Zeitenwende in London
Die beeindruckenden Trauer-Szenen werden noch lange in Erinnerung bleiben: Manche Briten harrten mehr als 24 Stunden aus, um Queen Elizabeth II. noch einmal die letzte Ehre zu erweisen. Heute machen Staatsoberhäupter aus aller Welt der verstorbenen britischen Königin ihre Aufwartung. Doch man sollte sich von den Bildern nicht täuschen lassen. Die Anteilnahme der Briten ist weniger ein Beweis ihrer ewigen, unverbrüchlichen Treue gegenüber der Monarchie, sondern gilt vielmehr der Verehrung dieser ganz besonderen Persönlichkeit, die länger im Amt war als die meisten ihrer Untertanen auf der Welt und die auf ihre eigene, zurückhaltende und würdevoll-pflichtbewusste Art Geschichte geschrieben hat.
Elizabeth II. stand über all jenen Streitigkeiten, die die britische Politik gerade in den vergangenen Jahren dominierten, und vermittelte über die vielen epochalen Umbrüche hinweg, die das Königreich seit ihrem Amtsantritt 1952 erlebt hat, Stabilität und Kontinuität. Doch wenn die Trauerzeremonien mal enden, könnte sich der Blick auf die Monarchie rasch ändern. Denn mit dem gefühlt ewigen Thronfolger Charles III. kommt nun ein König ins Amt, der anders als seine Mutter bisher keineswegs frei von Skandalen war und sich auch gerne in die Politik einmischte. Ob es ihm gelingt, die vielen Fliehkräfte innerhalb des britischen Königreichs und des Commonwealth auf Dauer zu bändigen, die derzeit für ein paar Tage pausieren, ist mehr als fraglich.
So verneigen sich etwa viele Schotten voller Ehrerbietung vor der Queen. Aber im Oktober 2023 steht das nächste Unabhängigkeitsreferendum an. Und bleibt
Charles III. das formelle Staatsoberhaupt von 14 Commonwealth-Staaten wie den Ex-Kolonien Australien, Neuseeland oder Kanada, in denen teils lautstarke Bewegungen die Ausrufung einer Republik fordern? Denn all der royale Pomp, der in diesen Tagen der Trauer besonders prunkvoll inszeniert wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass nichts weniger repräsentativ für eine Durchschnittsfamilie ist als das Leben ihrer Repräsentanten im Buckingham Palast. Auf nicht einmal 20 Mitglieder der Königsfamilie kommen 500 Mitarbeiter. Es ist ein Betreuungsschlüssel, von dem britische Pflege- und Altenheime nur träumen können. Dieses royale Leben wird zu großen Teilen aus der Staatskasse bezahlt, obwohl das auf rund 28 Milliarden Euro geschätzte Privatvermögen der königlichen Familie eigentlich beträchtlich ist.
Paradoxerweise ist aber auch gerade dieses Abgehobene von der Realität ein Erfolgsgeheimnis von Monarchien, auf das königliche Dynastien wie die Windsors schon aus Selbsterhaltungsgründen nicht verzichten können. Elizabeth II. – die Konstante schlechthin im Leben vieler Briten – ist tot. Und Charles III. bleibt nur wenig Zeit, um sich im Amt zu beweisen. Er muss den Spagat zwischen inszenierter Volksnähe und privilegiertem Anders-Sein hinbekommen. Denn seine Sonderstellung ist nicht von Gott gegeben, sondern nur vom Volk geliehen. Und dieses kann sich auch dafür entscheiden, ein Staatsoberhaupt einzuführen, das sich durch Können und eine demokratische Wahl qualifiziert und nicht allein durch sein Geburtsrecht.