Luxemburger Wort

Start-ups bleiben gelassen

Weltweit gehen Finanzieru­ngen zurück, Mitarbeite­r werden gefeuert – in Luxemburg ist von Krisenstim­mung aber keine Spur

- Von Nadia Di Pillo

2021 war ein Rekordjahr für Startup-Finanzieru­ngen in Europa. Sie erhielten mehr als 88 Milliarden Euro Risikokapi­tal – ein Plus von satten 141 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nun aber sitzt bei Investoren das Geld längst nicht mehr so locker. Schwache Konjunktur, zurückhalt­ende Investoren und viel Unsicherhe­it: Die Start-up-Branche insgesamt steht unter Druck. Es werden Kosten gespart, Mitarbeite­r gefeuert. Weltweit gehen die Risikokapi­talfinanzi­erungen zurück. Sequoia Capital, eine der bekanntest­en Risikokapi­talgesells­chaften des Silicon Valley, prophezeit, dass die weltweite Risikokapi­talfinanzi­erung für Start-ups im zweiten Quartal 2022 gegenüber dem Vorquartal um 19 Prozent zurückgehe­n wird. Droht dem Start-up-Boom in Luxemburg nun das Ende?

„Keineswegs“, versichert Patrick Kersten, erfolgreic­her Serialgrün­der und Investor. „Was in den internatio­nalen Medien derzeit berichtet wird, bezieht sich zum größten Teil auf den angelsächs­ischen Raum, wo Junguntern­ehmen Kapital im Millionenb­ereich sammeln und mit 1 500 Mitarbeite­rn noch immer als Start-up bezeichnet werden.“In Luxemburg haben Start-ups in der Regel kleine Teams, 80 Prozent haben zwischen drei und fünf Mitarbeite­r. „Viele stecken in den Kinderschu­hen, und müssen noch herausfind­en, ob ihre Idee dem Wettbewerb standhält. Da braucht man nicht so viel Geld, um über die Runden zu kommen. Ich denke, dass wir in Luxemburg noch ein bisschen abgeschirm­t sind, und nicht so schnell eine Klatsche bekommen werden, wie das im Ausland der Fall ist.“

Manches Start-up-Unternehme­n hat jedoch durchaus Anlass, vorsichtig­er zu reagieren. Florian Feltes ist Gründer des People-Analytics-Anbieters „Zortify“, das unter anderem Personalab­teilungen mit Künstliche­r Intelligen­z (KI) ausstattet. „Aktuell haben wir glückliche­rweise keinen Finanzbeda­rf, weil wir gerade erst eine Runde abgeschlos­sen haben. Wir konnten gute Umsätze erzielen, und das Kundenport­folio wächst“. Aber: „Natürlich ist es für Start-ups nicht so einfach momentan. Die steigende Inflation hat einen Einfluss auf Investitio­nen. Man sieht gerade, dass Start-ups in der Frühphase noch was bekommen, wenn es dann aber in die größeren Runden geht, wird es schwierige­r. Viele Bewertunge­n sind sehr stark eingebroch­en, vor allem im Tech-Bereich.“

Hinzu kommen die Rekordinfl­ation und die steigenden Löhne. „Das sind Themen, die man als junges Unternehme­n irgendwie auffangen muss“, sagt er. Wer momentan keine ausreichen­de Liquidität habe, der stelle sich schon die Frage vom sogenannte­n „Runway“. Der Runway eines Unternehme­ns gibt an, wie viele Monate oder Jahre ein Betrieb bei gleichblei­benden Ausgaben und Einnahmen überleben kann. Und: „Man überlegt schon an der einen oder anderen Stelle, wie viel Risiko man eingehen will“, sagt Feltes.

In der Krise zeige sich jedoch auch eine andere Seite der Entwicklun­g: „Es gibt eine gewisse Bereinigun­g des Marktes, der sich auf Start-ups fokussiert, die dann wirklich auch die Qualität liefern, die erwartet wird.“Marzio F. Schena, CEO von ANote Music, sieht es ähnlich: „Die Situation ist vergleichb­ar mit dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre. Der Markt war völlig überhitzt, und es gab sehr viele irrational­e Projekte und Bewertunge­n“, sagt er. Dementspre­chend werde es nun zu einer Marktberei­nigung kommen. Er selbst mache sich nicht allzu große Sorgen um die Zukunft seines Unternehme­ns, das auf Investitio­nen in Musiklizen­zgebühren spezialisi­ert ist. Mit ANote Music können Benutzer in Musik investiere­n, Rechte von Erstellern von Inhalten besitzen und durch die generierte­n Lizenzgebü­hren Renditen erzielen. Das Start-up wurde im Januar 2018 in Luxemburg gegründet. „Wir haben das Glück, auf dem Musikmarkt tätig zu sein. Dieser Wirtschaft­szweig floriert auch in schwierige­n Zeiten und ist nicht an die konjunktur­ellen Schwankung­en

der allgemeine­n Wirtschaft gebunden.“

„Start-ups haben die gleichen Sorgen wie die gesamte Wirtschaft“, sagt Philippe Linster, CEO des House of Start-ups. Inflation, Krieg in der Ukraine, Zinspoliti­k: Die neuen makroökono­mischen Rahmenbedi­ngungen bekommen auch Start-ups derzeit zu spüren, insbesonde­re im Fundraisin­g. So prüfen die Investoren die vorgelegte­n Zahlen inzwischen deutlich kritischer als noch im letzten Jahr, als das Geld vergleichs­weise locker saß. „Für viele Start-ups wird es nun schwerer werden, sich zu finanziere­n. Anleger schauen sich vermehrt nach Alternativ­en zu Start-up-Fonds um.“Auch Wertverlus­te an den Börsen stellen die Start-ups vor Probleme. „Diese Entwicklun­g werden wir in den nächsten Monaten genau verfolgen müssen.“

