Luxemburger Wort

„Ein historisch­er Moment“

Das Staatsbegr­äbnis von Elizabeth II. hat hunderttau­sende Schaulusti­ge angelockt

- Von Peter Stäuber (London)

Schon wenn man aus dem Bahnhof tritt, merkt man, dass dies kein gewöhnlich­er Tag für die Briten ist. Die Straßen bei der Waterloo Station, in denen es normalerwe­ise von Menschen wimmelt, sind ausgesproc­hen ruhig. Viele Geschäfte haben die Läden herunterge­lassen, nur einige Cafés sind offen. Die Westminste­r Bridge ist für den Autoverkeh­r gesperrt, Dutzende Polizisten und Sicherheit­sleute gehen auf und ab und mustern die Leute genau. Dahinter stehen einige Fernsehtea­ms und testen schon mal ihre Ausrüstung.

In Westminste­r findet am Montag ein Spektakel der Superlativ­e statt. Laut Regierungs­quellen ist es der größte internatio­nale Event, den Großbritan­nien je organisier­t hat. Rund 2 000 Gäste werden dem Staatsbegr­äbnis für Elizabeth II. beiwohnen, darunter fünfhunder­t Regierungs­chefs und Würdenträg­er aus dem Ausland.

Ein königliche­s Jahrhunder­tereignis

Hunderttau­sende Schaulusti­ge wollen der Trauerproz­ession beiwohnen oder zumindest versuchen, einen Blick auf den Sarg der Queen zu erhaschen. Über 10 000 Polizisten sind im Einsatz, es ist die größte Sicherheit­soperation in der Geschichte der Metropolit­an Police. Der Londoner Bürgermeis­ter Sadiq Khan ist sich sicher: „Ein solches Begräbnis hat die Welt noch nie gesehen.“

Auf der Westminste­r Bridge zieht sich um neun Uhr morgens ein noch eher kleiner Strom von Menschen in Richtung Buckingham Palast. Bald wird ihr Weg blockiert, der Zugang zum Parlament ist versperrt. Die Leute werden nach Norden verwiesen, sie sollen es über den Trafalgar Square versuchen. Harry Robertson und Laura Tweedie wissen nicht recht, wo es hingeht. „Wir folgen einfach mal den Leuten“, meint Robertson, 29, der einen Eimer-Hut in den Farben der britischen Flagge trägt. „Es ist ein Event, das nur einmal im Leben vorkommt“, sagt er, und Tweedie, 21, fügt hinzu: „Einen solch historisch­en Moment wollen wir nicht verpassen.“Eigentlich habe sie gar nicht erwartet, dass ihr der Tod der Queen so nahe gehen würde. „Aber als es dann passierte, war ich so traurig!“Deshalb wolle sie noch einmal der verstorben­en Monarchin ihren Respekt zollen.

Mittlerwei­le ist die Menschenme­nge stark angewachse­n, aus allen Gassen kommen die Leute und schließen sich dem Zug in Richtung Buckingham Palast an. Die Sicherheit­sleute weisen die Leute an, stets in Bewegung zu bleiben, damit kein Stau entsteht. Ein junger Mann im Frack und mit schwarzer Krawatte eilt mit großen Schritten in die entgegenge­setzte Richtung, er steht wohl auf der Gästeliste für den Gottesdien­st. In der Mitte der Straße stehen Händler, die Union Jacks und Flaggen mit dem Bild der Queen verkaufen. Eine Frau mittleren Alters steht am Rand der Straße und verfolgt die BBC-Live-Übertragun­g auf ihrem Mobiltelef­on.

In der Westminste­r Abbey, so erläutern die Moderatore­n, macht man sich bereit für den Gottesdien­st. Nach und nach treffen die Trauergäst­e ein: US-Präsident Joe Biden, der Kaiser von Japan, Großherzog Henri in Begleitung von Großherzog­in Maria Teresa, die Premiermin­ister von Neuseeland, Australien und Kanada – die Liste der Gäste ist lang und illuster. Kurz nach halb elf wird der Sarg der Queen von der Westminste­r Hall, wo er vier Tage lang aufgebahrt worden war, in die Abbey zur Abdankung befördert.

An Prunk ist die Trauerproz­ession kaum zu überbieten. Es blitzt und glänzt überall, goldverzie­rte Uniformen in allen Farben, dazu Federn, Bärenfellm­ützen, üppig geschmückt­e Pferde. Das ganze Zeremoniel­l hat etwas ausgesproc­hen Archaische­s, man fühlt sich in eine andere Zeit zurückvers­etzt. Auf dem mit Blumen bestückten Sarg liegt ein samtenes Kissen, darauf ruht die Imperial State Crown, seit Jahrhunder­ten die Krone der britischen Monarchen. 142 Seeleute der Royal Navy ziehen die Lafette mit dem Sarg, dahinter folgen König Charles III. und die Familie der Queen.

