In memoriam André Link
(* 1949-2022 †)
André Link gehört unbestreitbar zu den produktivsten und vielseitigsten Autoren Luxemburgs. Völlig unerwartet, mitten im Schaffensprozess, musste der mehrfach preisgekrönte Schriftsteller vor einigen Wochen die Feder endgültig niederlegen. Ein kurzer Überblick über seinen Werdegang und sein literarisches Werk soll das einzigartige Profil des Verstorbenen vor Augen führen und würdigen.
Der am 4. Dezember 1949 in Ettelbrück geborene André Link besuchte von 1962 bis 1968 das Lycée classique in Diekirch, wo er sich vor allem dem Studium der Sprachen widmete. Anschließend wechselte er zur Würzburger Dolmetscherschule über und erweiterte konsequent seine ausgedehnten Sprachkenntnisse. Als die Europäische Gemeinschaft einen Wettbewerb veranstaltete, konnte der Polyglott trotz seiner neun Sprachen zwar nicht die Palme erringen, aber er fand 1973 als Übersetzer eines internationalen Gewerkschaftsbundes eine adäquate Stellung. Sieben Jahre später übernahm er als Korrektor, Verlagslektor, Kulturredakteur und Journalist beim Sankt-Paulus-Verlag ein sehr breitgefächertes und anspruchsvolles Tätigkeitsfeld, das er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2011 ebenso gewissenhaft wie bescheiden bestellte. Bei SaintPaul machte er auch die Bekanntschaft der Korrektorin Danielle Biver, die er 1986 in der Glaciskapelle heiratete.
In der Zeit bei Saint-Paul veröffentlichte Link unzählige Theaterund Konzertkritiken, verfasste kürzere Erzählungen, Essays, veranstaltete Interviews, lektorierte die damals überaus hohe Buch-Produktion des Verlages, alles so ernsthaft, respektvoll und kompetent, dass er in dieser exponierten Rolle nie Anlass zu einer Polemik gab. André Link galt als ein allgemein geachteter prominenter Journalist, aber er war viel mehr, wie das literarisch interessierte Publikum mit wachsender Überraschung zur Kenntnis nehmen konnte.
Nach seinem ersten Romanversuch, „Der Sommer des Jadekaninchens“(1976) hatte Link ein Vierteljahrhundert lang in dieser Gattung geschwiegen. Erst um das Jahr 2000 begann für den 50-Jährigen die eigentliche Zeit der Reife und Ernte. Was er jahrelang nach intensiver Lektüre und manchen Reisen mit sich herumgetragen hatte – und vermutlich in Zettelkästen eifrig gesammelt und gehortet hatte – drängte jetzt zur Vollendung. Zunächst wandte er sich dem Theater zu, schrieb mehrere Stücke, die aufgeführt wurden und ihn auch dazu veranlassten, eine Geschichte des Theatergeschehens in Luxemburg zu schreiben, „Vom Dekadentempel zur Kulturschmiede“(2004). Fast gleichzeitig wandte er sich seinem eigentlichen „Gebiet“zu, dem Roman. In den folgenden Jahren veröffentlichte er rund 20 Romane, eine unerhört abwechslungsreiche und kosmopolitische Serie, die in Luxemburg ihresgleichen sucht. Die meisten gehören zur Gattung des historischen Romans und sie greifen ungemein weit in Raum und Zeit aus. Teils gestalten sie historische Umbrüche, teils greifen sie wenig bekannte Geschehnisse und Figurenkonstellationen auf. Immer bringt Link es fertig, ganz neue Aspekte zu präsentieren, faszinierende Episoden des Weltgeschehens fast provokativ, im Gegensatz zur offiziellen Darstellung, facetten- und fantasiereich zu beleuchten.
