Ist grüne Politik schlecht fürs Klima?
Mit sinkender Öl-Nachfrage fallen auch die Preise – Das kann ungewollte Folgen haben
Die USA wollen es wissen. Kein anderes Land hat laut BP Energy Report im vergangenen Jahr so viel gefördert wie die Vereinigten Staaten: 934 Milliarden Kubikmeter Gas und 711 Millionen Tonnen Öl. Die Menge bekannter Ölvorkommen konnte seit Beginn des Jahrtausends, nicht zuletzt auch dank des besonders umweltschädlichen Frackings, beachtlich gesteigert werden.
Allerdings sind der Entwicklung durchaus Grenzen gesetzt. Sollte die USA in dem Maße weiter Öl fördern, wären die derzeit gesicherten Reserven in gut zehn Jahren aufgebraucht. Russland, das mit seiner Fördermenge auf Rang zwei steht, käme bei gleichbleibender Produktion ohne die Erschließung neuer Felder auf 27 Jahre.
Mit Blick auf den Klimaschutz ist das nicht die schlechteste Nachricht. Zumal sich ja sowohl die USA als auch Russland zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen, bekannt haben. Wenn also keine neuen Ölfelder erschlossen werden, was im Übrigen von der Internationalen Energieagentur auf Grundlage einer im vergangenen Jahr erschienenen Studie auch gefordert wird, wäre das Thema Öl durch.
Das allerdings gilt längst nicht für alle. Denn auch wenn die Amerikaner seit Jahren Weltmeister in der Ölproduktion sind, so machen die dort (bekannten) vorhandenen Ölfelder nur einen Bruchteil des globalen Angebots aus. Weltweit gehen die BP-Analysten von einer nachgewiesenen Reserve in einer Größenordnung von 244 Milliarden Tonnen aus.
Knapp die Hälfte der Menge schlummert in den Tiefen des Mittleren Ostens, am meisten aber in Venezuela. Allein dort sind mehr als 17 Prozent des weltweiten Vorkommens, gefördert wird in dem südamerikanischen Land aber sehr konservativ. Bei der derzeitigen Fördermenge hätte Venezuela noch ausreichend Öl für die kommenden 500 Jahre.
Weltweit könnten die Reserven bei konstanter Fördermenge auf dem Niveau von 2021 nach Expertenschätzung noch gut 50 Jahre reichen. Im Idealfall aber lässt man es erst gar nicht darauf ankommen, diese Kapazitäten auszuschöpfen. Sonst nämlich ist das Pariser Ziel nicht zu halten.
Verzicht auf lukratives Geschäft
Der Öl- und auch der Gas- und Kohleverbverbrauch muss in den kommenden Jahren drastisch reduziert werden. Die Frage ist aber: Sind die Länder, die daran verdienen, auch gewillt, auf diese lukrativen und oft auch wichtigsten Einnahmequellen zu verzichten? Und falls nicht: Was bringt es, wenn sich ein großer Teil der Nationen dazu verpflichtet, den Einsatz fossiler Brennstoffe zu vermeiden, der Rest der Welt dazu aber (noch) nicht bereit ist?
Hinzu kommt noch ein weiteres Problem, auf das Kai Konrad, Direktor am Max-Planck-Institut
Die Weltmeere sind voll mit Plastik. für Steuerrecht und öffentliche Finanzen, in einem aktuellen Beitrag des Magazins „Max Planck Forschung“hinweist. Der Rückgang der Nachfrage in der Zukunft führe zu einem stark ansteigenden Öl- und Gasangebot in der Gegenwart und damit zu einem Preisverfall, so Konrad.
„Sinkt der Preis, steigt die Nutzung von Öl und Gas, und damit steigen auch die CO2-Emissionen in den Ländern, die sich an keinem Klimaabkommen beteiligen, und auch anderswo, bis die Nachfrage-Restriktionen aus einem Abkommen greifen“, erklärt er. Der Preisverfall mache es zudem für alternative Energieträger schwierig, sich am Markt gegen billiges Öl und Gas durchzusetzen, fügt der Wissenschaftler hinzu. Gleichzeitig sänken dadurch auch die natürlichen Innovationsanreize für grüne Technologien.
Günstiger und wieder attraktiver Aktuell lassen der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen diese Marktlogik ein wenig abstrakt wirken. Denn Öl und Gas sind derzeit aufgrund der Kriegssituation weit davon entfernt, auf dem globalen Markt verramscht zu werden. Zumindest haben westeuropäische Haushalte und Autofahrer nicht das Gefühl, mit der Nutzung fossiler Brennstoffe besonders günstig wegzukommen. Im Gegenteil: Wer die Möglichkeit hat, versucht sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen. Und Putins Angriffskrieg hat diesen Wunsch verstärkt. Was wiederum den Ausbau regenerativer Energien und damit auch den Preisverfall für Öl und Gas beschleunigen könnte. Den fossilen Energieträgern ginge die Nachfrage verloren, sie würden dadurch günstiger – und damit leider auch wieder attraktiver, was dann die Nachfrage erneut steigern könnte.
