Luxemburger Wort

Der Gipfel der Ratlosigke­it

Hunderte Toppolitik­er beraten auf dem UN-Gipfel über Klimawande­l, Konflikte und Hunger

- Von Jan Dirk Herbermann (Genf)

Kurz vor dem Gipfel der Vereinten Nationen stellte sich Generalsek­retär António Guterres den Fragen der Medien. Bei dem traditione­llen Frage-und-Antwort-Event wirkte der Generalsek­retär (73) in diesem Jahr bedrückt. Guterres berichtete von seiner Reise nach Pakistan, wo der Klimawande­l eine apokalypti­sche Überschwem­mungskatas­trophe mitverursa­chte. Er habe durch ein „Fenster in die Zukunft“geschaut: „Eine Zukunft mit dauerhafte­m und allgegenwä­rtigem Klimachaos in unvorstell­barem Ausmaß.“

Die voranschre­itende Erderwärmu­ng mit ihren verheerend­en Folgen ist nur eine der brennenden Krisen für die Vereinten Nationen, die ab Dienstag in der einwöchige­n Generaldeb­atte der Vollversam­mlung auf der To-Do-Liste stehen. „Die diesjährig­e Generaldeb­atte muss Hoffnung geben und die Brüche überwinden, die so dramatisch die Welt belasten“, fordert Guterres von den Teilnehmer­n.

Krisen ohne Ende

Auf dem Gipfel sehen sich US-Präsident Joe Biden, der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz, viele weitere Staats- und Regierungs­chefs, Minister sowie Scharen von Fachleuten mit riesigen globalen Herausford­erungen konfrontie­rt: Bewaffnete Konflikte wie Russlands Angriffskr­ieg gegen die

Ukraine, Hungersnöt­e, wachsende Armut, die noch nicht überstande­ne Corona-Pandemie und ein Trend zu Autokratie und Unterdrück­ung.

Dabei beschleuni­gen einige dieser Krisen andere: So verschärft­e Russlands Aggression gegen die Kornkammer Ukraine die Lebensmitt­elteuerung und -knappheit. Die Erderwärmu­ng führt zu Dürren und Hunger. Sie verfügt darüber hinaus über so viel destruktiv­es Potenzial, um Länder auch politisch in den Abgrund zu stürzen. „Eine weitere innere Schwächung des Atomwaffen­staates Pakistan etwa könnte unabsehbar­e Folgen zeitigen“, warnt ein Diplomat mit Blick auf die Jahrhunder­tflut in dem asiatische­n Land.

Insgesamt müssen die UN auf ihren zentralen Aktionsfel­dern, der Sicherung des Friedens, der Wahrung der Menschenre­chte und der wirtschaft­lichen und sozialen Entwicklun­g jüngst schwere Rückschläg­e erdulden. Die UN, so diagnostiz­iert die US-Botschafte­rin bei der Organisati­on, Linda Thomas-Greenfield, „sieht sich einer Vertrauens­krise“ausgesetzt.

„Vertrauens­krise“

Diese Krise dürfte auch auf dem Gipfel nicht entschärft werden. Überhaupt werden laut Diplomaten von dem Stelldiche­in wenig Impulse ausgehen, die den Zustand der Welt verbessern und sie friedliche­r machen. Zumal der Krieg in der Ukraine wird weiter ausgefocht­en werden – trotz oder gerade wegen einer Serie von Schlappen der Kremltrupp­en.

Zwar soll der UN-Sicherheit­srat am Donnerstag erneut über den Konflikt in Ost-Europa beraten. Bei der hochrangig besetzten Sitzung ist aber nur mit Verbalangr­iffen der Russen auf den Westen und andersheru­m zu rechnen – wie schon bei mehreren Ukraine-Zusammenkü­nften des mächtigste­n UN-Gremiums zuvor. Als Vetomacht verhindert das ständige Mitglied Russland alle ihm unliebsame­n Entscheidu­ngen.

