Beispiellos
Deutschland verstaatlicht den Gaslieferanten Uniper – und die Regierenden streiten öffentlich um die Gasumlage
Robert Habecks Stirn ist sorgengefurcht. Das ist, einerseits, verständlich – denn bei dem Geschäft, das der deutsche Minister für Wirtschaft und Klimaschutz gerade verkündet, geht es, zusammengerechnet, um 25 bis 30 Milliarden Euro, die Deutschland ausgeben muss; zum Vergleich: Der ganze Bundeshaushalt 2022 umfasst Ausgaben von 495,79 Milliarden. Andererseits bewahrt die Übernahme des Energiehändlers Uniper 40 Prozent aller Gaskunden in Deutschland vor möglicherweise kalten Wohnungen im Winter oder gar Produktionsstillständen.
Energieversorger profitieren alle
Der Umfang dieser Verstaatlichung ist für Deutschland so beispiellos wie die ganze Lage der Republik in ihren 73 Jahren. Die Versorgung mit Gas und Strom ist gefährdet wie nie; und anders als während der Berlin-Blockade in den zehn Monaten vor Republikgründung gibt es diesmal keine Luftbrücke. Die rot-grün-gelbe Bundesregierung muss alleine dafür sorgen, dass der Energiebedarf gesichert ist. Uniper – 2016 als Tochter des Stromkonzerns Eon gegründet und 2017 an den finnischen Staatskonzern Fortum verkauft – verliert aktuell täglich Millionen von Euro. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, den darauffolgenden Sanktionen und dem kompletten Lieferstopp durch die Pipeline Nord Stream 1 seit 1. September funktioniert das Geschäftsmodell nicht mehr: billiges Gas aus Russland. Für die Ersatzkäufe am Weltmarkt reichen die Einnahmen aus den oft langfristigen Verträgen mit den Abnehmern nicht.
Um Uniper – und weitere GasGroßhändler – zu stützen, hatte Wirtschaftsminister Habeck eigentlich auf die sogenannte Gasumlage gesetzt. Mit ihr soll das Kostenplus auf die Verbraucher umgeschlagen werden – exakt 2,419 Cent pro Kilowattstunde. Ein Single mit 50-Quadratmeter-Wohnung und durchschnittlichem Gasverbrauch müsste etwa 150 Euro zahlen pro Jahr.
Spätestens seit sich herausstellte, dass auch Energieversorger von der Umlage profitieren wollten und konnten, die gar keine wirtschaftlichen Probleme haben, stehen Umlage – und Habeck – in der Kritik. Aber obwohl sie zur Rettung gedacht war – und Uniper ja jetzt gerettet ist: Wegfallen – wie es die Kanzlerpartei SPD gerne hätte, nicht aber, wie es heißt, Bundeskanzler Olaf Scholz – soll die Umlage nicht. Habeck kündigt am Mittwoch früh ihr Inkrafttreten an wie geplant: zum 1. Oktober. Schon weil, sagt er, die Uniper-Übernahme erst in drei Monaten wirklich abgeschlossen sein werde. Und das Unternehmen bis dahin ja weiter Verluste mache.
Bei der SPD denkt zwei Stunden später die parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast laut nach: „Passt das zusammen?“Sie meint, dass die verstaatlichte Uniper von der vom Staat verordneten Umlage profitiert. Für die Opposition ruft der Energie-Experte der Union, Andreas Jung, ein lautes Nein: „Holzweg“heißt er die Umlage. Und „vor die Wand gefahren“. Der oberste Christsoziale in Berlin, Alexander Dobrindt, nennt „eine Gasumlage für ein Unternehmen in staatlicher Hand … eine neue Steuer“. Und deswegen unmissverständlich – tot.
Der Grüne Habeck selbst hält das für eine „finanzverfassungsrechtliche
Frage“. Und bezeichnet am Morgen deren „Prüfung“durch das FDP-geführte Bundesfinanzministerium „noch nicht abgeschlossen“. Am Mittag behauptet dessen Hausherr und Vizevizekanzler Christian Lindner: „Es gibt keine weitere Prüfung, sie ist abgeschlossen.“Kurz darauf erklärt eine Sprecherin des Habeck-Ministeriums, es liege „bislang kein schriftliches juristisches Gutachten des zuständigen Finanzministeriums vor, das die finanzverfassungsrechtlichen Zweifel ausräumt“. Und schon zoffen sich die Regierenden wieder. Auf offener Bühne.
Da hat der stellvertretende SPDFraktionschef Matthias Miersch längst schon das Wort „Energiepreisbremse“gesagt. Und dazu „Übergewinne abschöpfen“. Und „Energiesoli“– was nichts anderes wäre als eine zusätzliche Steuer aufs Einkommen. Kommt für die FDP nicht in Frage.
Am Nachmittag fragt Robert Habeck im Bundestag, nachdem die Union gefordert hat, die Gasumlage „muss weg!“: „Sind wir denn hier im Fußballstadion?“Eigentlich fragt er nicht, sondern zürnt. Und seine Stirn ist dabei fast furchenfrei.