„Wir leben“
Russlands Fußball täuscht Normalität vor und bestreitet ein Testspiel in Kirgistan
Der russische Fußball hat noch Freunde. Bishkek, die Hauptstadt Kirgistans, liegt fast 3 000 Kilometer von Moskau entfernt und soll an diesem Samstag Schauplatz für das erste Testspiel des international isolierten WM-Gastgebers von 2018 seit dem Überfall auf die Ukraine im vergangenen Februar sein. „Es ist wichtig zu zeigen, dass wir leben“, sagte Nationaltrainer Valeriy Karpin, dessen Nationalteam sich im Trainingszentrum von Novogorsk auf die Reise in die ehemalige Sowjetrepublik vorbereitet. Viel dringt nicht nach außen.
Fotos vom Training im Flutlicht und Meldungen über verletzte Profis bilden eine Normalität ab, die aus westlicher Sicht nicht normal sein kann. Von den Wettbewerben der Europäischen Fußball-Union UEFA und des Weltverbands FIFA ist das russische Nationalteam ausgeschlossen. Der einst enorm einflussreiche russische Verband RFS versucht aber die Rückkehr auf die Fußballbühne durch die Hintertür. In der heimischen Liga wird ohnehin ohne jede Einschränkung gespielt.
Unter den aktuellen Bedingungen ist es schon ein Erfolg, gegen Kirgistan zu spielen. Nationaltrainer Valeriy Karpin
Kirgistan sowie WM-Teilnehmer Iran im November stehen als Testspielgegner fest, um eine kurz vor der WM in Katar angesetzte Partie gegen Bosnien-Herzegowina gibt es derzeit große Verwerfungen. Die Starspieler der nach St. Petersburg eingeladenen Gäste um Edin Dzeko und Miralem Pjanic haben ihre Weigerung angekündigt, in Bosnien werden innenpolitische Diskussionen geführt. Der ukrainische Fußball beobachtet die Entwicklung mit großer Sorge.
„Dringend“forderten die großen Namen des ukrainischen Verbands um Andriy Shevchenko den bosnischen Trainerstab zum Boykott auf. „Wir kämpfen für die Zukunft der gesamten demokratischen, zivilisierten Welt, zu der auch Bosnien-Herzegowina gehört“, steht in einem offenen Brief. Die Partie der Ukrainer in der WM-Qualifikation Mitte November 2021 in Zenica war die letzte vor der russischen Invasion.
In Russland ist die Empörung groß, dass überhaupt diskutiert wird. „Unter den aktuellen Bedingungen ist es schon ein Erfolg, gegen Kirgistan zu spielen“, äußerte Karpin. Der Duma-Abgeordnete Dmitry Pirog von der Kremlpartei Geeintes Russland beklagte im Gespräch mit der Zeitung „Sport-Express“wieder „antirussische Gefühle“. Soll der Verband doch Gegner aus Lateinamerika oder Afrika einladen. „Das Niveau solcher Mannschaften wie Chile, Kolumbien, Ecuador, Nigeria oder Kamerun steht Bosnien in nichts nach. Ich sehe keine Tragödie im
Falle einer Absage des Spiels mit Bosnien.“
Kein EM-Qualifikation
Die UEFA teilte mit, Freundschaftsspiele seien nicht Teil der UEFA-Wettbewerbe und fielen deshalb nicht in die Verantwortlichkeit des Verbandes. Das angedachte Bosnien-Spiel stehe „nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des UEFA-Exekutivkomitees, russische Mannschaften von UEFA-Wettbewerben auszuschließen“. Wie der RFS gestern selbst mitteilte, wird der Verband wegen der Sanktionen nicht an der
Auslosung der Qualifikation zur EM 2024 in Deutschland teilnehmen. Gezogen werden die Lose am 9. Oktober. Vor vier Jahren hatten die Russen die WM ausgerichtet.
Das UEFA-Entscheidergremium tagte gestern auf der kroatischen Insel Hvar. Weil nur die Mannschaften, nicht aber der russische Verband suspendiert sind, gehört auch Alexander Dyukov, der ehemalige Vorsitzende von Zenit St. Petersburg noch zum UEFAExko. Das ukrainische Mitglied Andriy Pavelko war beim UEFAKongress Mitte Mai in Wien in Schutzweste und nahe an einem
Bombenkrater stehend nur per Video zugeschaltet.
Der „Guardian“berichtete am Montag von einem Schreiben des russischen Verbands an die UEFA mit der Forderung, den ukrainischen Nationaltrainer Oleksandr Petrakov zu sperren. Petrakov hatte der Zeitung in einem Interview im April gesagt: „Ich dachte, wenn sie nach Kiew kommen, nehme ich eine Waffe und verteidige meine Stadt“. Die Duma-Abgeordnete Svetlana Zhurova reagierte empört: „Das ist ein Aufruf zum Töten. Dafür sollte es eine strafrechtliche Verfolgung geben.“dpa