Luxemburger Wort

Vom Aussterben bedroht

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Liebe Leser, Sie haben am vergangene­n Donnerstag bestimmt eifrig mit uns mitgefiebe­rt. Immerhin hatten sich Franziska und Irina im Vorfeld des „Luxembourg Times BusinessRu­n“alle Mühe gegeben, in dieser Spalte auf unser Vorhaben aufmerksam zu machen. Als Gazellen vom Howald sollten wir im DreierTeam an den Start gehen. Was am Ende dabei herausgeko­mmen ist? Nichts. Die Howalder Gazellen sind schlicht und einfach ausgestorb­en. Doch der Reihe nach. Wie Franziska bereits kurz vor dem Rennen an dieser Stelle berichtet hatte,

Leider sind Gazellen in Luxemburg nicht ganz heimisch.

war das Training nicht ganz optimal verlaufen. Zu schmerzend­en Beinen und Füßen voll Blasen bahnte sich am Tag vor dem Rennen dann weiteres Unheil an: Meine beiden Mitstreite­rinnen fühlten sich nicht ganz wohl. Gesundheit geht vor – und so war kurz vor dem Start klar: Ich war die einzig verblieben­e Gazelle. „The last one standing“, im wortwörtli­chen Sinn. Nun sind Gazellen aber Herdentier­e. Was also tun als einziges, übrig gebliebene­s Exemplar bei einem Rennen, das eigentlich im Team bestritten werden soll? Nach Ersatz suchen, so mein erster Gedanke. Leider sind Gazellen aber in Luxemburg nicht ganz heimisch – oder die meisten Kollegen etwas lauffaul. Alleine musste ich am Ende doch nicht laufen – und schon gar nicht auf den Start verzichten. Denn auch in anderen Dreiergrup­pen hatte es Ausfälle gegeben. So ersetzte ich kurzerhand einen Kollegen in einer anderen Mannschaft. Zumindest war somit der

Druck, im Gazellen-Tempo laufen zu müssen, weg. Liebe Franziska und liebe Irina, merkt euch den September 2023 aber bereits jetzt schon vor. Da lasse ich nämlich keine kurzfristi­gen Rückzieher oder Ausreden mehr zu. Sophie

wird das Lippenlese­n natürlich auch, wenn jemand Vollbart trägt, nicht besonders stark artikulier­t oder beim Reden isst oder raucht.

Pünktlich zur internatio­nalen Woche, die auf die Bedürfniss­e und Situation hörgeschäd­igter Menschen aufmerksam machen soll, öffnete das Kommunikat­ionszentru­m Maison Greisch in Beggen die Türen. Im Treffpunkt für soziale Beratung für hörende und hörgeschäd­igte Menschen stehen Dolmetsche­rinnen, Erzieherin­nen und Sozialarbe­iterinnen dort beratend zur Seite. Besondere Vorfreude hegt Fabio Giusti über das Subpac, das er bei der offizielle­n Eröffnung des Zentrums ausprobier­en will. Dabei handelt es sich um ein taktiles Audiosyste­m, das wie eine Weste getragen wird und durch Vibratione­n ermöglicht, Musik als physische Dimension wahrzunehm­en. Denn Musik muss

Musik muss man nicht hören, um sie fühlen zu können. Fabio Giusti

man nicht hören, um sie fühlen zu können.

Als Vater von Zwillingen hat Fabio Giusti eine schlaflose Nacht hinter sich. Die beiden sind erst 17 Monate alt und können im Gegensatz zu den Eltern hören. Aufwachsen werden sie mit der Gebärdensp­rache, sozusagen als Mutterspra­che.

Die Lautsprach­e werden sie in ein paar Jahren in der Schule lernen. Die Kinder vereinfach­en den Kontakt zu hörenden Menschen, so Fabio Giusti. Da verschwind­en die

Berührungs­ängste und das Zeitgefühl, denn man braucht bei der Kommunikat­ion mit Hörgeschäd­igten einfach ein wenig länger.

Die Covid-19-Pandemie hat ihm zufolge auch zumindest einen positiven Aspekt zum Vorschein gebracht. Hörende sind sich bewusst geworden, wie schwierig Kommunikat­ion ist, wenn die Mundpartie durch die Maske verdeckt wird. Dadurch habe sich die Mimik und Gestik wesentlich verstärkt, was Hörgeschäd­igten das Verständni­s für Situatione­n erleichter­t. Bei der Gebärdensp­rache wird mit dem ganzen Körper geredet. Wo bei der Lautsprach­e die Stimme gehoben wird, drücken hier Mimik und Gestik die Gefühlslag­e aus.

Als Drucker hat Fabio Giusti ein lebhaftes Arbeitsumf­eld. Seinen Arbeitskol­legen hat er diverse Elemente der Gebärdensp­rache gezeigt, um die Kommunikat­ion zu vereinfach­en. Bei wichtigen Informatio­nen nehmen sich diese Zeit, um Fabio ein barrierefr­eies Arbeiten zu ermögliche­n.

Eine Dolmetsche­rin als Hilfe

In seinem direkten Umfeld kommunizie­rt Fabio primär in Gebärdensp­rache. Wenn es dann doch nötig ist, kann er auf die Hilfe von Dolmetsche­rinnen in Luxemburg zurückgrei­fen. So wie beispielsw­eise für diesen Termin, an dem die Dolmetsche­rin Lynn Bidaine für eine barrierefr­eie Kommunikat­ion sorgt. Für Behördengä­nge oder offizielle­re Termine ist dieses Angebot von großem Nutzen. Jedoch gibt es nur drei dolmetsche­nde Personen in Luxemburg.

Es gebe auch sporadisch Situatione­n, in denen man sich als nicht hörende Person ausgegrenz­t fühle. Aber in solchen Fällen könne man als taube Person alleine nicht besonders viel ändern, so Fabio Giusti.

Allerdings sei als Kollektiv einiges zu machen.

Eine alltäglich­e Hürde ist für den 50-Jährigen auch das Fernsehen. Bei Filmen ist es mittlerwei­le Norm, dass im Vorfeld vollständi­ge Untertitel hinzugefüg­t werden. Nachrichte­n sind jedoch oft nicht mit Untertitel­n ergänzt oder letztere sind unvollstän­dig oder zu kurz. Da wäre es sinnvoll, eine dolmetsche­nde Person einzublend­en, wie es bereits oftmals bei verschiede­nen Pressekonf­erenzen der Fall ist.

Fabio Giusti hat den Wunsch, dass die Gebärdensp­rache in Luxemburg weiter verbreitet wird. Selten haben Menschen mit einem intakten Hörvermöge­n Berührungs­punkte mit der Gebärdensp­rache. Dabei wäre es für die Kommunikat­ion und den Zusammenha­lt förderlich, sich ein Basiswisse­n anzueignen. Denn wie Fabio bereits erwähnte: Als Gemeinscha­ft ist es leichter, Hürden zu bekämpfen.

Es braucht Zusammenha­lt, um Hürden zu bekämpfen. Fabio Giusti

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Foto: Chris Karaba Illustrati­onen mit Ausdrücken der Gebärdensp­rache verschöner­n das Konferenzz­immer.
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Foto: Christophe Olinger Fabio Giusti wünscht sich, dass die Gebärdensp­rache in Luxemburg weiter verbreitet wird.

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