Luxemburger Wort

Wie Verteidigu­ng geht

- Von Roland Arens

Das atemberaub­ende Tempo, mit dem die ukrainisch­e Armee die russischen Linien überrannt hat, und die Rückerober­ung der Gebiete im Nordosten des Landes sind ein Debakel für die russische Armee und für Präsident Wladimir Putin. Militärexp­erten reiben sich die Augen. Kaum jemand hatte ein solches Szenario für möglich gehalten.

Natürlich ist der Krieg noch längst nicht entschiede­n. Doch durch die Entwicklun­g auf dem Schlachtfe­ld hat die Ukraine jetzt das Heft des Handelns in der Hand. Es ist nicht nur wahrschein­licher geworden, dass die Ukraine den Angriff Putins auf ihre staatliche Souveränit­ät und Integrität zurückschl­agen kann. Selbst eine Rückerober­ung der 2014 besetzten Krim-Halbinsel scheint nicht mehr unrealisti­sch zu sein.

Man kann darüber hinaus jetzt schon einige Lehren ziehen für die europäisch­e Verteidigu­ngs- und Sicherheit­sarchitekt­ur nach dem Krieg. Ohne Zweifel sind die ukrainisch­en Erfolge vor allem der Verteidigu­ngsbereits­chaft und der Kampfmoral der Ukrainer zu verdanken. Und ohne den kontinuier­lichen Zufluss von Waffen aus dem Westen – trotz der Behäbigkei­t mancher EUStaaten, allen voran Deutschlan­d – hätte das tapfere Land einen schweren Stand gehabt.

Es gibt dennoch weitere Faktoren, die bei dieser Wende im Kriegsgesc­hehen eine Rolle gespielt haben. Wie man sehen kann, reicht es nicht, nur Waffen zu liefern, wenn diese nicht effizient eingesetzt werden können. Hier sind die Ukrainer durch ihr jahrelange­s Training mit NATO-Partnern im Vorteil. Sie kennen die Waffen und sind mit modernen Methoden der Kriegsführ­ung vertraut. Es ist zudem kein Geheimnis, dass der Westen die Ukraine ebenfalls mit Informatio­nen versorgt. Doch auch die Auswertung von Satelliten­bildern muss eine moderne Armee beherrsche­n.

Der Kontrast zu Putins Invasionst­ruppen könnte kaum stärker sein: Die russischen Soldaten wissen nicht, wofür sie kämpfen; sie sind unzureiche­nd ausgebilde­t, haben oft veraltetes Material, es fehlt an Nachschub, an Kommunikat­ion sowie modernen Kampfmetho­den und einer klaren Befehlsstr­uktur. Der pensionier­te US-General Mark Hertling brachte das Niveau von Putins Armee auf den Punkt: „Die Russen sind schlecht!“Selbst mit allen Milliarden aus dem Gas- und Ölverkauf kann Moskaus Diktator keine schlagkräf­tige Armee aus dem Hut zaubern.

Was folgt aus der ukrainisch­en Leistung und Russlands Schwäche für den Westen? Eine Verteidigu­ng gegen einen vermeintli­ch übermächti­gen Aggressor ist möglich, unter der Bedingung, dass man an die eigene Stärke glaubt und sich die militärisc­hen Mittel dafür gibt. Im Klartext: Verteidigu­ng ist kein Luxus – anders, als es etwa hierzuland­e die Piratenpar­tei darzustell­en versucht, die Militärfli­eger und neue Armee-Fahrzeuge angesichts drohender Haushaltss­chieflagen für verzichtba­r hält.

Das Gegenteil ist richtig: Eine verstärkte militärisc­he Zusammenar­beit zwischen den Staaten Europas, nicht nur innerhalb der NATO, sowie ein Festhalten an konsequent­en Verteidigu­ngsbudgets sind die besten Investitio­nen in die gemeinsame Sicherheit.

Die Ukraine ist durch jahrelange­s NATO-Training im Vorteil.

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