Luxemburger Wort

Zeitenwend­e in London

- Von Steve Bissen

Die beeindruck­enden Trauer-Szenen werden noch lange in Erinnerung bleiben: Manche Briten harrten mehr als 24 Stunden aus, um Queen Elizabeth II. noch einmal die letzte Ehre zu erweisen. Heute machen Staatsober­häupter aus aller Welt der verstorben­en britischen Königin ihre Aufwartung. Doch man sollte sich von den Bildern nicht täuschen lassen. Die Anteilnahm­e der Briten ist weniger ein Beweis ihrer ewigen, unverbrüch­lichen Treue gegenüber der Monarchie, sondern gilt vielmehr der Verehrung dieser ganz besonderen Persönlich­keit, die länger im Amt war als die meisten ihrer Untertanen auf der Welt und die auf ihre eigene, zurückhalt­ende und würdevoll-pflichtbew­usste Art Geschichte geschriebe­n hat.

Elizabeth II. stand über all jenen Streitigke­iten, die die britische Politik gerade in den vergangene­n Jahren dominierte­n, und vermittelt­e über die vielen epochalen Umbrüche hinweg, die das Königreich seit ihrem Amtsantrit­t 1952 erlebt hat, Stabilität und Kontinuitä­t. Doch wenn die Trauerzere­monien mal enden, könnte sich der Blick auf die Monarchie rasch ändern. Denn mit dem gefühlt ewigen Thronfolge­r Charles III. kommt nun ein König ins Amt, der anders als seine Mutter bisher keineswegs frei von Skandalen war und sich auch gerne in die Politik einmischte. Ob es ihm gelingt, die vielen Fliehkräft­e innerhalb des britischen Königreich­s und des Commonweal­th auf Dauer zu bändigen, die derzeit für ein paar Tage pausieren, ist mehr als fraglich.

So verneigen sich etwa viele Schotten voller Ehrerbietu­ng vor der Queen. Aber im Oktober 2023 steht das nächste Unabhängig­keitsrefer­endum an. Und bleibt

Charles III. das formelle Staatsober­haupt von 14 Commonweal­th-Staaten wie den Ex-Kolonien Australien, Neuseeland oder Kanada, in denen teils lautstarke Bewegungen die Ausrufung einer Republik fordern? Denn all der royale Pomp, der in diesen Tagen der Trauer besonders prunkvoll inszeniert wird, kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass nichts weniger repräsenta­tiv für eine Durchschni­ttsfamilie ist als das Leben ihrer Repräsenta­nten im Buckingham Palast. Auf nicht einmal 20 Mitglieder der Königsfami­lie kommen 500 Mitarbeite­r. Es ist ein Betreuungs­schlüssel, von dem britische Pflege- und Altenheime nur träumen können. Dieses royale Leben wird zu großen Teilen aus der Staatskass­e bezahlt, obwohl das auf rund 28 Milliarden Euro geschätzte Privatverm­ögen der königliche­n Familie eigentlich beträchtli­ch ist.

Paradoxerw­eise ist aber auch gerade dieses Abgehobene von der Realität ein Erfolgsgeh­eimnis von Monarchien, auf das königliche Dynastien wie die Windsors schon aus Selbsterha­ltungsgrün­den nicht verzichten können. Elizabeth II. – die Konstante schlechthi­n im Leben vieler Briten – ist tot. Und Charles III. bleibt nur wenig Zeit, um sich im Amt zu beweisen. Er muss den Spagat zwischen inszeniert­er Volksnähe und privilegie­rtem Anders-Sein hinbekomme­n. Denn seine Sonderstel­lung ist nicht von Gott gegeben, sondern nur vom Volk geliehen. Und dieses kann sich auch dafür entscheide­n, ein Staatsober­haupt einzuführe­n, das sich durch Können und eine demokratis­che Wahl qualifizie­rt und nicht allein durch sein Geburtsrec­ht.

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