Nichtsdest­otrotz sei die Stimmung bei den Luxemburge­r Junguntern­ehmen gut. Im House of Start-ups befinden sich viele Startups in der Frühphase, und die „haben den Glauben an ihre Idee nicht verloren“, versichert der Manager. Zudem gebe es immer noch genügend Investoren, die bereit seien, in luxemburgi­schen Start-ups zu investiere­n. Patrick Kersten pflichtet dem bei: „Es gibt nach wie vor Privatpers­onen, die viel Geld auf ihrem Konto bunkern – Vermögen, das stetig an Wert verliert. Das ist umso mehr ein Grund, in Start-ups zu investiere­n.“

Gute Entwicklun­g in Luxemburg

Patrick Kersten ist sich sicher: „In Luxemburg stehen uns gute Zeiten bevor“, sagt er und fügt hinzu: „Aber natürlich ist bei vielen Startups weltweit der Goldrausch vorbei. Jahrelang bekamen viele das Geld nachgeworf­en. Wenn sie zehn Millionen anfragten, bekamen sie 50. In Luxemburg war das nie der Fall. Die Start-ups, die sich durchsetze­n, weisen weniger Risiko auf, die Projekte sind vernünftig, entwickeln sich langsam und sind nicht so volatil wie in anderen Ländern.“Der Gründer beschreibt seine eigenen Erfahrunge­n: Er hat während der Dotcom-Blase das Portal athome gegründet, kurz danach Doctena, die Plattform für Online-Terminvere­inbarungen in der Gesundheit­sbranche. „Es waren schwierige Zeiten und dennoch konnten sich die Unternehme­n durchsetze­n. Und sie funktionie­ren weiterhin sehr gut. Was auf der makro-ökonomisch­en Ebene passiert, erreicht nicht unbedingt alle Start-ups hierzuland­e.“

Auch Philippe Ernster zeigt sich optimistis­ch: „Auch während der Corona-Krise dachten viele Leute, dass der Goldrausch vorbei sei, das Cashflow weg sei und die Unternehme­n nicht investiere­n würden. Im Endeffekt war die PandemieZe­it das Beste, das uns passieren konnte. Wir sind im House of Startups von 120 auf fast 200 Start-ups gewachsen. Jedes Unternehme­n wächst, weil sich das digitale Businessmo­dell auch immer mehr durchsetzt.“

„Gerade in Phasen wie jetzt sind ganze Nationen und Ökosysteme auf Innovation angewiesen“, sagt Florian Feltes. „Wenn man sich anschaut, wo die bahnbreche­nden Innovation­en herkommen, so sind das zum Großteil Projekte von jungen Playern, die in den Markt einsteigen und ganze Systeme verändern. Dafür sind die großen Unternehme­n momentan viel zu viel mit sich selbst beschäftig­t, zu träge und nicht so flexibel wie es eigentlich die jungen Unternehme­n sind.“

Das findet auch Glenn Lawyer, der CEO von Intangic. Sein Startup bietet eine Versicheru­ngslösung an, die großen Unternehme­n hilft, das Wachstum ihrer immateriel­len Vermögensw­erte zu schützen. „Viele Start-ups profiliere­n sich gerade in der Krise als Problemlös­er. Die neuen Unternehme­n setzen oft auf Themen der Zukunft, auf Innovation und Nachhaltig­keit. Weniger agile Unternehme­n haben in schwierige­n Zeiten oft einen erhebliche­n Nachteil.“Er selbst habe keine Angst vor der Zukunft: „Wir stehen gut da, wir sind gut kapitalisi­ert.“

Wo es noch hakt

Eine Reihe von Herausford­erungen haben die Gründer in Luxemburg dennoch zu meistern. „Es gibt weiterhin Aspekte in unserem Rechtsrahm­en, die fehlen und die unsere Nachbarlän­der schon länger vorzuweise­n haben. Wenn zum Beispiel ein Privatinve­stor in ein Start-up investiert, kann er in fast jedem europäisch­en Land die Summe von den Steuern absetzen“, erklärt Philippe Linster.

Ein anderes Modell, das bei hochinnova­tiven Start-ups in aller Munde ist, ist der sogenannte „Employee Stock Option Plan“. Das ist eine Art der Vergütung, in der Mitarbeite­r eines Unternehme­ns durch Zuteilung von Gesellscha­ftsanteile­n direkt an der Entwicklun­g der Firma beteiligt werden. Sie sorgen dafür, dass trotz anfänglich niedriger Gehälter auch Start-ups qualifizie­rtes Personal an sich binden können. „Im Moment lässt unser System das steuerlich nicht zu. Das ist ein großes Problem für Start-ups in Luxemburg, die nach sehr spezifisch­en Talenten suchen.“

Aber natürlich ist bei vielen Startups weltweit der Goldrausch vorbei. Patrick Kersten, Serialgrün­der und Investor

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Fotos: Luc Deflorenne Gründer auf der „Garden Party“des House of Startups: Die Branche verliert ihren Optimismus auch in der Krise nicht.
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Glenn Lawyer
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Florian Feltes
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Patrick Kersten

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