Gezielte Hilfen statt Gießkannenprinzip
Wir benötigen einen Rettungsplan für die Bedürftigsten
Steigende Energiepreise haben über die letzten Monate die Lebenshaltungskosten drastisch erhöht und immer mehr Menschen befürchten, in die Armut abzurutschen. Die angekündigten Maßnahmen werden die Situation sicherlich allgemein beruhigen, allerdings werden sie die Schwierigkeiten der Bedürftigsten im Land nicht erheblich verbessern.
Bereits vor der Pandemie, als die Energiepreise im EU-Vergleich bei uns sehr niedrig waren, waren fast 23 000 Personen (3,6 Prozent der Bevölkerung) in Luxemburg nicht in der Lage, ihre Wohnung angemessen zu beheizen. Seitdem sind die Preise für Gas und Heizöl explodiert und die Zahl der Menschen, die von Energiearmut betroffen sind, ist mit Sicherheit gestiegen, auch wenn wir noch keine offiziellen Zahlen haben, die dies belegen.
Die Ursachen der Energiearmut liegen nicht allein bei den steigenden Energiepreisen. Eine Rolle spielen auch sinkende Kaufkraft, hohe Mieten und schlecht isolierte Wohnungen. Der Energieverbrauch hängt von der Außentemperatur, der Isolierung der Wohnungen, der verwendeten Heiztechnologie und den Haushaltsgeräten sowie dem Verhalten der Menschen ab. In den meisten Fällen ist Energiearmut das Ergebnis einer Kombination verschiedener Faktoren, mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Gesundheit, das Wohlbefinden, die soziale Integration und die Lebensqualität der betroffenen Bürger.
Bis vor Kurzem waren die zwei größten Kostenfaktoren für die ärmsten Haushalte hier im Land Wohnen (manchmal bis zu 50 Prozent des Einkommens) und Lebensmittel. Nun kommen noch die steigenden Energiekosten hinzu. Eine Studie der Confédération européenne des syndicats hat belegt, dass im Juli 2022 ein Luxemburger mit einem Durschnittslohn 14 Tage arbeiten musste, um seine jährlichen Energiekosten zu bezahlen. Beim Mindestlohn lag die Zahl schon bei 25 Tagen. In diesem Kontext dürfen wir nicht vergessen, dass Luxemburg auch vor der Energiekrise schon eine der höchsten Raten von Arbeitsarmut in Europa hatte.
Die jüngsten Prognosen vom Statec zeigen, dass das Armutsrisiko 2021 auf voraussichtlich 19,2 Prozent gestiegen ist. Eine Quote, die seit 2005 im Durchschnitt 1,6 Prozent im Jahr steigt (im Vergleich: +0,7 Prozent in der EU). Besonders vom Armutsrisiko betroffen sind Familien mit geringem Einkommen, Alleinerziehende und kinderreiche Familien. Das Armutsrisiko von ausländischen Einwohnern ist doppelt so hoch wie das der Luxemburger. Im Pandemiejahr 2020 hatte schon mehr als ein Viertel der Bürger (28,6 Prozent) Probleme, am Ende des Monats über die Runden zu kommen. Bei kinderreichen und alleinerziehenden Familien war es fast jeder zweite Haushalt. Aus diesem Grund ist Energieversorgung und Energiearmut ein Thema der sozialen Gerechtigkeit.
Schnell helfen, ohne bürokratische Hürden
Das angekündigte Hilfspaket ist sozial nicht selektiv, sondern fällt wieder, wie schon so oft zuvor, unter die Kategorie des Gießkannenprinzips! Eigentlich wäre jetzt der Moment gewesen, entschlossen von breit angelegten Maßnahmen zu gezielten und sozial gestaffelten Hilfsmaßnahmen überzugehen. Wenn wir eine soziale Krise vermeiden wollen, benötigen wir kurzfristig Hilfen, die schnell ohne administrative Hürden bei denen ankommen, die die Hilfe am meisten benötigen! Ohne Anträge stellen zu müssen.
