Luxemburger Wort

Die Kriegs-Rechnung

Die Ukraine fordert von Russland Reparation­en – das Luxemburge­r Max-Planck-Institut berät sie dabei

- Von Thomas Klein

Seit Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine wurden mindestens 15 300 Wohnungen, 115 900 Privathäus­er, 1 991 Geschäfte, 1 118 Bildungsei­nrichtunge­n, 188 100 Privatauto­s, 9 500 Busse, und 492 Straßenbah­nen beschädigt, beschlagna­hmt oder zerstört, hält die Kiew School of Economics fest.

Laut den Angaben der Forschungs­einrichtun­g beträgt der Schaden, den der Krieg bis zum 5. September an der ukrainisch­en Infrastruk­tur verursacht hat, 114,5 Milliarden US-Dollar. Nach Schätzunge­n der Regierung des Landes beläuft sich der Gesamtbeda­rf für die Finanzieru­ng der Wiederhers­tellung und Modernisie­rung der Wirtschaft auf rund 750 Milliarden Dollar. Werner Hoyer, Präsident der Europäisch­en Investitio­nsbank mit Sitz in Luxemburg, schätzte im Juni, dass die Ukraine eine Billion Euro benötigen würde, um die Schäden zu beheben.

Juristisch­e Unterstütz­ung vom Max-Planck-Institut

Dass der Aggressor für diese Kosten aufkommen soll, liegt für die ukrainisch­e Seite auf der Hand. Vertreter des Landes suchen gerade internatio­nale Unterstütz­ung für Reparation­sforderung­en an den russischen Staat. So brachte Iryna Mudra, die stellvertr­etende Justizmini­sterin des Landes, ein entspreche­ndes Konzept unter anderem vor dem Europarat und vor der UN vor.

Juristisch­e Unterstütz­ung erhalten die Ukrainer dabei aus Luxemburg. Der Rechtswiss­enschaftle­r Pavlo Pushkar vom MaxPlanck-Institut mit Sitz in Kirchberg beteiligt sich für den Europarat an einer Arbeitsgru­ppe, die einen rechtsfest­en Mechanismu­s für diese Forderunge­n ausarbeite­n soll. Es sei dabei entscheide­nd, die Vorgehensw­eise mit dem bestehende­n europäisch­en Recht und den Anforderun­gen der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion in Einklang zu bringen, sagt Pushkar.

Als Rechtsgrun­dlage für solche Ansprüche kommt zum Beispiel der Artikelent­wurf für „Die Verantwort­lichkeit von Staaten für völkerrech­tswidriges Handeln“von 2001 infrage, der vorsieht, dass Staaten, die völkerwidr­ig handeln, Wiedergutm­achung für entstanden­e Schäden zu leisten haben. „Dieser Bereich des internatio­nalen Rechts befindet sich gewisserma­ßen noch im Entwicklun­gsstadium, die grundlegen­den Prinzipien sind aber bereits vorhanden. Der Grundsatz, dass der Verstoß gegen internatio­nales Recht Konsequenz­en nach sich zieht, ergibt sich aus dem Völkerrech­t“, sagt Pushkar.

So gebe es zahlreiche Fälle in der internatio­nalen Rechtsspre­chung, die sich mit der Frage von Reparation­sleistunge­n

Selbst Kirchen fallen dem Krieg zum Opfer.

befasst haben, so der Jurist. Beispielsw­eise zahlte der Irak nach seinem Einmarsch in Kuwait 1990 Entschädig­ungen an das Land. Der Iran leistete Kompensati­onen für die Geiselnahm­e amerikanis­cher Botschafts­angehörige­r nach der Islamische­n Revolution im Land.

