Verunsicherte Märkte
Inflation, Leitzinserhöhung, Angst vor der Rezession ...
In einem gelinde gesagt komplexen wirtschaftlichen und finanziellen Kontext ist es für Anleger schwierig, sich zu positionieren. Ein Rückblick auf die großen Herausforderungen, Trends und Perspektiven, die die Märkte bewegen.
Jedes Jahr auf den Finanzmärkten ist anders. 2021 schloss mit einer mehr als zufriedenstellenden Bilanz und atemberaubenden Performances ab. Doch in der Kursentwicklung in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 kommt eine große Unsicherheit bei den Anlegern zum Ausdruck. Diesen fällt es schwerer als je zuvor, sich zu positionieren, da die Trends und Perspektiven, um es vorsichtig auszudrücken, unsicher sind.
Die Inflation als größte Sorge „Die letzten Monate waren von der Rückkehr der Inflation geprägt, die im Mittelpunkt der derzeitigen wirtschaftlichen Herausforderungen steht“, kommentiert Guy Ertz, Chief Investment Advisor bei BGL BNP Paribas. „Die von der Corona-Krise ausgelöste Inflationsbewegung, die die Lieferketten unter Druck setzt, wurde durch den Krieg in der Ukraine noch verstärkt.“
In den USA wie in Europa kam es bei den Lebenshaltungskosten zu einem historischen Anstieg, weshalb sich die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-amerikanische Fed gezwungen sahen, den Leitzins zu erhöhen. Im Sommer hob die EZB ihre Zinssätze um einen halben Prozentpunkt an, was seit 22 Jahren nicht mehr vorgekommen war. Die Inflation ist zwar auf beiden Seiten des Atlantiks hoch, aber unterschiedlicher Art. „In den USA erklärt sie sich vor allem durch eine erhöhte Nachfrage nach der Pandemie. In Europa wiederum wird sie vor allem durch eine Energiekrise bestärkt. Auf beiden Seiten hat in der Politik der Zentralbanken der Kampf gegen die Inflation Priorität vor der Aufrechterhaltung des Wachstums“, erläutert Olivier Goemans, Advisory & ESG coordination bei der BIL. „Bei einer vorsichtigen Erhöhung der Zinssätze geht es darum, der Wirtschaft eine sanfte Landung zu ermöglichen.“
Steigende Zinsen
In diesem Fall ist die Arbeit dieser Institutionen, die die Kontrolle über die Geldpolitik haben, alles andere als einfach. Die Zinserhöhung sollte zur Folge haben, die Nachfrage und damit auch die Inflation zu dämpfen. Eine übermäßige Zinserhöhung kann allerdings zu einer Rezession führen.
Während die Zentralbanken vorsichtig handeln müssen, haben Anleger Schwierigkeiten, sich zu positionieren. „Der aktuelle Kontext sollte Sparer und Anleger dazu bewegen, mehr Risiken einzugehen, um den Inflationseffekten entgegenzuwirken“, merkt Olivier Goemans an. Auf einem Konto belassene Ersparnisse verlieren im selben Maße an Wert, wie die Lebenshaltungskosten steigen. „Die Herausforderung besteht darin, Renditen zu finden, die höher als oder zumindest gleich hoch wie die Inflation sind, indem man sich den Märkten zuwendet“, fährt Olivier Goemans fort.
Aus Marktsicht belastet die Leitzinserhöhung die zukünftige Performance der Wirtschaftsakteure. „Das Wichtige für die Märkte ist, die Zinserhöhungen zu antizipieren. Je höher die Zinssätze sind, desto mehr bestrafen sie den aktuellen und zukünftigen Wert von Unternehmen“, bemerkt Guy Ertz. „Das ist einer der ausschlaggebenden Faktoren, die die erheblichen Korrekturen rechtfertigt, die wir seit Beginn des Jahres beobachten.“
Die Angst vor einer Rezession Andererseits dürfte die Angst vor einer Rezession oder zumindest einer Phase der wirtschaftlichen Stagnation, auch „Stagflation“genannt, schwer auf den Märkten lasten. „Bisher jedoch sind die Ergebnisse der Wirtschaftsakteure trotz steigender Zinsen und Preise gut. Die Wirtschaftstätigkeit tendiert zwar zu einer Verlangsamung, doch die Margen sind da“, erklärt Olivier Goemans und verweist auf die Unterstützung der Verbraucher, die in der aktuellen Situation bereit scheinen, den Preis zu bezahlen. „Die jüngsten Ergebnisse im Sommer haben zu einer Aufholung der Märkte geführt. Angesichts der makroökonomischen Lage und unter Berücksichtigung zahlreicher bestehender Unsicherheiten ist es jedoch angebracht, hinsichtlich der zukünftigen Aussichten und der Inflationsentwicklung bescheiden zu bleiben.“
Märkte unter Spannung
In Europa bestehen weiterhin zahlreiche Sorgen in Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der daraus folgenden Energiekriese oder auch der Entwicklung der Rohstoffkosten.