„Fertigmachen war nicht unser Stil“
Jean Octave hat mit „Hei Elei, Kuck Elei“Fernsehgeschichte geschrieben – nun feiert er seinen 80. Geburtstag
Mit dem Wochenrückblick „Hei Elei, Kuck Elei“hat Jean Octave den Grundstein für das heutige RTL Télé Lëtzebuerg gelegt. Die erste Sendung in luxemburgischer Sprache versammelte von 1969 bis 1991 jeden Sonntag Familien im ganzen Land vor den TV-Geräten. Heute feiert der ehemalige Chefredakteur und Moderator seinen 80. Geburtstag. Im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“blickt der Rundfunkpionier auf seine Zeit vor der Kamera zurück.
Jean Octave, Sie haben Ihre Zuschauer mehr als 20 Jahre lang mit den Nachrichten versorgt. Sind Sie auch heute noch stets auf dem Laufenden?
Ja, davon komme ich auch nicht mehr weg. (lacht) Ich lese jeden Tag Zeitung, höre Radio und informiere mich im Internet. Im Vergleich zu meiner Zeit ist die Medienlandschaft aber sehr hektisch geworden, es geht alles im Sekundentakt. Da bevorzuge ich unsere Zeit. Damals hatten wir unsere Leute – das waren präzise Quellen, auf die wir uns zu 100 Prozent verlassen konnten.
Wo haben Sie Ihre ersten beruflichen Schritte gemacht?
Während meines Praktikums bei RTL kam der Programmchef auf mich zu und fragte, ob ich nicht zwei Jahre auf die Journalistenschule in Paris gehen möchte. Dafür bin ich noch immer sehr dankbar, denn sie haben mir meine Ausbildung bezahlt. In Paris hatte ich das große Glück, auch im Studio von RTL arbeiten zu können. Später habe ich von einem Radrennen berichtet, das von Paris nach Luxemburg geführt hat. Am Tag der Ankunft habe ich Gust Graas, den damaligen Generaldirektor, getroffen. Er sagte: „Im Luxemburger Programm wird eine Stelle frei und ich rate dir, sie anzunehmen.“Zwei Jahre später kam von ihm auch die Idee, eine Sendung auf Luxemburgisch zu machen.
Das war sicherlich mit jeder Menge Arbeit verbunden …
Das kann man sagen. Ich habe bis mittwochs noch für das französische Programm gearbeitet. Und für die Sonntage mussten wir ja „Hei Elei, Kuck Elei“fertig haben. Wir waren eine Handvoll Leute, die jeden Tag gearbeitet haben, Wochenenden gab es nicht, krank werden durften wir eigentlich auch nie. Wirklich frei hatten wir nur im Sommer. Das war Wahnsinn. Aber alle waren von der Idee, eine Sendung auf Luxemburgisch zu machen, begeistert und haben an einem Strang gezogen. Anders hätte das auch nicht funktioniert. Das waren tolle Menschen, an die ich gerne zurückdenke.
Kann man sagen, dass Luxemburg die Wiege für das private Fernsehen und Radio war?
Das war es auf jeden Fall. Wir waren zum Beispiel in Frankreich die Nummer eins in der Radiolandschaft. Heute sind sie immer noch sehr stark dort. Und alles, was in Deutschland passiert ist, hat hier in Luxemburg begonnen. Frank Elstner und die ganze Mannschaft, die waren alle hier in Luxemburg.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heutzutage die Sendungen von damals sehen?
Dass ich plötzlich wieder 30 Jahre jünger bin. (lacht) Spaß beiseite: Ich bin mächtig stolz darauf. Ich finde auch heute noch, dass meine Mitarbeiter damals eine richtig tolle Arbeit abgeliefert haben, sei es für den Sport, für die Kultur oder für die Wirtschaft. Da gibt es überhaupt keinen Anflug von Peinlichkeit.
