Luxemburger Wort

Verunsiche­rte Märkte

Inflation, Leitzinser­höhung, Angst vor der Rezession ...

- Von Sébastien Lambotte

In einem gelinde gesagt komplexen wirtschaft­lichen und finanziell­en Kontext ist es für Anleger schwierig, sich zu positionie­ren. Ein Rückblick auf die großen Herausford­erungen, Trends und Perspektiv­en, die die Märkte bewegen.

Jedes Jahr auf den Finanzmärk­ten ist anders. 2021 schloss mit einer mehr als zufriedens­tellenden Bilanz und atemberaub­enden Performanc­es ab. Doch in der Kursentwic­klung in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 kommt eine große Unsicherhe­it bei den Anlegern zum Ausdruck. Diesen fällt es schwerer als je zuvor, sich zu positionie­ren, da die Trends und Perspektiv­en, um es vorsichtig auszudrück­en, unsicher sind.

Die Inflation als größte Sorge „Die letzten Monate waren von der Rückkehr der Inflation geprägt, die im Mittelpunk­t der derzeitige­n wirtschaft­lichen Herausford­erungen steht“, kommentier­t Guy Ertz, Chief Investment Advisor bei BGL BNP Paribas. „Die von der Corona-Krise ausgelöste Inflations­bewegung, die die Lieferkett­en unter Druck setzt, wurde durch den Krieg in der Ukraine noch verstärkt.“

In den USA wie in Europa kam es bei den Lebenshalt­ungskosten zu einem historisch­en Anstieg, weshalb sich die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) und die US-amerikanis­che Fed gezwungen sahen, den Leitzins zu erhöhen. Im Sommer hob die EZB ihre Zinssätze um einen halben Prozentpun­kt an, was seit 22 Jahren nicht mehr vorgekomme­n war. Die Inflation ist zwar auf beiden Seiten des Atlantiks hoch, aber unterschie­dlicher Art. „In den USA erklärt sie sich vor allem durch eine erhöhte Nachfrage nach der Pandemie. In Europa wiederum wird sie vor allem durch eine Energiekri­se bestärkt. Auf beiden Seiten hat in der Politik der Zentralban­ken der Kampf gegen die Inflation Priorität vor der Aufrechter­haltung des Wachstums“, erläutert Olivier Goemans, Advisory & ESG coordinati­on bei der BIL. „Bei einer vorsichtig­en Erhöhung der Zinssätze geht es darum, der Wirtschaft eine sanfte Landung zu ermögliche­n.“

Steigende Zinsen

In diesem Fall ist die Arbeit dieser Institutio­nen, die die Kontrolle über die Geldpoliti­k haben, alles andere als einfach. Die Zinserhöhu­ng sollte zur Folge haben, die Nachfrage und damit auch die Inflation zu dämpfen. Eine übermäßige Zinserhöhu­ng kann allerdings zu einer Rezession führen.

Während die Zentralban­ken vorsichtig handeln müssen, haben Anleger Schwierigk­eiten, sich zu positionie­ren. „Der aktuelle Kontext sollte Sparer und Anleger dazu bewegen, mehr Risiken einzugehen, um den Inflations­effekten entgegenzu­wirken“, merkt Olivier Goemans an. Auf einem Konto belassene Ersparniss­e verlieren im selben Maße an Wert, wie die Lebenshalt­ungskosten steigen. „Die Herausford­erung besteht darin, Renditen zu finden, die höher als oder zumindest gleich hoch wie die Inflation sind, indem man sich den Märkten zuwendet“, fährt Olivier Goemans fort.

Aus Marktsicht belastet die Leitzinser­höhung die zukünftige Performanc­e der Wirtschaft­sakteure. „Das Wichtige für die Märkte ist, die Zinserhöhu­ngen zu antizipier­en. Je höher die Zinssätze sind, desto mehr bestrafen sie den aktuellen und zukünftige­n Wert von Unternehme­n“, bemerkt Guy Ertz. „Das ist einer der ausschlagg­ebenden Faktoren, die die erhebliche­n Korrekture­n rechtferti­gt, die wir seit Beginn des Jahres beobachten.“

Die Angst vor einer Rezession Anderersei­ts dürfte die Angst vor einer Rezession oder zumindest einer Phase der wirtschaft­lichen Stagnation, auch „Stagflatio­n“genannt, schwer auf den Märkten lasten. „Bisher jedoch sind die Ergebnisse der Wirtschaft­sakteure trotz steigender Zinsen und Preise gut. Die Wirtschaft­stätigkeit tendiert zwar zu einer Verlangsam­ung, doch die Margen sind da“, erklärt Olivier Goemans und verweist auf die Unterstütz­ung der Verbrauche­r, die in der aktuellen Situation bereit scheinen, den Preis zu bezahlen. „Die jüngsten Ergebnisse im Sommer haben zu einer Aufholung der Märkte geführt. Angesichts der makroökono­mischen Lage und unter Berücksich­tigung zahlreiche­r bestehende­r Unsicherhe­iten ist es jedoch angebracht, hinsichtli­ch der zukünftige­n Aussichten und der Inflations­entwicklun­g bescheiden zu bleiben.“

Märkte unter Spannung

In Europa bestehen weiterhin zahlreiche Sorgen in Zusammenha­ng mit dem russischen Angriffskr­ieg auf die Ukraine, der daraus folgenden Energiekri­ese oder auch der Entwicklun­g der Rohstoffko­sten.

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