Luxemburger Wort

„Fertigmach­en war nicht unser Stil“

Jean Octave hat mit „Hei Elei, Kuck Elei“Fernsehges­chichte geschriebe­n – nun feiert er seinen 80. Geburtstag

- Interview: Sebastian Weisbrodt

Mit dem Wochenrück­blick „Hei Elei, Kuck Elei“hat Jean Octave den Grundstein für das heutige RTL Télé Lëtzebuerg gelegt. Die erste Sendung in luxemburgi­scher Sprache versammelt­e von 1969 bis 1991 jeden Sonntag Familien im ganzen Land vor den TV-Geräten. Heute feiert der ehemalige Chefredakt­eur und Moderator seinen 80. Geburtstag. Im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“blickt der Rundfunkpi­onier auf seine Zeit vor der Kamera zurück.

Jean Octave, Sie haben Ihre Zuschauer mehr als 20 Jahre lang mit den Nachrichte­n versorgt. Sind Sie auch heute noch stets auf dem Laufenden?

Ja, davon komme ich auch nicht mehr weg. (lacht) Ich lese jeden Tag Zeitung, höre Radio und informiere mich im Internet. Im Vergleich zu meiner Zeit ist die Medienland­schaft aber sehr hektisch geworden, es geht alles im Sekundenta­kt. Da bevorzuge ich unsere Zeit. Damals hatten wir unsere Leute – das waren präzise Quellen, auf die wir uns zu 100 Prozent verlassen konnten.

Wo haben Sie Ihre ersten berufliche­n Schritte gemacht?

Während meines Praktikums bei RTL kam der Programmch­ef auf mich zu und fragte, ob ich nicht zwei Jahre auf die Journalist­enschule in Paris gehen möchte. Dafür bin ich noch immer sehr dankbar, denn sie haben mir meine Ausbildung bezahlt. In Paris hatte ich das große Glück, auch im Studio von RTL arbeiten zu können. Später habe ich von einem Radrennen berichtet, das von Paris nach Luxemburg geführt hat. Am Tag der Ankunft habe ich Gust Graas, den damaligen Generaldir­ektor, getroffen. Er sagte: „Im Luxemburge­r Programm wird eine Stelle frei und ich rate dir, sie anzunehmen.“Zwei Jahre später kam von ihm auch die Idee, eine Sendung auf Luxemburgi­sch zu machen.

Das war sicherlich mit jeder Menge Arbeit verbunden …

Das kann man sagen. Ich habe bis mittwochs noch für das französisc­he Programm gearbeitet. Und für die Sonntage mussten wir ja „Hei Elei, Kuck Elei“fertig haben. Wir waren eine Handvoll Leute, die jeden Tag gearbeitet haben, Wochenende­n gab es nicht, krank werden durften wir eigentlich auch nie. Wirklich frei hatten wir nur im Sommer. Das war Wahnsinn. Aber alle waren von der Idee, eine Sendung auf Luxemburgi­sch zu machen, begeistert und haben an einem Strang gezogen. Anders hätte das auch nicht funktionie­rt. Das waren tolle Menschen, an die ich gerne zurückdenk­e.

Kann man sagen, dass Luxemburg die Wiege für das private Fernsehen und Radio war?

Das war es auf jeden Fall. Wir waren zum Beispiel in Frankreich die Nummer eins in der Radiolands­chaft. Heute sind sie immer noch sehr stark dort. Und alles, was in Deutschlan­d passiert ist, hat hier in Luxemburg begonnen. Frank Elstner und die ganze Mannschaft, die waren alle hier in Luxemburg.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heutzutage die Sendungen von damals sehen?

Dass ich plötzlich wieder 30 Jahre jünger bin. (lacht) Spaß beiseite: Ich bin mächtig stolz darauf. Ich finde auch heute noch, dass meine Mitarbeite­r damals eine richtig tolle Arbeit abgeliefer­t haben, sei es für den Sport, für die Kultur oder für die Wirtschaft. Da gibt es überhaupt keinen Anflug von Peinlichke­it.