Gas und Öl nachhaltiger einsetzen Es ist ein Teufelskreis, beziehungsweise das, was Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn einst als „grünes Paradoxon“bezeichnet hat: „Bedrohen wir die Ressourcenbesitzer mit einer immer grüner werdenden Politik, die ihnen das zukünftige Geschäft kaputtmacht, kommen sie der Bedrohung zuvor und fördern ihre Bodenschätze nur noch schneller. Statt den Klimawandel zu bremsen, beschleunigen wir ihn“, so die These des umstrittenen Wirtschaftsexperten.
„Es mag paradox klingen, aber die sich allmählich verschärfenden politischen Maßnahmen, die die energetische Nutzung fossiler Kohlenwasserstoffe in der Zukunft einschränken, verkehren in der Gegenwart die gewünschten klimapolitischen Effekte eines Klimaabkommens in ihr Gegenteil“, meint dazu auch Konrad, der vor diesem Hintergrund dazu rät, Öl und Gas zu fördern, um es sinnvoll und nachhaltig einzusetzen.
Ähnlich wie eine drohende Wertlosigkeit von Öl und Gas die schnellere Förderung beflügele, führe die Perspektive einer wirtschaftlich attraktiveren zukünftigen Nutzung zu einer Zurückhaltung,
argumentiert der MaxPlanck-Forscher. Als Beispiele nennt er die Erzeugung von Wasserstoff aus Methan, das mit bis zu 99 Prozent der Hauptbestandteil von Erdgas ist.
So gebe es bereits Verfahren, bei denen kein CO2 freigesetzt werde, sondern stattdessen neben dem Wasserstoff reiner Kohlenstoff entstehe, teilweise in Form wertvoller Nanomaterialien, erklärt Konrad. Diese ließen sich für Karbonprodukte nutzen, die dann im Bauwesen, im Fahrzeugbau und in der Luft- und Raumfahrt traditionelle Materialien wie Stahl, Aluminium oder Beton ersetzen könnten.
Und was die Nutzung von Erdöl betrifft, so seien ja nicht die daraus entstehenden Kunststoffprodukte das Problem, sondern deren Weg in die Weltmeere und Müllverbrennung.
„Wenn Plastik beispielsweise am Ende seiner Nutzung in der Erde deponiert wird, also da landet, woher der Rohstoff für Plastik ursprünglich kommt, treten die negativen Umwelt- und Klimawirkungen der Plastiknutzung nicht ein“, so die Überlegung.
Ich halte die Argumentation für durchaus schlüssig, denke allerdings, dass die ganze Nachhaltigkeitsentwicklung, die wir derzeit beobachten, im Grunde alternativlos ist, wenn man den Klimawandel stoppen will“, meint dazu Nils Löhndorf, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Uni Luxemburg. „Heißt: Die fossilen Energieträger müssen im Boden bleiben“, fügt er hinzu.
Natürlich sei das ein Dilemma, räumt Löhndorf ein. „Die Länder haben nun mal diese Förderkapazitäten, möchten ihre Ware absetzen und verkaufen es dann schließlich an denjenigen, der bereit ist, es abzunehmen“, sagt er. Es sei deshalb Sache der Politik, dafür zu sorgen, dass es eben nicht zu diesen CO2-Importen komme.
CO2 konsequent besteuern
„Mit wirtschaftlichen Größen wie der EU, der USA und gegebenenfalls auch China hätten wir schon ausreichend Länder mit Gewicht zusammen, um auf Importe zu verzichten und um Unternehmen und auch ganze Länder zu besteuern, die fossile Energien einkaufen und damit schmutziger produzieren“, sagt Löhndorf. Die EU habe mit dem CO2-Zertifikate-Handel ja bereits ein probates Mittel, um einen Anreiz für Unternehmen zu schaffen, weniger CO2 auszustoßen.
„Wenn ich allerdings Importe habe, die nicht dieser Zertifizierung unterliegen, habe ich damit das Problem der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit“, gibt der Wirtschaftswissenschaftler zu bedenken. Doch gebe es auch dafür eine Lösung. „Das lässt sich zum Beispiel dadurch beheben, indem man an der Grenze pauschal eine C02-Steuer erhebt oder aber einen Importzoll für Waren, die aus einem Land ohne Zertifikate-Handel oder Ähnliches kommen“, sagt er. „Ich glaube also schon, dass es geeignete Maßnahmen gibt, um diese Effekte zu reduzieren.“
Ich glaube schon, dass es geeignete Maßnahmen gibt, um diese Effekte zu reduzieren. Nils Löhndorf, Uni Luxemburg