Die Kriegs-Rechnung
Die Ukraine fordert von Russland Reparationen – das Luxemburger Max-Planck-Institut berät sie dabei
Seit Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine wurden mindestens 15 300 Wohnungen, 115 900 Privathäuser, 1 991 Geschäfte, 1 118 Bildungseinrichtungen, 188 100 Privatautos, 9 500 Busse, und 492 Straßenbahnen beschädigt, beschlagnahmt oder zerstört, hält die Kiew School of Economics fest.
Laut den Angaben der Forschungseinrichtung beträgt der Schaden, den der Krieg bis zum 5. September an der ukrainischen Infrastruktur verursacht hat, 114,5 Milliarden US-Dollar. Nach Schätzungen der Regierung des Landes beläuft sich der Gesamtbedarf für die Finanzierung der Wiederherstellung und Modernisierung der Wirtschaft auf rund 750 Milliarden Dollar. Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank mit Sitz in Luxemburg, schätzte im Juni, dass die Ukraine eine Billion Euro benötigen würde, um die Schäden zu beheben.
Juristische Unterstützung vom Max-Planck-Institut
Dass der Aggressor für diese Kosten aufkommen soll, liegt für die ukrainische Seite auf der Hand. Vertreter des Landes suchen gerade internationale Unterstützung für Reparationsforderungen an den russischen Staat. So brachte Iryna Mudra, die stellvertretende Justizministerin des Landes, ein entsprechendes Konzept unter anderem vor dem Europarat und vor der UN vor.
Juristische Unterstützung erhalten die Ukrainer dabei aus Luxemburg. Der Rechtswissenschaftler Pavlo Pushkar vom MaxPlanck-Institut mit Sitz in Kirchberg beteiligt sich für den Europarat an einer Arbeitsgruppe, die einen rechtsfesten Mechanismus für diese Forderungen ausarbeiten soll. Es sei dabei entscheidend, die Vorgehensweise mit dem bestehenden europäischen Recht und den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang zu bringen, sagt Pushkar.
Als Rechtsgrundlage für solche Ansprüche kommt zum Beispiel der Artikelentwurf für „Die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln“von 2001 infrage, der vorsieht, dass Staaten, die völkerwidrig handeln, Wiedergutmachung für entstandene Schäden zu leisten haben. „Dieser Bereich des internationalen Rechts befindet sich gewissermaßen noch im Entwicklungsstadium, die grundlegenden Prinzipien sind aber bereits vorhanden. Der Grundsatz, dass der Verstoß gegen internationales Recht Konsequenzen nach sich zieht, ergibt sich aus dem Völkerrecht“, sagt Pushkar.
So gebe es zahlreiche Fälle in der internationalen Rechtssprechung, die sich mit der Frage von Reparationsleistungen
Selbst Kirchen fallen dem Krieg zum Opfer.
befasst haben, so der Jurist. Beispielsweise zahlte der Irak nach seinem Einmarsch in Kuwait 1990 Entschädigungen an das Land. Der Iran leistete Kompensationen für die Geiselnahme amerikanischer Botschaftsangehöriger nach der Islamischen Revolution im Land.
Schadensregister soll Ansprüche dokumentieren
Ein wichtiger erster Schritt in diesem Prozess ist zunächst einmal zu erfassen, welche Schäden an der staatlichen Infrastruktur und an Privateigentum entstanden sind. Dazu möchte die ukrainische Regierung ein umfassendes Register erstellen, das die Zerstörungen genau dokumentiert. Später soll ein Kompensationsfonds eingerichtet werden, aus dem die Opfer entschädigt werden.
Schließlich bleibt die Frage, wie diese Ansprüche gegenüber Russland durchgesetzt werden können. Zwar betont der Europarat, dass Russland trotz seines Ausscheidens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention weiterhin für alle Handlungen, die vor dem 16. September 2022 geschehen sind, unter die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte fällt. Russische Staatsbürger können dort sogar nach diesem Datum Ansprüche gegen den russischen Staat geltend machen.
Aber selbst vor Ausbruch des Krieges war es sehr schwierig, finanzielle Forderungen gegenüber
Russland durchzusetzen. Von den über zwei Milliarden Euro Entschädigung, die der europäische Menschenrechtshof verschiedenen Klägern zugesprochen hatte, hat Russland bisher gerade mal knapp 74 Millionen Euro gezahlt.
Es gibt also keine Klarheit darüber, ob rechtliche oder finanzielle Ansprüche de facto überhaupt durchgesetzt werden können. Das internationale Recht kennt zwar den Grundsatz, dass ein Staat Wiedergutmachung für Schäden leisten muss, die durch völkerrechtswidrige Handlungen verursacht wurden. Ein Durchsetzungsmechanismus fehlt aber bisher.
Durchsetzung unter vielen Gesichtspunkten schwierig
Dabei haben westliche Staaten durchaus Zugriff auf russisches Kapital. Seit Beginn des Krieges
Der gesamte Mechanismus muss unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte absolut wasserdicht sein. Pavlo Pushkar, Max-Planck-Institut Luxemburg
froren europäische und amerikanische Banken etwa 30 Milliarden US-Dollar an Oligarchen-Vermögen und 300 Milliarden an Zentralbankreserven ein. Nach bestehendem Recht bedeutet das aber nicht, dass die Gelder dauerhaft beschlagnahmt und an Dritte weitergegeben werden dürfen. „Der gesamte Mechanismus – von dem Schadenregister über den Kompensationsfonds bis hin zur Durchsetzung – muss absolut wasserdicht sein unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte“, sagt Pavlo Pushkar.
Andernfalls dürften entsprechende Beschlüsse vor westlichen Gerichten keinen Bestand haben. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bezeichnete Versuche, eingefrorenes russisches Staatsvermögen für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden, bereits als „regelrechten Diebstahl“. Aber auch US-Finanzministerin Janet Yellen äußerte, dass Reparationen nach geltendem US-Recht rechtswidrig seien.
Der durch die russische Invasion angerichtete Schaden ist bereits jetzt gewaltig. Noch weiß niemand, wer einmal dafür aufkommen wird. Klar dürfte aber sein, dass zukünftige russische Regierungen die Rechnung nicht klaglos übernehmen durfte. Auf dem Weg hin zu russischen Reparationszahlungen muss Kiew noch gewaltige juristische und machtpolitische Hindernisse aus dem Weg räumen.