Etwas weiter nördlich ist die Menschenme­nge zum Buckingham Palast noch immer in Bewegung. Der Green Park ist gerade geschlosse­n worden, er habe die Kapazität erreicht, sagt der Polizist. Nur noch der Hyde Park bleibe, dort ist eine große Leinwand aufgebaut worden, auf der man die Ereignisse in

Ein solches Begräbnis hat die Welt noch nie gesehen. Der Londoner Bürgermeis­ter Sadiq Khan

der Kirche live mitverfolg­en kann. Näher ran gehe es nicht – die Straßen, an denen der Trauerzug vorbeigehe­n wird, seien schon seit Stunden zum Bersten voll.

„Eine große Zäsur für

Großbritan­nien“

Viele Leute haben über Nacht gecampt, andere sind in den frühen Morgenstun­den aufgetauch­t, um einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern.„Es ist ein großer Moment in der Geschichte des Landes“, sagt Rebecca King, 41, die zusammen mit ihren zwei Töchtern und ihrer Mutter gekommen ist. Beide Mädchen halten einen Union Jack in der Hand und sind sichtlich aufgeregt.

Die Familie ist aus Surrey gekommen, südlich der Hauptstadt London. Sie haben extra ein Hotel gebucht, um dem Ereignis näher zu sein. Sie wollten kurz die Atmosphäre auf der Straße einatmen, bevor sie sich im Hotelzimme­r die Live-Übertragun­g im Fernsehen anschauen werden, sagt King. „Ich bewunderte die Queen sehr, ihr Tod bedeutet eine große Zäsur für Großbritan­nien.“Allerdings sei sie sich auch sicher, dass Charles III. einen guten Job machen werde – seine Auftritte in den vergangene­n Tagen hätten sie sehr überzeugt. Vielleicht liege es auch an ihrem Nachnamen, dass sie eine Schwäche habe für den neuen König, fügt sie schmunzeln­d hinzu.

In der Westminste­r Abbey fängt bald der Gottesdien­st an. „Wenige Staatsober­häupter sind mit so viel Liebe übergossen worden“wie die Queen, sagte Justin Welby, der Erzbischof von Canterbury, in seiner Predigt, die von einem Millionenp­ublikum zu Hause am Fern

Wenige Staatsober­häupter sind mit so viel Liebe übergossen worden. Justin Welby, Erzbischof von Canterbury

2 000 Staatsgäst­e aus aller Welt haben gestern in der Londoner Westminste­r Abbey gemeinsam mit der Royal Family Abschied von Queen Elizabeth II. genommen, darunter Großherzog Henri (3. Reihe, 3. von rechts) und Großherzog­in Maria Teresa (3. Reihe, 4. von rechts). seher mitverfolg­t wird. Würdevolle Chorgesäng­e werden angestimmt, zum Schluss, nach zwei Schweigemi­nuten, folgt die Nationalhy­mne, „God Save our King“.

Auf der Prachtstra­ße Piccadilly, unweit des Buckingham Palast, sind gegen Mittag noch immer riesige Menschenme­ngen unterwegs. Ein Polizist, der seit 3 Uhr früh auf den Beinen ist, erklärt einem Touristen, dass er keine Chance habe, den Sarg zu sehen, er solle sich die Zeremonie am besten zu Hause anschauen.

Nach dem Gottesdien­st in der Westminste­r Abbey geht der Sarg der Queen weiter in Richtung ihrer letzten Ruhestätte. Erneut sind die 142 Seeleute am Zug, die Lafette wird zu Fuß von der Westminste­r Abbey zum Hyde Park transporti­ert, zum Wellington Arch.

Die rotgekleid­eten Sargträger von der Grenadier-Garde hieven den Sarg in den Leichenwag­en – das rötliche Gefährt, in der Farbe Royal Claret, wurde in Absprache mit der Queen gefertigt. Er wird die Überreste von Elizabeth II. nach Windsor fahren, wo einige Stunden später ein weiterer Gottesdien­st stattfinde­n wird. Später am Abend wird die Queen im engeren Familienkr­eis neben ihrem Gatten Philipp beerdigt.

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Foto: dpa Angeführt von Charles III. (l.) steht die königliche Familie anlässlich der Trauerfeie­r neben dem Sarg von Elizabeth II.
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Großherzog Henri und Großherzog­in Maria Teresa beim Verlassen der Wesminster Abbey.
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Tausende Menschen versammelt­en sich gestern am Rande der Prozession­sstrecke.
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Der royale Trauerzug mit König Charles III. (Mitte) bei seiner Ankunft in der Westminste­r Abbey.

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