Unterhaltsamer Weltuntergang
Frank Hoffmann gelingt mit „Nacht und Träume/Weltuntergang“eine gewagte Kombi zweier Werke
Magisch und bedrückend zugleich: Ein nahezu vollkommen abgedunkelter Raum, lediglich schwache Lichter erhellen die Bühne des Théâtre National du Luxembourg. Dort befinden sich fünf mittelgroße Bildschirme und fünf Stühle. Auf jedem kann man die Silhouette einer Person, beziehungsweise ihre weißen Hemden erhaschen. Totenstille.
Gespannt warten die Zuschauerinnen und Zuschauer, dass sich auf der Bühne etwas tut. Die Schwere dieser Geräuschlosigkeit ist deutlich spürbar. Dann: Auf den Fernsehbildschirmen setzt sich plötzlich etwas in Bewegung. Es sind Szenen aus Samuel Becketts letztem Fernsehspiel „Nacht und Träume“(1982), die mindestens genauso so düster daherkommen wie das anfängliche Bühnenbild von Frank Hoffmanns szenischer Lesung „Nacht und Träume/Weltuntergang“. Ein Konzept, das aufgeht.
Das Intro in das eigentliche Bühnengeschehen, das einen überraschenden Spagat zwischen Lesung und Schauspiel schlägt, ist dennoch etwas zu lange geraten. Einerseits verleiht das dem Stück noch einmal zusätzliches Gewicht, andererseits erweckt es beim Publikum allerdings auch eine gewisse Ungeduld.
Doch je beklemmender der Anfang, desto heiterer, grotesker und amüsanter die darauffolgenden Szenen, die trotzdem einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Immerhin naht der Weltuntergang und die Einfältigkeit der Menschen wird – wenn stellenweise etwas zu plakativ – an den Pranger gestellt.
Der Mensch, der Störenfried
„Die Erde ist krank“, heißt es gleich zu Beginn, als sich die unterschiedlichen Planeten, der Mond und die Sonne über das Ungleichgewicht im Kosmos unterhalten. Auf dem Erdball stören die Menschen, „Ungeziefer“, wie der Planet Venus es gar zynisch ausdrückt, nämlich die Ruhe oder besser gesagt die „Sphärenharmonie“.
Während der Mond, gespielt von Jean-Paul Maes, die übrigen „Sternschaften“von der vollkommenen Zerstörung der Erde abhalten will, hat die Sonne bereits entschieden: Der Planet Erde muss von den Menschen bereinigt werden. „Wir müssen also die Erde von den Menschen säubern“, lautet es in Jura Soyfers Schauspiel „Weltuntergang“(1936), auf dem Frank Hoffmanns szenische Lesung beruht und für die Florian Hirsch die Dramaturgie übernommen hat.
Ganz in strahlendem Weiß gekleidet, schlüpft Ulrich Kuhlmann hier in die Rolle der Sonne, die im Kosmos das Sagen hat, und verleiht dieser das nötige Feuer, während Anne Moll mit schriller Stimme den, sich stets in den Vordergrund rückenden Planeten Venus verkörpert. Die Bildschirme auf der Bühne zeigen allesamt einen Sternenhimmel – das Stück entführt das Publikum also unmittelbar ins Weltall.
Als ein umherziehender Komet das Sonnensystem passieren will, kommt der Sonne die Idee und der Plan der Apokalypse steht. Der Komet namens Konrad soll mit voller Wucht auf der Erdoberfläche aufprallen. Keine Schonung, kein Umweg, kein Mitleid. In einem Monat ist es so weit: Die Erde wird untergehen und die Menschen mit ihr.
Die Voraussage macht auch der auf der Erde lebende Professor Guck (Jean-Paul Maes). Während die einen Menschen seine Berechnungen und den damit einhergehenden Weltuntergang nicht ganz so ernst nehmen, versuchen andere noch das Beste aus ihren letzten Tagen zu machen, das Maximum herauszuholen.
Unter denjenigen, die den Professor belächeln, befindet sich auch Hitler, verkörpert von Nickel Bösenberg. Wer den Schauspieler in „So dunkel hier“gesehen hat, weiß, mit welchem Elan und gleichzeitiger Ironie er derartige Rollen (in Anne Simons Open-Air-Stück spielte er den NSFunktionär
Richard Hengst) auf der Bühne in Szene setzt.
Dabei wechselt der Text stets zwischen unterschiedlichen Ländern und beleuchtet, mal auf ganz dramatische Art und Weise, mal sehr humorvoll das Verhalten der Menschen und der Führungskräfte der verschiedenen Nationen. Eine Szene, die dabei besonders hervorsticht, ist ein wahnwitziges Gespräch zwischen Paris und London – gelesen mit klischeehaftem englischen und französischen Akzent von Anne Moll und Tatiana Nekrasov.
Obwohl die Apokalypse naht, das Thema eigentlich eine schwere Kost ist, gelingt es Frank Hoffmann in Kombination mit Soyfers Text dem Ganzen eine gewisse Leichtigkeit zu verpassen – ohne dass dabei etwas an Tiefgründigkeit verloren geht. Ganz im Gegenteil. Vielmehr sind es gerade die Szenen, die zum Lachen anregen, die auch die Ichbezogenheit der Menschen in den Fokus rücken und sie umso mehr wie „Ungeziefer“, Schädlinge wirken lassen.
Maßlose Gesellschaftskritik
Dennoch sollen die Menschheit und die Zivilisation erhalten bleiben. Während der Rest der Welt unterzugehen droht, sich die Menschen bereits gegenseitig an die Gurgel gehen, konnten ein paar wenige Milliardäre sich einen Platz in einem speziell entwickelten Weltraumschiff erkaufen. Dass es hierbei in erster Linie darum geht, die eigene Haut zu retten und nicht die menschliche Spezies, zeigt sich besonders in einer der letzten Szenen.
Als Professor Guck den Flüchtenden noch eine Kiste mit wichtigen Materialien zum Fortbestehen des menschlichen Wissens mitgeben will (enthalten sind Lehrbücher und Ähnliches), lehnen diese dankend ab. Platz gebe es dafür nämlich keinen. Kann die Menschheit so überleben?
„Weltuntergangsaktien“, blindes Vertrauen in die Staatsapparate und verneinte Realitäten – „Nacht und Träume/Weltuntergang“streift viele Aspekte. Oft bleibt die szenische Lesung an der Oberfläche diese Themen, doch das ist mehr als ausreichend, um gesellschaftskritische Bilder zu entwerfen, die sich aneinanderreihen, und allmählich wie ein Puzzle zusammenfügen. Die einzelnen Szenen werden dabei von variierten, minimalistischen Bühnenbildern umrahmt und in verschiedene Farbtöne eingehaucht.
Frank Hoffmann und Florian Hirsch gelingen hier eine wunderbare Mischung aus Komödie und Tragödie – und das mithilfe zweier ganz verschiedener Medien. Ein gewagter Stilbruch, der sich gelohnt hat. So unterhaltsam kann der nahende Weltuntergang sein.
„Nacht und Träume/Weltuntergang“ist noch am 29. und 30.09 um 20 Uhr im TNL zu sehen.
www.tnl.lu