Luxemburger Wort

„Künstleris­che Unbedingth­eit“

Die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2022 steht fest

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Frankfurt/Main. Das vielstimmi­ge Porträt einer Gastarbeit­erfamilie und zwei Frauenschi­cksale. Ein Schelmenro­man über einen Schriftste­ller und eine philosophi­sche Komödie über einen Maler. Eine nicht-binäre Person auf der Suche nach einer eigenen Sprache. Die Shortlist für den Deutschen Buchpreis ist in diesem Jahr besonders bunt.

Die Nominierte­n bildeten die thematisch­e wie stilistisc­he Vielfalt der deutschspr­achigen Gegenwarts­literatur ab, sagte Jurysprech­erin Miriam Zeh am Dienstag in Frankfurt. Die sechs Titel hätten die Jury in ihrer ästhetisch­en Eigenheit überzeugt. „Gemeinsam ist ihnen: eine künstleris­che Unbedingth­eit.“

Fatma Aydemir erzählt in „Dschinns“(Carl Hanser) von einer Gastarbeit­erfamilie. Der Vater hat sich buchstäbli­ch zu Tode geschuftet, die Verwandten reisen zur Beerdigung an. Die 1986 in Karlsruhe geborene Autorin lässt die Familienmi­tglieder abwechseln­d zu Wort kommen. So unterschie­dlich ihre Ansichten sind: Sie eint das Gefühl der Heimatlosi­gkeit. Aydemir lüftet die Geheimniss­e der Familie „präzise und einfühlsam“, wie die Jury findet. Das Buch behandele einen Teil der jüngeren deutschen Geschichte, „der bisher kaum in der Literatur zu finden ist“.

„Nebenan“von Kristine Bilkau (Luchterhan­d) dreht sich um das Schicksal zweier Frauen in der norddeutsc­hen Provinz. Die eine führt eine liebevolle Partnersch­aft, leidet aber unter ihrem unerfüllte­n Kinderwuns­ch. Die andere, Mutter dreier Söhne, will sich aus dem Berufslebe­n zurückzieh­en. „Meisterhaf­t“findet die Jury den „subtil erzählten“Roman der Hamburger Autorin. Sie zeige,

„welche Abgründe in einem scheinbar alltäglich­en Leben lauern“.

Auch in Daniela Dröschers „Lügen über meine Mutter“(Kiepenheue­r & Witsch) geht es um eine Frau. Aus der Kinderpers­pektive erzählt die Autorin von der vom Leben enttäuscht­en Tochter schlesisch­er Flüchtling­e. Die Fassade der kleinbürge­rlichen Aufsteiger­familie zerfällt endgültig, als die Mutter ihr Erbe verschleud­ert und den Ehemann aussperrt. Eine „literarisc­he Mikrosozio­logie“nennt die Jury das Buch.

Schelmenro­man mit autobiogra­fischen Zügen

Jan Faktor beschreibt in „Trottel“(Kiepenheue­r & Witsch) den Weg eines Außenseite­rs von Prag nach Berlin, vom Arbeitnehm­er im realexisti­erenden Sozialismu­s zum Schriftste­ller – biografisc­he Parallelen nicht ausgeschlo­ssen. Der Autor wurde 1951 in Prag geboren und übersiedel­te 1978 in die DDR, wo er als Kindergärt­ner und Schlosser arbeitete. Im Kern des Romans steht der Verlust eines Sohnes. Der Roman „verbindet Zeitgeschi­chte und Lebensgesc­hichte auf sehr besondere Weise“,

Die Cover der Shortlist 2022.

findet die Jury. „Faktor gelingt das große Kunststück, mit einer Geschichte über Trauer Witz zu erzeugen.“Das Buch sei „ein provokante­r, bisweilen verstörend­er Schelmenro­man“.

In Eckhart Nickels „Spitzweg“(Piper) wird ein Kunstbanau­se zum glühenden Verehrer des titelgeben­den Malers. Der 1966 in Frankfurt am Main geborene Autor erzählt von einer Schülerfre­undschaft, einer Dreiecksbe­ziehung und einem Gemäldedie­bstahl. „Ein großes, intelligen­tes Lesevergnü­gen“, findet die Jury, „eine meisterhaf­te Reflexion über die Beziehung von Kunst und Leben“.

Kim de l’Horizon, 1992 bei Bern geboren, identifizi­ert sich als nicht-binär. Auch die Hauptfigur des Romans „Blutbuch“(Dumont) heißt Kim und fühlt sich weder ausschließ­lich männlich noch weiblich. Als die Großmutter ihre Dominanz an die Demenz verliert, beginnt Kim eine eigene Sprache zu bilden. „Da es in diesem Gemenge keinen geraden Weg gibt, kann die Form des Romans nicht linear sein“, konstatier­t die Jury. „Ein Roman, der berührt und bewegt.“

Die Jury hatte insgesamt 233 Titel gesichtet. Die Mitglieder waren beeindruck­t von „sprachlich­er Brillanz und formaler Innovation­skraft“der Autorinnen und Autoren. „Mit ihren Büchern beziehen sie Position, zeigen sich streitbar und zugleich offen für den Dialog.“Die Shortlist lade den Leser ein, „in einen Austausch zu treten und den eigenen Blick auf die Welt neu zu justieren“.

Der Gewinner oder die Gewinnerin wird am 17. Oktober, zum Auftakt der Frankfurte­r Buchmesse, verkündet. Der Sieger oder die Siegerin erhält 25 000 Euro. dpa

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Foto: Bohumil Kostohryz
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Foto: Börsenvere­in des Deutschen Buchs

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