Die chilenische Geschichte aus autochthoner Sicht
Die Mapuche zwischen heroischer Vergangenheit und heutigem Elend
Der seit der Unabhängigkeit Chiles von Spanien schwelende Konflikt zwischen dem indigenen Volk der Mapuche und dem chilenischen Staat wird derzeit mit unvermittelter Härte ausgefochten. Die Indios protestieren noch immer vehement gegen die gewaltsame Enteignung ihres Landes, das nach dem Ende der Kolonialzeit unter Großgrundbesitzern, der Holzindustrie und ausländischen Siedlern, in der Mehrheit deutscher Abstammung, aufgeteilt wurde. Der heutige Kampf der Mapuche konzentriert sich auf die verfassungsrechtliche Anerkennung ihres Volkes, die territoriale Selbstverwaltung und die Schaffung eines Ministeriums für Indigene Angelegenheiten. Neben Protestaktionen wie Hungerstreiks, Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Abholzung der Wälder, gegen Staudämme oder Bauprojekte, die die Umwelt und die Lebensgrundlage der chilenischen Ureinwohner gefährden, kommt es immer wieder zur Besetzung von staatlichen Einrichtungen und zu Angriffen auf die heutigen Okkupanten ehemaliger MapucheLändereien, was der chilenische Staat als Terroraktionen einstuft.
Ausnahmezustand in Teilen Chiles
Laut der Gesellschaft für bedrohte Völker weisen die Mapuche innerhalb der chilenischen Bevölkerung heute die höchste Armutsrate auf, zählen zu dem am wenigsten gebildeten Teil der Gesellschaft und sind im alltäglichen Leben Diskriminierung und Vorurteilen ausgesetzt, vergleichbar mit Sinti und Roma in Europa. So gehören Menschenrechtsverletzungen an den Mapuche, Polizeiwillkür, gewaltsame Durchsuchungen sowie Todesdrohungen zum Alltag der chilenischen Natives, die bei den Inkas Araukaner hießen.
In ihrem Drang nach Freiheit ähnelten die Araukaner, die Ureinwohner des mittleren Chi
le (zwischen 30 und 43 Grad südlicher Breite) den Indianern im „Wilden Westen“der Vereinigten Staaten. Weil die auch Mapuche, das heißt Landleute, genannten Indios die Spanier mit fast unglaublicher Hartnäckigkeit und Tapferkeit bekämpften und ihrem Vordringen beharrlich Einhalt geboten, wurden sie mit dem schmeichelhaften Beinamen die „Comanchen Südamerikas“bedacht. Viele Forscher zollten der Unerschrockenheit der Araukaner große Bewunderung. So sah der chilenische Amerikanist Ignacio Domeyko in ihnen „das edelste amerikanische Volk“. Und der spanische Dichter Don Alonso de Ercilla y Zuniga schrieb in seinem umfangreichen Epos „La Araucana“(1569-1589): „Die Araukaner gleichen Achilles an Kühnheit, Geist und Stärke.“
Sie widerstanden den Inkas und den Spaniern
In der Tat hatten die kriegerischen Indigenen es sogar fertiggebracht, 1475 den größten Eroberer aller Inkas in einem erbitterten dreitägigen Ringen mit seinen Streitkräften an den Ufern des chilenischen Rio Maule vernichtend zu schlagen. Tupac Yupanqui, der „Alexander der Große“der Neuen Welt, war lediglich vom Volk der Araukaner in einer offenen Feldschlacht besiegt worden. Seitdem hatte er davon abgesehen, den Rio Maule mit seinem Heer zu überschreiten. In der Folge bildete dieser Fluss die Südgrenze des Riesenreiches der Inkas, das sich über eine Million Quadratkilometer ausdehnte. Vom Quechua-Wort „Auca“, das die Inkas für Rebell und Feind gebrauchten, leitet sich der Name der Araukaner ab, mit dem die nicht unterworfenen Grenzvölker bezeichnet wurden.
Der heftige Widerstand der Araukaner hielt nicht nur den Vormarsch der Inkas auf, sondern brachte auch den Ansturm der spanischen Konquistadoren zum Erlahmen. Die Araukaner verteidigten die Unabhängigkeit und Unversehrtheit ihres Volkes über lange Zeit derart standhaft, dass die Chilenen den weißen Stern des araukanischen Banners für ihre Nationalfahne übernommen haben.