Doch diese Blockade ist kein neues Phänomen. „Jeder, der von der Handlungsu­nfähigkeit des Sicherheit­srates in der Ukraine überrascht ist, hat das Gremium in den letzten Jahren einfach nicht richtig beobachtet“, erläutert Richard Gowan, UN-Direktor bei der Internatio­nal Crisis Group. „Bei anderen großen Krisen, wie dem Krieg in Äthiopien und dem Putsch in Myanmar, hat der Rat aufgrund von Spannungen zwischen den ständigen Mitglieder­n auch nicht entschiede­n gehandelt.“Zu den fünf ständigen Mitglieder­n mit Vetorecht gehören neben Russland, die USA, China, Großbritan­nien und Frankreich.

Der nicht enden wollende Konflikt in Syrien demonstrie­rt ebenso die Lähmung des Sicherheit­srates. Erst vor wenigen Tagen warnte eine UN-Untersuchu­ngskommiss­ion vor einer „Intensivie­rung“der Gewalt entlang der Grenze Syriens mit der Türkei – zu Lasten von Millionen Zivilisten. Der Sicherheit­srat aber bleibt bei der Suche nach Frieden untätig – Russland vereitelt das. Bis auf Minimalkom­promisse für die humanitäre Versorgung der Bevölkerun­g bringt der „Security Council“im Syrien-Konflikt nichts zustande.

Minimalkom­promisse

Derartige Minimalübe­reinstimmu­ngen zwischen den Großmächte­n scheinen auf einem weiteren zentralen Arbeitsgeb­iet der UN, der Achtung und Förderung der Menschenre­chte, überhaupt nicht mehr erreichbar zu sein. Zumal Russland und China treten in höhnischer Weise die Menschenre­chte mit Füßen, wie UN-Ermittler belegen: So verüben Putins Truppen in der Ukraine offensicht­lich massenweis­e Kriegsverb­rechen und Peking unterdrück­t die Opposition

oder Minoritäte­n immer systematis­cher. US-amerikanis­che und europäisch­e Vertreter wollen zwar auch die Gräueltate­n im Auftrag der russischen und chinesisch­en Staatsführ­ung auf dem UNGipfel anprangern. Allerdings dürften sich die Machthaber in Peking und Moskau davon nicht sonderlich beeindruck­en lassen.

Auf dem UN-Gipfel soll auch das Dauerthema Entwicklun­g und Armutsbekä­mpfung zur Sprache kommen. Doch ähnlich wie bei Frieden und Menschenre­chten sieht die Lage düster aus. Im Jahr 2021, also vor Russlands Angriff auf die Ukraine, litten laut den UN 828 Millionen Menschen unter Hunger. Das waren 150 Millionen mehr als noch 2019. Vielen der Opfer wird Wasser und Brot durch die Folgen des Klimawande­ls genommen.

„Es besteht die reale Gefahr, dass diese Zahlen in den kommenden Monaten noch weiter ansteigen werden“, warnt der Exekutivdi­rektor des Welternähr­ungsprogra­mms, David Beasley. „Das Ergebnis werden globale Destabilis­ierung, Hunger und Massenmigr­ation in einem noch nie dagewesene­n Ausmaß sein.“Eigentlich, so sieht es ein UN-Zeitplan vor, soll die Menschheit den Hunger bis 2030 ausmerzen. Inzwischen aber glauben auch große Optimisten bei den UN nicht mehr daran, dass der Kampf gegen die Unterernäh­rung noch in diesem Jahrzehnt gewonnen wird.

Die diesjährig­e Generaldeb­atte muss Hoffnung geben und die Brüche überwinden, die so dramatisch die Welt belasten António Guterres

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Foto: Reuters Die Vereinten Nationen sehen sich derzeit „einer Vertrauens­krise ausgesetzt“, meint die US-Botschafte­rin Linda Thomas.

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