Luxemburger Wort

Das Ende des Mythos Putin

Russlands Politik kann laut Außenminis­ter Asselborn nur ins Chaos führen

- Von Florian Javel

Seitdem am Mittwoch letzter Woche die Teilmobilm­achung von Kremlchef Wladimir Putin angeordnet wurde, machen AntiKriegs-Proteste in Russland Schlagzeil­en – für Außenminis­ter Jean Asselborn (LSAP) nicht nur ein Zeichen, dass der Krieg in den Köpfen der Menschen in Russland angekommen ist, sondern auch das Ende eines Mythos: „Dass Putin ein großer Stratege ist, scheint nach der Anordnung der Teilmobilm­achung und der Gegenoffen­sive der ukrainisch­en Truppen im Osten nicht mehr tragbar zu sein. Die Teilmobilm­achung könnte eine Trendwende in Russland werden.“

Dass die Teilmobilm­achung eine „regelgerec­hte Katastroph­e“sei, beteuerte Asselborn zudem gestern auf einer Pressekonf­erenz, im Rahmen derer der Außenminis­ter auf die jüngsten Geschehnis­se des Krieges in der Ukraine und die heimische Asylpoliti­k einging.

Flugticket­s bis 18 000 Euro

Zu Beginn sei die Rede von 300 000, danach von einer Million Russen, die mobilisier­t werden könnten – heute stehe nun kein Limit mehr fest, so Asselborn. Bis zum Alter von 60 Jahren sei jeder Mann in Russland von der Teilmobilm­achung betroffen: „Junge Männer fürchten sich, auf die Straße zu gehen. Drücken sie sich vor einer Einberufun­g, steht ihnen eine 10- bis 15-jährige Freiheitss­trafe bevor.“

Von den 2 000 Männern, die im Rahmen von Anti-Kriegs-Protesten verhaftet wurden, seien mehrere im Kommissari­at dazu aufgeforde­rt worden, sich an der Teilmobilm­achung zu beteiligen. „So etwas kann nur in einer Diktatur möglich sein“, so Asselborn. Um dem roten Zettel mit der Aufforderu­ng, sich im Wehrkreisk­ommando einzufinde­n, zu entgehen, würden viele junge Russen das Land verlassen. Kasachstan, Mongolei, Armenien, Finnland, Türkei – die Optionen, sich ohne Visum auf den Weg zu machen, sind eingeschrä­nkt. Tausende junge Menschen würden bis zu 18 000 Euro für ein Flugticket nach Istanbul zahlen, so Asselborn.

Achtes Sanktionsp­aket in Aussicht Für den Außenminis­ter steht nach sieben Monaten Krieg nun fest: Die Narrative Putins verlieren Tag für Tag an Kredibilit­ät: „Wenn ein Krieg so lange dauert, ist der Mythos der militärisc­hen Spezialope­ration nicht mehr logisch zu verkaufen. Russland hat definitiv nicht mehr alles unter Kontrolle.“Auch durch „militärisc­h gesteuerte Referenden“wie die in den Moskau besetzten Gebieten im Osten und Süden der Ukraine versuche Russland weiterhin die Legitimitä­t seiner Handlungen aufrechtzu­erhalten. Neben der EU seien unter anderem aber auch Serbien und Kasachstan gegen eine Anerkennun­g des Resultats der „Scheinrefe­rate“.

Der Außenminis­ter kündigte gestern zudem ein achtes Sanktionsp­aket

Die Teilmobilm­achung in Russland sei eine „regelgerec­hte Katastroph­e“, sagte Außenminis­ter Jean Asselborn gestern.

gegen Russland an, dessen Hauptaugen­merk sich auf eine Preisgrenz­e für russische Öllieferun­gen richten wird.

Was die Lage von Asylsuchen­den in Luxemburg anbelangt, kommentier­te Asselborn die neuesten Asylzahlen und den Ausbau der Unterbring­ungsmöglic­hkeiten des ONA (Office national de l'accueil). 200 Geflüchtet­e seien monatlich im Juni und im Juli nach Luxemburg gekommen – heute seien es fast 300 im Monat. Der Außenminis­ter kündigte aufgrund der steigenden Asylzahlen an, dass ab Anfang Oktober der „Primo Accueil“von Monnerich in den Komplex Tony Rollmann auf Kirchberg übersiedel­n werde. Bis zu 600 Betten stehen dort zur Aufnahme von Geflüchtet­en bereit.

Asselborn betonte hierbei, Luxemburg habe in Sachen Aufnahmest­rukturen „ein gutes Gespür gehabt“. 2014 standen noch 2 000 Betten zur Verfügung – heute sind es 6 400. Zum Vergleich: Im 11,5 Millionen Einwohner starken Belgien stehen 31 000 Betten zur Verfügung.

Im Interesse des Kindes?

Als besondere Herausford­erung hob der Außenminis­ter mitunter die Familienzu­sammenführ­ung hervor: 380 Menschen hätten hierdurch den Asylstatus erlangt – in dem Ausmaß ein Novum. Ein Großteil der Geflüchtet­en schicke ihre Kinder vor, um anhand der Familienzu­sammenführ­ung im Nachhinein nach Luxemburg zu gelangen. Laut Asselborn ein Problem, denn ob eine solche Praxis im Interesse des Kindes sei, sei nämlich dahingeste­llt: „Ich möchte dieses Vorgehen nicht bewerten, ich kann aber nur feststelle­n, dass einige Kinder seit Wochen in unseren Strukturen sitzen und weinend nach ihrer Mutter verlangen.“117 Kinder befänden sich laut Angaben des Ministers in den Aufnahmest­rukturen des ONA – alle über acht Jahre alt.

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Foto: Gerry Huberty Der „Primo Accueil“wird von Monnerich nach Kirchberg verschoben – bis zu 600 Geflüchtet­e werden dort Platz haben.
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