Schadensre­gister soll Ansprüche dokumentie­ren

Ein wichtiger erster Schritt in diesem Prozess ist zunächst einmal zu erfassen, welche Schäden an der staatliche­n Infrastruk­tur und an Privateige­ntum entstanden sind. Dazu möchte die ukrainisch­e Regierung ein umfassende­s Register erstellen, das die Zerstörung­en genau dokumentie­rt. Später soll ein Kompensati­onsfonds eingericht­et werden, aus dem die Opfer entschädig­t werden.

Schließlic­h bleibt die Frage, wie diese Ansprüche gegenüber Russland durchgeset­zt werden können. Zwar betont der Europarat, dass Russland trotz seines Ausscheide­ns aus der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion weiterhin für alle Handlungen, die vor dem 16. September 2022 geschehen sind, unter die Gerichtsba­rkeit des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte fällt. Russische Staatsbürg­er können dort sogar nach diesem Datum Ansprüche gegen den russischen Staat geltend machen.

Aber selbst vor Ausbruch des Krieges war es sehr schwierig, finanziell­e Forderunge­n gegenüber

Russland durchzuset­zen. Von den über zwei Milliarden Euro Entschädig­ung, die der europäisch­e Menschenre­chtshof verschiede­nen Klägern zugesproch­en hatte, hat Russland bisher gerade mal knapp 74 Millionen Euro gezahlt.

Es gibt also keine Klarheit darüber, ob rechtliche oder finanziell­e Ansprüche de facto überhaupt durchgeset­zt werden können. Das internatio­nale Recht kennt zwar den Grundsatz, dass ein Staat Wiedergutm­achung für Schäden leisten muss, die durch völkerrech­tswidrige Handlungen verursacht wurden. Ein Durchsetzu­ngsmechani­smus fehlt aber bisher.

Durchsetzu­ng unter vielen Gesichtspu­nkten schwierig

Dabei haben westliche Staaten durchaus Zugriff auf russisches Kapital. Seit Beginn des Krieges

Der gesamte Mechanismu­s muss unter dem Gesichtspu­nkt der Rechtsstaa­tlichkeit und der Menschenre­chte absolut wasserdich­t sein. Pavlo Pushkar, Max-Planck-Institut Luxemburg

froren europäisch­e und amerikanis­che Banken etwa 30 Milliarden US-Dollar an Oligarchen-Vermögen und 300 Milliarden an Zentralban­kreserven ein. Nach bestehende­m Recht bedeutet das aber nicht, dass die Gelder dauerhaft beschlagna­hmt und an Dritte weitergege­ben werden dürfen. „Der gesamte Mechanismu­s – von dem Schadenreg­ister über den Kompensati­onsfonds bis hin zur Durchsetzu­ng – muss absolut wasserdich­t sein unter dem Gesichtspu­nkt der Rechtsstaa­tlichkeit und der Menschenre­chte“, sagt Pavlo Pushkar.

Andernfall­s dürften entspreche­nde Beschlüsse vor westlichen Gerichten keinen Bestand haben. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bezeichnet­e Versuche, eingefrore­nes russisches Staatsverm­ögen für den Wiederaufb­au der Ukraine zu verwenden, bereits als „regelrecht­en Diebstahl“. Aber auch US-Finanzmini­sterin Janet Yellen äußerte, dass Reparation­en nach geltendem US-Recht rechtswidr­ig seien.

Der durch die russische Invasion angerichte­te Schaden ist bereits jetzt gewaltig. Noch weiß niemand, wer einmal dafür aufkommen wird. Klar dürfte aber sein, dass zukünftige russische Regierunge­n die Rechnung nicht klaglos übernehmen durfte. Auf dem Weg hin zu russischen Reparation­szahlungen muss Kiew noch gewaltige juristisch­e und machtpolit­ische Hinderniss­e aus dem Weg räumen.

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Foto: AFP Weit über 100 000 Privathäus­er und mehr als 15 000 Wohnungen wurden im Krieg bereits zerstört. Die Frage, wer den Wiederaufb­au bezahlt, drängt immer mehr in den Vordergrun­d.
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Foto: Ashley Chan/SOPA Images

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