Als Diego Almagro (der Ältere) im Juni 1535 mit 570 Spaniern und 15 000 indianischen Hilfstruppen von Cuzco im heutigen Peru aufbrach, musste er zunächst die 4 000 Meter hohen vereisten Pässe der Anden überqueren, ehe er zu den Küstenniederungen Nordchiles hinabsteigen konnte. Die Natur verlangte einen fürchterlichen Preis: Im ewigen Schnee kamen 11 000 Indios mit all ihren mitgeführten Pferden um.
Mindestens 2 000 Kilometer hatten die erschöpften Konquistadoren bereits zurückgelegt, als sie von etwa 100 bewaffneten Araukanern hart bedrängt wurden. Da Almagro bis dahin keine Spuren von Gold, Edelsteinen oder anderen Schätzen gefunden hatte, suchte er sein Heil in der Flucht und entschloss sich zum Rückzug nach Peru durch die glühend heiße, wasserlose, 800 Kilometer lange Atacama-Wüste. Nach dem unendlichen Marsch durch die sengende Hitze musste er erneut der eisigen Kälte der Anden die Stirn bieten, ehe er wieder in Cuzco einziehen konnte.
Wer waren diese Indianer, die die Spanier zur Umkehr zwangen? Die Araukaner lebten hauptsächlich vom Ackerbau, bestellten ihre Felder mit Mais, Pataten und Quinoa-Hirse und züchteten außerdem das Lama. Die Töpferei, die Weberei und auch die Metallverarbeitung waren ihnen bekannt. Sie wohnten in festen Häusern und unterstanden starken Häuptlingen mit mehreren Rangstufen. Vom Aufbau der Gesellschaft der Araukaner ist nur wenig überliefert.
Ihr Land war in vier Teile aufgegliedert, denen jeweils ein „Toqui“(Häuptling) vorstand, der auf die Hilfe eines „Apoulmen“(Verwalter und Richter) zurückgreifen konnte. In jeder der vier Provinzen siedelten mehrere Stämme, deren Geschicke je ein Kazike bestimmte.
Mit einem „Rat der Alten“befand er über Krieg und Frieden. Er war auch der Befehlshaber der ihm unterstellten Krieger. Von frühester Kindheit an mussten alle Araukaner an militärischen Übungen teilnehmen. Die Kämpfer stellten ihre Waffen selbst her: Brustschild und Helm aus Leder, Lasso aus Lianen und Weiden, Schleuder, Bogen und Pfeile aus gewebten Binsen.
Über den Ursprung ihres Volkes erzählten sich die Araukaner folgende Geschichte: Als vor sehr langer Zeit ein Eingeborener aus der Ebene mit seinen Kindern Piniennüsse für den Winter sammelte, ereignete sich eine schreckliche Naturkatastrophe. Die längs des Meeres gelegenen Gebiete wurden von den Wassern überflutet, die sogar den Felsen umspülten, auf dem die Familie vor den Naturgewalten Zuflucht genommen hatte. Der Vater rutschte aus und fiel in die Tiefe. Als dann eine Buche gegen den Felsen krachte, krochen ein Puma und eine Füchsin aus dem Baumstamm hervor. Die beiden Tiere wollten die Kinder verspeisen. Als sie die Kleinen aber so verzweifelt sahen, hatten sie Mitleid mit ihnen. Der Puma trug sie bis zu seiner Höhle und die Füchsin ernährte sie. Aus dieser Gemeinschaft entstand die araukanische Rasse. Der Puma hat ihr seine natürliche Kraft vermittelt, die Füchsin ihre Schlauheit.
Sie waren ein wehrhaftes Feldbauernvolk
Valdivia kontra Michimalonco
Trotz Almagros schlechter Erfahrungen unternahm einige Jahre später einer seiner Offiziere, Pedro de Valdivia, in seiner Gier nach Gold und Macht einen zweiten Versuch, „das Land Chile“und dessen araukanische Bevölkerung unter spanische Herrschaft zu bringen. Eine von der Expedition mitgeführte Schweineherde erwies sich als sehr nützlich. Valdivia wäre mit seinen Leuten im Norden Chiles verhungert, hätte er nicht auf seinen eisernen Vorrat an Schweinen zurückgreifen können. Die dortigen Autochthonen hatten nämlich alle ihre Lebensmittel vor den Spaniern in Sicherheit gebracht. An den Ufern des heutigen Flusses Mapocho, den er nach seinem eigenen Namen benannte, gründete Valdivia die Hauptstadt des „Generalkapitanats Chile“, „Santiago del Nuevo-Extremo“, ohne von den Araukanern belästigt zu werden. Diese lebten weiter südlich, auf der anderen Seite des Bio-Bio, einem Zufluss zum Pazifik in Zentralchile. Als sie den Grenzfluss