Link verfügte über ein phänomenales Einfühlungsvermögen, das ihm ermöglichte, sowohl in die Welt der Pharaonen einzutauchen, ans Ende der 18. Dynastie in die Regierungszeit von Echnaton und Tutanchamun („Sable savant“, 2020) wie in die römische Kaiserzeit, wenn er den Kaiser Severus Alexander in der Ich-Form sein Schicksal erzählen lässt („Kaisermord am Rhein“, 2016). Im Mittelalter siedelt er den Stauferroman „Lucera“(2016) an, der sich 1268 in der Zeit des Interregnums in einer moslemischen Enklave in Apulien abspielt, und den spanischen Roman „Infantin Elster: Urraca von Zamora“((2017), der eine völlig unbekannte Seite des CidMythos enthüllt. Auch der Roman „Intis Untergang“(2016), der den Untergang des Inkareichs thematisiert, erscheint in einem neuen Licht, wenn er von einem direkten Nachkommen des Inkas geschildert wird.
Gleich drei Romane hat Link der englischen Geschichte gewidmet: „Blutrot ist die Tudor-Rose“(2017) führt in die Zeit der Rosenkriege, „Christopher Shakespeare“(2020) ins Elisabethanische Zeitalter, während „Charlie, Steenie et les autres“(2020) strukturell mehrere Handlungsstränge aufweist, royale Liebesgeschichten (Untertitel: „Amours princiers outre-Manche“) am französischen und englischen Hof im Zeitalter Ludwigs
XIV. Der Roman „Eismeerzar“(2019) zeichnet ein grausames Machtspiel am russischen Hof nach dem Tode Peters des Großen nach. Im Roman „König und Komponist“(2014) gestaltet Link das tragische Schicksal des schwedischen Königs Gustav III. und seines Komponisten Joseph Martin Kraus, des „schwedischen Mozart“, dem der Autor ein ergreifendes Denkmal setzt. Auch der Roman „Michel aus der Biergass“(2020) ist eine Hommage, er kreist um das heroische Dasein des in Saarlouis geborenen Marschalls Ney, der 1815 wegen seiner Treue und Gradlinigkeit hingerichtet wurde.
Natürlich hat Link auch Episoden aus der Geschichte Luxemburgs gestaltet, so die Abdankung der Großherzogin Marie Adelheid („Auf Winters Schneide“, 2010), oder eine fiktive Begegnung zwischen Victor Hugo und Michel Rodange in Vianden („Les renards de Vianden“, 2013), oder den Hexenwahn im 17. Jahrhundert („Feuerfugen“, 2020). Auch als reger Teilnehmer der historisch-musikalischen Veranstaltungen des Zyklus „Connaissance – Das ehemalige Herzogtum Luxemburg“, die er journalistisch begleitete, bewies er seine starke Verbundenheit mit der nationalen Vergangenheit.
Kein Roman, aber eine kritische Darstellung der „patriotischen“Treibjagd nach den vermeintlichen Kollaborateuren ist die Studie „Die große Hatz“(2012), die einige Überlieferungen mutig und vorurteilsfrei hinterfragt.
Eine kleine Zäsur in der Biografie des Autors bildete das Jahr 2016, als die Familie bei einer Agentur ein altes Lothringer Bauernhaus entdeckte, das alle ihre Wünsche nach einem idyllischen Alterssitz erfüllte. Das im Saarland nahe an der Grenze zu Lothringen gelegene Anwesen wurde das Tusculum des Schriftstellers, hier konnte er, ungestört von allem äußeren Treiben, eine beeindruckende Reihe von schriftstellerischen Werken zum Abschluss bringen und sogar, was er vorher noch nie versucht hatte, ein paar Krimis, „Saarlandkrimis“, erfolgreich veröffentlichen.
Als er im Sommer 2022 wohlgemut und dankbar von einer Kreuzfahrt ins Baltikum zurückkehrte, befiel ihn ein plötzliches Unwohlsein. Trotz sofortiger ärztlicher Pflege in Völklingen konnte André Link nicht mehr gerettet werden. Er starb am 19. Juli im Krankenhaus und wurde im engen Familien- und Freundeskreis im Waldfriedhof „Am Ruheforst“in Losheim am See beigesetzt. Am kommenden 24. September um 18.15 Uhr wird in der Glaciskapelle eine Messe zu seinem Gedenken gefeiert. Requiescat in pace.
Joseph Groben