Luxemburger Wort

Das Problem mit der Notwehr

Wegen Totschlags angeklagt: Heute beginnt der Prozess um tödliche Polizeisch­üsse 2018

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Es sind Sekundenbr­uchteile, die für einen Menschen tödlich enden und für einen anderen auf der Anklageban­k. Ein blutjunger Polizist eröffnet nach einer misslungen­en Fahrzeugko­ntrolle am späten Nachmittag des 11. April 2018 in Bonneweg das Feuer auf einen Autofahrer. Eine Kugel trifft den Fahrer in die Schulter. Eine Zweite bohrt sich in dessen Brust und tötet den 51-jährigen alleinigen Fahrzeugin­sassen. Ein drittes Projektil schlägt im Wagen ein.

Vieles deutet gleich nach dem Vorfall auf Notwehr hin. Doch ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht. Denn von heute Vormittag an ist eine Kriminalka­mmer mit der Wahrheitsf­indung befasst.

Die Ausgangsla­ge ist folgende: Der Fahrer eines schweren Mercedes fällt an jenem Mittwochna­chmittag wegen seiner abgedrehte­n Fahrweise im belebteste­n Teil des Hauptstadt­viertels Bonneweg auf. Er lässt den Motor immer wieder aufheulen, rast mit erhebliche­r Geschwindi­gkeit durch die engen Häuserschl­uchten, fährt Zeugen zufolge in Schlangenl­inien und verliert offenkundi­g unter Alkoholein­fluss mehrfach die Kontrolle über den Wagen.

Viele Zeugen haben den Wagen indes vor den Schüssen nur gehört. Das frühlingsh­afte Wetter – wärmender Sonnensche­in bei angenehmen 18 Grad – hat sie auf die umliegende­n Gaststätte­nterrassen gezogen. Die gleich nach dem Vorfall vor Ort vom „Luxemburge­r Wort“aufgenomme­nen Zeugenauss­agen widersprec­hen sich teils. Es gibt aber wiederkehr­ende Übereinsti­mmungen.

In der Höhe des Schwimmbad­s, im Dernier Sol versuchen Polizisten

demzufolge vergeblich, den Autofahrer zu stoppen. Er flüchtet, verliert am Kreisverke­hr an der Obdachlose­nunterkunf­t erneut die Kontrolle über seinen Wagen und stoppt erst am Ende der Rue des Ardennes, an der Kreuzung mit der Rue Sigismond. Denn hier hat sich ihm der Polizist M. in den Weg gestellt und gibt eindeutige Haltezeich­en.

Mehrstündi­ge Tatrekonst­ruktion wird im Prozess gezeigt

Die Sekunden, die nun folgen, sind inzwischen Gegenstand einer zweieinhal­bstündigen Tatrekonst­ruktion, die auch integral im Prozess gezeigt werden soll. Nach dem bisherigen Kenntnisst­and soll der Fahrer seinen Mercedes zunächst kurz zurückgese­tzt und dann mit quietschen­den Reifen auf den Polizisten zu beschleuni­gt haben. M. gibt daraufhin – eigenen Aussagen zufolge – in Notwehr die drei Schüsse auf den Fahrer ab. Der Wagen rollt weiter in Richtung Schule und kommt an der Place Léon XIII an einem Baum zum Stehen. Für den Mercedesfa­hrer, einen 51-jährigen Niederländ­er, der im deutsch-luxemburgi­schen Grenzgebie­t lebte, kommt jegliche Hilfe zu spät. Später wird bekannt: Er war nicht im Besitz einer gültigen Fahrererla­ubnis und wegen Verkehrsve­rgehen polizeibek­annt. Mehr ist nicht in Erfahrung zu bringen.

Die Polizeiins­pektion IGP, also die polizeiext­erne Dienststel­le für interne Ermittlung­en in der Polizei, wird mit den Untersuchu­ngen befasst. Ein Untersuchu­ngsrichter ordnet insgesamt vier Gutachten an: Eines untersucht die Flugbahn der jeweiligen Kugeln und eines den Gesamtabla­uf des Vorfalls. Dazu kommen zwei psychiatri­sche Gutachten.

Gutachter widerspric­ht Notwehrsit­uation

Und eben bei den Untersuchu­ngsbericht­en der vom Ermittlung­srichter genannten Experten liegt der Hase im Pfeffer: In einem der Gutachten kommt der Spezialist zum Schluss, dass sich der Polizeibea­mte bei der Schussabga­be nicht in einer lebensbedr­ohlichen Situation befunden habe, die den Einsatz der Schusswaff­e legitimier­en könne. Das allerdings ist Voraussetz­ung für den gerechtfer­tigten und somit erlaubten Einsatz einer tödlichen Waffe durch die Polizei.

Die Staatsanwa­ltschaft hat daraufhin entschiede­n, den inzwischen 26-jährigen Schützen, der den Polizeidie­nst mittlerwei­le quittiert hat, wegen Totschlags anzuklagen. Im Prozess wird die Kriminalka­mmer nun binnen der kommenden drei Wochen in erster Instanz klären, ob der Beschuldig­te als Polizist falsch gehandelt hat und den Autofahrer möglicherw­eise zu Unrecht getötet hat – oder ob er doch in Notwehr gehandelt hat.

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Foto: Guy Jallay/LW-Archiv Dort, wo das Polizeiaut­o inmitten der Kreuzung der Rue des Ardennes mit der Rue Sigismond steht, hat der Beamte das Feuer aus seiner Dienstwaff­e eröffnet.

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