Das Ende des Mythos Putin
Russlands Politik kann laut Außenminister Asselborn nur ins Chaos führen
Seitdem am Mittwoch letzter Woche die Teilmobilmachung von Kremlchef Wladimir Putin angeordnet wurde, machen AntiKriegs-Proteste in Russland Schlagzeilen – für Außenminister Jean Asselborn (LSAP) nicht nur ein Zeichen, dass der Krieg in den Köpfen der Menschen in Russland angekommen ist, sondern auch das Ende eines Mythos: „Dass Putin ein großer Stratege ist, scheint nach der Anordnung der Teilmobilmachung und der Gegenoffensive der ukrainischen Truppen im Osten nicht mehr tragbar zu sein. Die Teilmobilmachung könnte eine Trendwende in Russland werden.“
Dass die Teilmobilmachung eine „regelgerechte Katastrophe“sei, beteuerte Asselborn zudem gestern auf einer Pressekonferenz, im Rahmen derer der Außenminister auf die jüngsten Geschehnisse des Krieges in der Ukraine und die heimische Asylpolitik einging.
Flugtickets bis 18 000 Euro
Zu Beginn sei die Rede von 300 000, danach von einer Million Russen, die mobilisiert werden könnten – heute stehe nun kein Limit mehr fest, so Asselborn. Bis zum Alter von 60 Jahren sei jeder Mann in Russland von der Teilmobilmachung betroffen: „Junge Männer fürchten sich, auf die Straße zu gehen. Drücken sie sich vor einer Einberufung, steht ihnen eine 10- bis 15-jährige Freiheitsstrafe bevor.“
Von den 2 000 Männern, die im Rahmen von Anti-Kriegs-Protesten verhaftet wurden, seien mehrere im Kommissariat dazu aufgefordert worden, sich an der Teilmobilmachung zu beteiligen. „So etwas kann nur in einer Diktatur möglich sein“, so Asselborn. Um dem roten Zettel mit der Aufforderung, sich im Wehrkreiskommando einzufinden, zu entgehen, würden viele junge Russen das Land verlassen. Kasachstan, Mongolei, Armenien, Finnland, Türkei – die Optionen, sich ohne Visum auf den Weg zu machen, sind eingeschränkt. Tausende junge Menschen würden bis zu 18 000 Euro für ein Flugticket nach Istanbul zahlen, so Asselborn.
Achtes Sanktionspaket in Aussicht Für den Außenminister steht nach sieben Monaten Krieg nun fest: Die Narrative Putins verlieren Tag für Tag an Kredibilität: „Wenn ein Krieg so lange dauert, ist der Mythos der militärischen Spezialoperation nicht mehr logisch zu verkaufen. Russland hat definitiv nicht mehr alles unter Kontrolle.“Auch durch „militärisch gesteuerte Referenden“wie die in den Moskau besetzten Gebieten im Osten und Süden der Ukraine versuche Russland weiterhin die Legitimität seiner Handlungen aufrechtzuerhalten. Neben der EU seien unter anderem aber auch Serbien und Kasachstan gegen eine Anerkennung des Resultats der „Scheinreferate“.
Der Außenminister kündigte gestern zudem ein achtes Sanktionspaket
Die Teilmobilmachung in Russland sei eine „regelgerechte Katastrophe“, sagte Außenminister Jean Asselborn gestern.
gegen Russland an, dessen Hauptaugenmerk sich auf eine Preisgrenze für russische Öllieferungen richten wird.
Was die Lage von Asylsuchenden in Luxemburg anbelangt, kommentierte Asselborn die neuesten Asylzahlen und den Ausbau der Unterbringungsmöglichkeiten des ONA (Office national de l'accueil). 200 Geflüchtete seien monatlich im Juni und im Juli nach Luxemburg gekommen – heute seien es fast 300 im Monat. Der Außenminister kündigte aufgrund der steigenden Asylzahlen an, dass ab Anfang Oktober der „Primo Accueil“von Monnerich in den Komplex Tony Rollmann auf Kirchberg übersiedeln werde. Bis zu 600 Betten stehen dort zur Aufnahme von Geflüchteten bereit.
Asselborn betonte hierbei, Luxemburg habe in Sachen Aufnahmestrukturen „ein gutes Gespür gehabt“. 2014 standen noch 2 000 Betten zur Verfügung – heute sind es 6 400. Zum Vergleich: Im 11,5 Millionen Einwohner starken Belgien stehen 31 000 Betten zur Verfügung.
Im Interesse des Kindes?
Als besondere Herausforderung hob der Außenminister mitunter die Familienzusammenführung hervor: 380 Menschen hätten hierdurch den Asylstatus erlangt – in dem Ausmaß ein Novum. Ein Großteil der Geflüchteten schicke ihre Kinder vor, um anhand der Familienzusammenführung im Nachhinein nach Luxemburg zu gelangen. Laut Asselborn ein Problem, denn ob eine solche Praxis im Interesse des Kindes sei, sei nämlich dahingestellt: „Ich möchte dieses Vorgehen nicht bewerten, ich kann aber nur feststellen, dass einige Kinder seit Wochen in unseren Strukturen sitzen und weinend nach ihrer Mutter verlangen.“117 Kinder befänden sich laut Angaben des Ministers in den Aufnahmestrukturen des ONA – alle über acht Jahre alt.