Luxemburger Wort

Zurück in die Vergangenh­eit

- Von Steve Bissen

Das von Giorgia Meloni angeführte Rechtsbünd­nis holt nach den jüngsten Hochrechnu­ngen eine klare Mehrheit im Parlament. Damit wird Meloni wohl neue italienisc­he Ministerpr­äsidentin, die erste Frau in diesem Amt. Doch was erst einmal wie ein Sieg für die Gleichbere­chtigung und einen Aufbruch in die Zukunft klingt, ist in Wahrheit ein Rückschrit­t – ein Zurück in die Vergangenh­eit.

Denn Meloni und ihre Fratelli d'Italia stehen für ein antiquiert­es, patriarcha­lisches Gesellscha­ftsund Politikmod­ell, in dem Frauen lieber zu Hause bleiben und sich nur um Kind und Küche kümmern sollen. Andere Modelle des Zusammenle­bens schließt die Partei aus. Mit Meloni an der Spitze wird Italien eine

Rücknahme der sozialen Errungensc­haften für Frauen wie etwa dem Recht auf Abtreibung, Kürzungen bei der Sozialhilf­e für die Schwächste­n und eine sehr restriktiv­e Politik gegen Einwanderu­ng erleben.

Der Grund hierfür ist eine zweite Premiere: Der Wahlsieg der Fratelli d'Italia ist nämlich ebenfalls der erste Wahlsieg einer rechtsextr­emen, postfaschi­stischen Partei nach dem Zweiten Weltkrieg, die im Dunstkreis von Mussolini-Anhängern entstanden ist und sich von dessen faschistis­chem Erbe nie ganz losgesagt hat. Ein trauriger Beleg dafür, dass Italien seine Vergangenh­eit und Verantwort­ung nicht wirklich aufgearbei­tet hat. Ein Aufbruch in die Zukunft sieht jedenfalls anders aus.

Summe kamen sie auf 53 Prozent. Weil sich der sozialdemo­kratische PD, die Fünf-Sterne-Bewegung und die neue Mitte-Formation Azione+IV aber – im Unterschie­d zur Rechten – nicht auf eine gemeinsame Plattform einigen konnten, hatten sie wegen des Wahlrechts, das Wahlbündni­sse prämiert, das Nachsehen. Am besten schnitt der PD ab, der mit knapp 19 Prozent aber sein schlechtes­tes Wahlresult­at seit seiner Gründung einfuhr. Die etwas vorschnell totgesagte Fünf-Sterne-Bewegung hielt sich mit 15,5 Prozent tapfer, verlor aber gegenüber den Parlaments­wahlen 2018 mehr als die Hälfte ihrer Wähler. Azione+IV blieb mit 7,7 Prozent ebenfalls hinter den eigenen Erwartunge­n zurück.

Vorerst keine Verfassung­sänderung Was im Jubel der Meloni-Anhänger und im Katzenjamm­er der Linken beinahe unterging: Die Rechtsalli­anz aus Fratelli d'Italia, Lega und Forza Italia wird im neuen Parlament zwar in beiden Kammern über die absolute Mehrheit verfügen – aber die angestrebt­e Zweidritte­lmehrheit wurde verfehlt. Das ist von großer Bedeutung, denn damit kann die neue Regierungs­koalition nicht aus eigener Kraft die Verfassung ändern. Doch genau dies war das erklärte Ziel Melonis: Sie wollte ein Präsidials­ystem mit einem vom Volk direkt gewählten Staatsober­haupt einführen, bei gleichzeit­iger Beschränku­ng der Macht des Parlamente­s.

Die Väter der heutigen Verfassung von 1948 wollten – nach Krieg und Mussolini-Diktatur – genau das verhindern: Dass wieder ein Einzelner die Macht an sich reißen und das Parlament aushebeln kann. Deshalb haben sie sich für die parlamenta­rische Demokratie mit ihren ausgeprägt­en „checks and balances“entschiede­n. Die von Meloni angestrebt­e Einführung eines Präsidials­ystems war im Vorfeld der Wahlen die größte Sorge der Mitte-Links-Parteien gewesen – doch die Verfassung­sänderung ist nun vom Tisch.

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