Welche Beiträge sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Beeindruckend fand ich unsere Reise in die USA. Dort haben wir von Ortschaften wie Rollingstone und Belgium berichtet, die von Luxemburger Auswanderern gegründet wurden. Man kommt in diese Orte und glaubt, man steht in einem Luxemburger Dorf. Man geht über den Friedhof und sieht Grabsteine mit Inschriften auf Luxemburgisch. Das war schon sehr berührend. Außerdem haben wir Großherzog Henri, der damals noch Prinz war, in Sandhurst in England während seiner militärischen Ausbildung besucht. Mich hat besonders beeindruckt, wie hart der Drill war. Dort war er nur „Henri Luxembourg“. Die meisten seiner Kollegen hatten keine Ahnung, wer er ist. Denen haben wir gesagt, dass sie mal rüberkommen sollen, um zu gucken, wie er wohnt. (lacht)
Welche Anekdoten aus Luxemburg erzählen Sie gerne?
Wir hatten damals ein Interview mit dem Bürgermeister der Stadt Luxemburg. Der hieß Paul Wilwertz und war eher niedrig gebaut. Als er am Tisch Platz genommen hat, lag sein Kinn fast auf der Platte. Als wir ihm ein Kissen unterschieben wollten, wurde er wild und brüllte: „Was erlauben Sie sich? Sie wissen ja wahrscheinlich, dass ich im Aufsichtsrat von RTL sitze.“Letzten Endes konnten wir ihn doch noch von dem Kissen überzeugen. Ein anderes Mal hatten wir eine Aufzeichnung mit dem damaligen Premierminister Pierre Werner, dem Vater des Euro. Ein großer Mann, der sonst immer sehr reserviert aufgetreten ist und sehr höflich war. Er kam von einem Empfang und sollte eine Ansprache halten. Er ist auf das Podium gesprungen und war ganz locker. Sowas hatten wir noch nie von ihm gesehen. Dann hat er begonnen zu sprechen und leicht gelallt. Ich wusste sofort, dass wir das so nicht machen können. Ich habe ihm gesagt, dass er ein bisschen müde ist und wir die Aufzeichnung am Nachmittag nachholen. Heutzutage hätte man das wohl so durchgezogen und ihn fertig gemacht. Aber das war nicht unser
Stil.
Im Oktober 1991 war dann nach 22 Jahren Schluss mit „Hei Elei, Kuck Elei“. Wie ist es zum Bruch mit RTL gekommen?
Wir haben ein Schreiben vom neuen Generaldirektor Alain Berwick erhalten. Das war unser Todesurteil. Die Verantwortlichen wollten weg von einem Fernsehen, das die älteren Zuschauer anspricht. In dem Schreiben hieß es, dass alle Zuschauer zwischen 35 und 65 uninteressant seien, da die das Programm ohnehin konsumieren. Kulturelle Beiträge haben sie sogar als gefährlich beschrieben. Fernsehen sei nicht dazu da, das Publikum zu belehren, sondern zu unterhalten und abzulenken. Es war eine Marketingentscheidung. Er war der festen Ansicht, dass niemand unsere Sendung vermissen würde. Ich habe daraufhin meine Kündigung eingereicht und bin in Rente gegangen. Ich finde die Entscheidung, die damals getroffen worden ist, noch immer schrecklich.
Wie geht es Ihnen heute?
Ich würde sagen, gut. Meine Frau hatte eine Ballettschule und war an der Londoner Royal Academy of Dance beschäftigt. Sie wurde durch die ganze Welt geschickt, nach Australien, Mexiko, China, Amerika. Ich habe sie oft sechs Wochen nicht gesehen. Jetzt können wir das Verpasste nachholen und genießen die gemeinsame Zeit und die Ruhe. Morgens machen wir zusammen Gymnastik und abends hören wir Musik oder spielen Karten. Wir haben zwei Töchter und vier Enkel, die regelmäßig kommen. Hier ist immer was los.
Heute feiern Sie Ihren 80. Geburtstag. Haben Sie etwas Besonderes geplant?
Meine vierte Coronaimpfung. (lacht) Ich habe meinen Töchtern gesagt, dass sie nichts Verrücktes planen sollen. Wir feiern im kleinen Kreis. Das reicht mir völlig.