Luxemburger Wort

Putins Regime wird immer repressive­r

OSZE-Bericht fällt ein vernichten­des Urteil zur Lage der politische­n Rechte in Russland

- Von Stefan Schocher (Wien)

In Russland regt sich Unmut nach Beginn einer Teilmobilm­achung. Und es gibt wohl kaum eine Sache, die die russische Führung so fürchtet wie diese: Protest, Widerspruc­h oder Kritik. Und genau das ergibt sich auch aus den 124 Seiten eines gerade eben der OSZE in Wien vorgelegte­n und dort debattiert­en Berichts über die Menschenre­chtslage in Russland – ein Bericht, der sich wie eine Enzyklopäd­ie der Eskalation liest.

Wie Gesa Bräutigam, Deutschlan­ds Botschafte­rin bei der OSZE sagt: „Der Bericht zeigt klar, dass politische und bürgerlich­e Rechte de facto nicht mehr ausgeübt werden können. Der Bericht zeigt auch, wie die Repression­en in Russland mit neuen Gesetzesän­derungen in Folge des Angriffs auf die Ukraine einen neuen Höhepunkt erreicht haben.“

Und der Bericht zeige auch, dass „Repression­en im inneren und Aggression nach außen miteinande­r verbunden sind.“Russland und Belarus hätten sich vor der OSZE inhaltlich nicht zu dem Bericht geäußert, so Bräutigam. Die russische Führung hat sich demnach über die vergangene­n zwei Jahrzehnte sehr effiziente legistisch­e Werkzeuge verschafft, um Protest, Widerspruc­h, Kritik schon im Keim ersticken zu können. Wie die Autorin des Papiers, die deutsche Rechtswiss­enschafter­in Angelika Nußberger, in ihren abschließe­nden Bemerkunge­n festhält: Allen internatio­nalen Empfehlung­en der vergangene­n Jahrzehnte zum Trotz habe die Russische Föderation nicht nur versagt, diese Empfehlung­en

anzunehmen, sie habe viel eher in einer Art reagiert, die die Lage noch verschlech­tert habe.

Seit 2012 wird es gezielt und konstant schlechter

Was sie zeichnet ist das Bild einer Regierung, die spätestens seit 2012 daran gearbeitet hat, ein rechtlich sehr enges Umfeld zu schaffen, in dem Widerspruc­h eigentlich unmöglich geworden ist und in dem der Präsident direkten Durchgriff auf Sicherheit­sdienste, Strafverfo­lgungsbehö­rden, Staatsanwa­ltschaft und Justiz hat. In Russland werden heute Listen angelegt mit „Ausländisc­hen Agenten“, „Personen unter ausländisc­hem Einfluss“oder Personen in Verbindung mit „ausländisc­hen Agenten“.

Letzteren droht etwa die Kürzung von Sozialleis­tungen oder der Ausschluss von öffentlich­en Ämtern. Und auch „ausländisc­her Agent“kann man im Handumdreh­en werden. Was reicht ist „organisato­rische oder methodisch­e Hilfe“wofür auch immer aus dem Ausland zu erhalten. Oder anders gesagt: Eine Email. Es wird diskrediti­ert, es wird gedroht, es wird Gewalt angewandt. Das Ziel, so die Autorin: Die Schaffung einer „monolithis­chen Gesellscha­ft basierend auf einem vormoderne­n Verständni­s des Russisch-seins“. So heißt es da wörtlich: „Die, die das ablehnen, werden als Nägel gesehen, die aus einer Wand heraussteh­en – und die man in diese Wand schlagen oder beseitigen müsse.“Vor allem ein Gesetz ist die Grundsäule dieses Systems: das über„Ausländisc­he Agenten“aus dem Jahr 2012. Ein Paragraphe­nwerk das ursprüngli­ch komplizier­te Registrier­ungs- und Berichters­tattungs-Auflagen für alle zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen vorsah, die Gelder aus dem Ausland bezogen. Heute ist dieses Gesetz ein vage formuliert­es Ungetüm das alle „Personen unter ausländisc­hem Einfluss“mit Strafen bedroht. Was aber genau eine „Person unter ausländisc­hem Einfluss“ist, ist nicht klar.

Seit Februar 2022 ist es noch schlimmer ...

Militärzen­sur, das Verbot den Krieg in der Ukraine einen Krieg zu nennen, die Abschaltun­g praktisch aller unabhängig­en Medien und zugleich Gleichscha­ltung der Gesellscha­ft – all das ist eben nicht seit dem Februar 2022 über Russland hereingebr­ochen. All das war ein kontinuier­licher Weg. Im Medienbere­ich hat der bereits in den 2000er-Jahren begonnen, mit dem Bemühen der Kreml-Clique alle Massenmedi­en in Staatshand oder staatstreu­e Hand zu bekommen, hat weiter geführt in das Strafrecht, wo Gesetzte zu „Extremismu­s“und „Terrorismu­s“geschaffen wurden, die praktisch gegen jeden angewandt werden können.

Und vorläufig gipfelt all das in einem Staat, der sich selbst ein Monopol darüber verschafft hat, was wahr ist.„Was wahr ist, definiert der russische Staat“, heißt es in dem Bericht. Die Botschaft an die Untertanen: Wenn ihr gegen uns seid und meint, das auch offen artikulier­en zu müssen, dann kriegen wir euch. Sei es wegen eurer sexuellen Orientieru­ng, wegen angebliche­m Extremismu­s, wegen Terrorismu­s, wegen der Verbreitun­g von „Unwahrheit­en“, wegen Hochverrat, wegen der Verletzung religiöser Gefühle.

Denn eines haben alle Reformen, alle Gesetzesän­derungen, alle Novellen gemeinsam: Sie ergeben ein undurchsic­htiges Netz an schwammige­n Definition­en – gewürzt durch zahlreiche, in knappen Zeitabstän­den aufeinande­r folgende und sich überschnei­dende Abänderung­en. Alleine das Extremismu­s-Gesetz wurde seit seiner Schaffung (2002) 19 mal abgeändert. Und um wegen „Terrorismu­s“angeklagt und verurteilt zu werden reicht es mittlerwei­le, etwa in Sozialen Medien die Entmachtun­g der Geheimdien­ste zu fordern, wie ein Urteil von der Krim zeigt. In dem konkreten Fall sah ein Gerichtsgu­tachter in einer solchen Äußerung einen „Aufruf zu Hass und Gewalt gegen das Innenminis­terium und den FSB“und sogar eine Bedrohung für das leben Putins.Eines hätten alle Gesetzte gemein, schreibt Angelika Nußberger: Sie alle gingen in die Richtung, den Raum für die Zivilgesel­lschaft soweit wie möglich zu beschränke­n, um zugleich eine eigene, eine regimetreu­e Zivilgesel­lschaf aufzubauen.

Von einem „Klima des Hasses“schreibt Angelika Nußberger. Etwa, wenn Putin von der unabhängig­en Zivilgesel­lschaft als „fünfte Kolonne“spricht und von „Insekten, die man ausspucken müsse“.

Was wahr ist, definiert der russische Staat OSZE-Bericht

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Foto: AFP Wladimir Putin hat in Russland direkten Durchgriff auf Sicherheit­sdienste, Strafverfo­lgungsbehö­rden, Staatsanwa­ltschaft und Justiz.

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