm, ich glaube, ich bringe jetzt mal ein T-Shirt heraus.“Der Nachhaltigkeitsaspekt kam aber erst später dazu, nachdem ich eine Doku über Fast Fashion gesehen hatte und total schockiert war. Ich bin in einen Secondhandshop gegangen, habe einen Blazer gesehen und eine junge Bekannte, die das Schneidern eigentlich schon ein wenig aufgegeben hatte, dazu überredet, daraus ein neues Stück zu kreieren. Eigentlich nur für ein Shooting, um den Leuten zu zeigen, was man aus einem alten Kleidungsstück noch herausholen kann. Aber aus dem einen Blazer wurden immer mehr. Am Ende hatten wir 40 Stücke zusammen, mit denen wir dann unsere erste Runway-Show im Cercle Cité organisiert haben.
Es handelt sich um Einzelstücke?
Ob wir sie wirklich als Einzelstücke verkaufen, weiß ich noch nicht. Ich habe online schon mal nach nachhaltigen Stoffen gesucht. Dabei bin ich über ein Unternehmen in Europa gestolpert, das die übrig gebliebenen Stoffe der großen Modehäuser weiterverkauft. Die dürfen diese per Gesetz nämlich nicht mehr wegwerfen. Der Plan ist, die Outfits der Modenschau mit diesen Stoffen nachzuschneidern.