Die Obergrenzen für den Anspruch auf viele Sozialleistungen werden schnell erreicht, wenn man Vollzeit arbeitet und ein Gehalt hat, das etwas über dem Mindestlohn liegt. Viele Alleinerziehende und junge Erwachsene finden sich dann in der Situation wieder, dass sie ein paar Euro zu viel verdienen, um Anspruch auf Beihilfen wie zum Beispiel die Teuerungszulage oder die Energieprämie zu erhalten.
Die Anspruchsberechtigung für die verschiedenen Zulagen muss deshalb nach oben korrigiert und gestaffelt werden. Es darf nicht sein, dass wenn man über dem Satz liegt, kein Anrecht mehr hat. Der Betrag müsste degressiv abnehmen, um die 40 Prozent ärmsten Haushalte im Land zu erreichen. Der bürokratische Aufwand ist noch immer viel zu schwerfällig und kompliziert, und viele Menschen finden sich nicht mehr zurecht und wissen nicht, was sie alles (oft einzeln) beantragen können. Die Wenigsten wissen, dass sie Anrecht auf die Energieprämie haben, auch wenn sie kein Anrecht auf die Teuerungszulage haben.
Energiearmut muss auch langfristig bekämpft werden, unter anderem durch Anreize zur energetischen Sanierung. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die Ärmsten in unserer Gesellschaft eher Mieter als Eigentümer sind. Es sind die gemieteten Wohnungen, die in Bezug auf den Energieverbrauch oft am schlechtesten abschneiden. Anreize für Vermieter, ihre Mietwohnungen energetisch zu sanieren, sind zurzeit noch nicht wirksam.
Es bedarf einer Regelung, die verhindert, dass hoch energieverschwendende Wohnungen vermietet werden. Parallel dazu muss es eine konsequente Subventionierung von energetischen Renovierungsmaßnahmen für Eigentümer geben, um diese nicht zu bestrafen. Eine solche Maßnahme würde die nationale Strategie zur energetischen Sanierung ankurbeln. Gleichzeitig müssten die Mieterhöhungen nach der Verbesserung der Energieeffizienz reguliert und kontrolliert werden, um eine Bereicherung durch staatliche Subventionen zu verhindern.
Wege in eine sozialgerechte Transition
Die angekündigten Maßnahmen schaffen allgemein wenig Anreize, um Energie zu sparen. Wir befinden uns nicht nur in einer Energiekrise, sondern auch, und vor allem, in einer Klimakrise. Belgien zum Beispiel hat einen Sozialtarif für Gas und/oder Strom für die Ärmsten sowie ein Basispaket, um jene Haushalte zu unterstützen, deren Einkommen nicht gering genug ist, um von diesem Tarif profitieren zu können (bis in die Mittelschicht hinein).
Diejenigen, die mehr verbrauchen als im Basispaket vorgesehen, zahlen den Mehrbetrag zum Normaltarif. Dies soll als Anreiz dienen, um Energie einzusparen. Mit wenigen Ausnahmen sind es die reicheren Menschen, die den größten ökologischen Fußabdruck haben, sowohl in Europa als auch weltweit. Die ärmsten und sozial am stärksten benachteiligten Menschen sind die, die am meisten unter dem Klimawandel leiden und auch in Zukunft am meisten darunter leiden werden.
Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es immer teurer werden, um die Klimakrise zu bewältigen. Wir benötigen deshalb dringend konsequente, sozial-selektive und strukturelle Maßnahmen. Die Energietransition muss so schnell und effizient wie möglich vorangetrieben werden und die soziale Dimension muss fest im Klimaschutz verankert werden. Andernfalls können Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz schnell als Privilegien angesehen werden, als Anliegen, die weit von der Realität entfernt und nur für Menschen mit einem eher hohen Lebensstandard geeignet sind.
Entscheidend für die soziale Gerechtigkeit
Für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist es wichtig, wieder mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen und längerfristig die Ungleichheiten zu verringern. Ziel müsste es sein, eine Wirtschaft zu haben, die das Gemeinwohl berücksichtigt und die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft fördert. Mittel- und langfristig gesehen ist es unerlässlich, quantifizierte Ziele zu identifizieren, wie viel und bis wann das Armutsrisiko gesenkt werden soll. Nur mit klaren Zielen können konkrete Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung der Armut festgelegt werden.