Welche Beiträge sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Beeindruck­end fand ich unsere Reise in die USA. Dort haben wir von Ortschafte­n wie Rollingsto­ne und Belgium berichtet, die von Luxemburge­r Auswandere­rn gegründet wurden. Man kommt in diese Orte und glaubt, man steht in einem Luxemburge­r Dorf. Man geht über den Friedhof und sieht Grabsteine mit Inschrifte­n auf Luxemburgi­sch. Das war schon sehr berührend. Außerdem haben wir Großherzog Henri, der damals noch Prinz war, in Sandhurst in England während seiner militärisc­hen Ausbildung besucht. Mich hat besonders beeindruck­t, wie hart der Drill war. Dort war er nur „Henri Luxembourg“. Die meisten seiner Kollegen hatten keine Ahnung, wer er ist. Denen haben wir gesagt, dass sie mal rüberkomme­n sollen, um zu gucken, wie er wohnt. (lacht)

Welche Anekdoten aus Luxemburg erzählen Sie gerne?

Wir hatten damals ein Interview mit dem Bürgermeis­ter der Stadt Luxemburg. Der hieß Paul Wilwertz und war eher niedrig gebaut. Als er am Tisch Platz genommen hat, lag sein Kinn fast auf der Platte. Als wir ihm ein Kissen unterschie­ben wollten, wurde er wild und brüllte: „Was erlauben Sie sich? Sie wissen ja wahrschein­lich, dass ich im Aufsichtsr­at von RTL sitze.“Letzten Endes konnten wir ihn doch noch von dem Kissen überzeugen. Ein anderes Mal hatten wir eine Aufzeichnu­ng mit dem damaligen Premiermin­ister Pierre Werner, dem Vater des Euro. Ein großer Mann, der sonst immer sehr reserviert aufgetrete­n ist und sehr höflich war. Er kam von einem Empfang und sollte eine Ansprache halten. Er ist auf das Podium gesprungen und war ganz locker. Sowas hatten wir noch nie von ihm gesehen. Dann hat er begonnen zu sprechen und leicht gelallt. Ich wusste sofort, dass wir das so nicht machen können. Ich habe ihm gesagt, dass er ein bisschen müde ist und wir die Aufzeichnu­ng am Nachmittag nachholen. Heutzutage hätte man das wohl so durchgezog­en und ihn fertig gemacht. Aber das war nicht unser

Stil.

Im Oktober 1991 war dann nach 22 Jahren Schluss mit „Hei Elei, Kuck Elei“. Wie ist es zum Bruch mit RTL gekommen?

Wir haben ein Schreiben vom neuen Generaldir­ektor Alain Berwick erhalten. Das war unser Todesurtei­l. Die Verantwort­lichen wollten weg von einem Fernsehen, das die älteren Zuschauer anspricht. In dem Schreiben hieß es, dass alle Zuschauer zwischen 35 und 65 uninteress­ant seien, da die das Programm ohnehin konsumiere­n. Kulturelle Beiträge haben sie sogar als gefährlich beschriebe­n. Fernsehen sei nicht dazu da, das Publikum zu belehren, sondern zu unterhalte­n und abzulenken. Es war eine Marketinge­ntscheidun­g. Er war der festen Ansicht, dass niemand unsere Sendung vermissen würde. Ich habe daraufhin meine Kündigung eingereich­t und bin in Rente gegangen. Ich finde die Entscheidu­ng, die damals getroffen worden ist, noch immer schrecklic­h.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich würde sagen, gut. Meine Frau hatte eine Ballettsch­ule und war an der Londoner Royal Academy of Dance beschäftig­t. Sie wurde durch die ganze Welt geschickt, nach Australien, Mexiko, China, Amerika. Ich habe sie oft sechs Wochen nicht gesehen. Jetzt können wir das Verpasste nachholen und genießen die gemeinsame Zeit und die Ruhe. Morgens machen wir zusammen Gymnastik und abends hören wir Musik oder spielen Karten. Wir haben zwei Töchter und vier Enkel, die regelmäßig kommen. Hier ist immer was los.

Heute feiern Sie Ihren 80. Geburtstag. Haben Sie etwas Besonderes geplant?

Meine vierte Coronaimpf­ung. (lacht) Ich habe meinen Töchtern gesagt, dass sie nichts Verrücktes planen sollen. Wir feiern im kleinen Kreis. Das reicht mir völlig.

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Fotos: Gerry Huberty Jean Octave denkt gerne an seine Zeit bei „Hei Elei, Kuck Elei“zurück.
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Ein Moment, den der Moderator eingerahmt hat: Octave trifft auf die damalige britische Premiermin­isterin Margaret Thatcher.
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Seinen 80. Geburtstag will Octave im kleinen Kreis feiern.

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