Liebe, Hass, Vorsicht
Vom Widerstreit der Gefühle bei der Frage, ob Deutschland russische Kriegsdienstweigerer aufnimmt
Der Aufschrei kam rasch. Nicht nur auf Deutsch. Und oft färbte er sich in Blau und Gelb. „Die Russen“, twitterte etwa @irmachep, „gehen raus, um gegen die Mobilisierung zu protestieren. Nicht gegen den Genozid an den Ukrainern.“Es war eine von vielen Antworten auf den Tweet des deutschen Justizministers Marco Buschmann (FDP). Der schrieb am Abend des vergangenen Mittwochs, als Russlands Präsident Wladimir Putin die Teilmobilmachung verkündet hatte: „Wer Putins Weg hasst und die liberale Demokratie liebt, ist uns in Deutschland herzlich willkommen.“
Wie manches in der rot-grüngelben Bundesregierung war das nicht abgesprochen. Weder intern – noch mit den Partnern in der EU. Und spätestens als die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas befand „Jeder Bürger ist für die Handlungen seines Staates verantwortlich, und die Bürger Russlands sind da keine Ausnahme. Deshalb gewähren wir russischen Männern, die aus ihrem Land fliehen, kein Asyl“– da war klar: Deutschland hat, auch hier, ein Problem.
„Angst vor den Russen“
Am Sonntag dann zog Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis nach. Und befand, dass „in den sieben Monaten seit Kriegsbeginn Flucht kein Thema in Russland gewesen sei.“Jetzt, twitterte er, gelte: „Russians should stay and fight. Against Putin.“Und dass Litauen denen kein Asyl gewähre, die „vor ihrer Verantwortung davonlaufen.“Landsbergis’ lettischer Kollege Edgars Rinkevics hatte schon kundgetan, viele derer, die Russland nun verlassen wollten wegen der Mobilisierung, „were fine with killing Ukrainians“. Russen aufzunehmen, bedeute „erhebliche Sicherheitsrisiken“.
Falls Buschmanns Einladung an Russen, die nicht in den Krieg ziehen wollen, so spontan und emotional gewesen sein sollte, wie sie auf viele wirkte, auch im Berliner Regierungsviertel – außerhalb gibt es auch ganz andere Gefühle. Zuvorderst bei Ukrainerinnen und Ukrainern, die wegen des Kriegs ihre Heimat verlassen haben. Sie sprechen von „Angst vor den Russen“– und nennen sie „Deserteure“. Nicht Flüchtlinge. Die Frage sei doch, „wer da mit welchem Ideengut einreist“, heißt es bei „Vitsche“, einer Vereinigung junger Ukrainerinnen und Ukrainer in Berlin.
Gestern Morgen dann sagt Grünen-Co-Chef Omid Nouripour im Deutschlandfunk auf die Frage, ob alle, die vor einer Einberufung fliehen, in Deutschland Anspruch auf Schutz hätten: „Nein, haben sie nicht.“Wer aus politischen Gründen nicht in die russische Armee wolle, könne einen Asylantrag stellen – „und der wird dann geprüft“.
Das klingt ganz anders als der Tweet des Justizministers. Und doch sagt Nouripour: „Buschmann hat das dasselbe gesagt wie ich.“Nur eben „mehr in Umgangssprache“. Natürlich müsse man checken, „ob da Trittbrettfahrer dabei sind, ob da Leute reingeschleust werden vom russischen System“. Das Einschmuggeln von Agenten sei „gängige Praxis“; und Nouripour erinnert an den Mord an einem tschetschenischstämmigen Georgier im Kleinen Tiergarten,
den das zuständige Berliner Gericht kürzlich in seinem Urteil als Auftragstat russischer Behörden bezeichnet hat.
„Regelabfrage bei Geheimdiensten“Und der Grüne, der kein Mitglied der Regierung ist, fordert – anders als bei Flüchtlingen aus der Ukraine – für Russen „eine Regelabfrage bei den Geheimdiensten“. Einerseits. Andererseits sagt Nouripour, wehrpflichtige Russen aufzunehmen, bedeute auch „eine Schwächung“für das System Putin. Man müsse „unbürokratisch, großzügig, aber doch sehr sehr vorsichtig vorgehen“.
Das klingt dann schon distanzierter als Buschmanns Liebe und Hass. Emotional krachen indes lässt es, wie gewohnt, der scheidende ukrainische Botschafter Andrij Melnyk. Er twittert, Russen, die nicht in den Krieg ziehen wollten, sollten lieber Putin „endlich stürzen, anstatt abzuhauen und im Westen Dolce Vita zu genießen“.
Jeder Bürger ist für die Handlungen seines Staates verantwortlich, und die Bürger Russlands sind da keine Ausnahme. Kaja Kallas, estnische Ministerpräsidentin