Zum Inselfürsten mit dem Traktor
Auf Sark ticken die Uhren anders – die eher unbekannte Kanalinsel ist sonderbar und liebenswert zugleich
Steile Felsenküsten, tief bis in den Herbst hinein von Blüten bunt schattiert, saftige-grüne Wiesen, breite Bäume und ein wunderbarer weiter Blick aufs blaue Meer. Schon auf den ersten Blick zeigt sich der Insel-Zwergstaat Sark im Ärmelkanal als ein Idyll. Doch rasch wird klar, was für ein schräger Ort er ist – so sonderbar, dass man sich ständig wundert, und doch zugleich so liebenswert, dass man nicht wieder gehen möchte.
Wie ein weißes Schlösschen thront Point Robert Light auf einer Klippe, 65 Meter über uns, kurz vor Maseline Harbour. Nach knapp einer Stunde Fahrt von St. Peter Port legt die Fähre an auf Sark, der viertgrößten aller Inseln im Kanal. Deren Zahl schwankt zwischen neun und 22 – „je nach dem, wie viele Felsen man als Insel zählt“, sagt Gaby Betley. Seit ihrer Jugend lebt die Norddeutsche in Guernsey und zeigt Gästen „ihre
Der Seigneur von Sark.
Inseln“. Die sind zwar sehr britisch und französisch, aber weder Teil von Großbritannien noch von Frankreich. Sark ist die in vieler Hinsicht Sonderbarste unter ihnen – ein winziger Feudalstaat auf dem Weg zu demokratischen Verhältnissen. „Seine Gesetze stammen teils noch aus dem Mittelalter, als die Herzöge der Normandie zugleich die Könige von England waren“, klärt uns Gaby auf. Als fast das ganze Herzogtum an Frankreich fiel, bestand der Rest davon nur aus den Inseln im Kanal. Und diese blieben, selbstverwaltet, Eigentum der englischen Monarchen. Dort befinden sich die Überbleibsel immer noch – aufgeteilt in die zwei Kronbesitzungen von Jersey und Guernsey. Zu Letzterer zählt Sark – und zwar als königliches Lehen.
Aufwärts mit dem „Toasterständer“
Regiert wird es von einem Inselherrscher: dem Seigneur (oder einer -herrscherin: der Dame, sprich „deeim“), kontrolliert von einem Parlament. Seit 2017 bekleidet Christopher Beaumont das Amt. Seinen Sitz erreicht man nur per Landmaschine oder Muskelkraft. Denn neben Fahrrädern und Pferden mit und ohne Kutsche sind auf der autofreien Insel nur Traktoren zugelassen. Nur ein kurzer Felsentunnel trennt den Schiffskai von der Traktorhaltestelle. Wir steigen ein und tuckern los. Erstaunlich sportlich geht es aufwärts mit dem „toast rack“(Toasterständer), wie die Einheimischen ihren Traktor nennen.
Offiziell ist Sark ein Land, besteht jedoch aus einer einzigen Gemeinde mit rund 600 Bewohnern. Jährliche Höhepunkte sind – abgesehen von gelegentlichen Stippvisiten der Royal Family – das Schafsrennen und der Vogelscheuchenwettbewerb.
Bei Major Christopher Beaumont stehen Tee und Wasser auf dem Serviertisch im Salon des Herrensitzes „La Seigneurie“. „Wer möchte noch etwas?“, fragt der Mann und schenkt das Gewünschte ein. So normal die Szene scheint, so ungewöhnlich ist sie. Bedient uns doch ein Inselfürst, Kronvasall und Oberhaupt eines feudalen Staates. Denn auch wenn der seit 14 Jahren demokratisch umgestaltet wird, basiert er immer noch auf mittelalterlichen Regeln. Zwischen Sesseln und Chaiselongue jongliert der 65-Jährige die Wassergläser zu den Gästen. „Die Zeiten ändern sich“, sagt der 23. Seigneur von Sark. Als er das Amt 2016 antrat, hatten die ersten Wahlen bereits stattgefunden und das Ende der Feudalzeit eingeläutet.
Sternenmeer auf der „Dunkel-Insel“Lehns- und Steuerrechte wurden seither reformiert. Doch Eigentümerin des kleinen Landes ist immer noch die Krone Englands. „Als Verwalter ihres Lehens zahle ich dafür wie alle Amtsinhaber vor mir einen Jahreszins (umgerechnet heute 1,79 Pfund Sterling)“, erklärt der ehemalige Offizier. Auch sorge er dafür, dass stets 40 Männer unter Waffen stehen, um die Insel zu schützen.
„La Coupée“, ein steiler, schmaler Grat, der Great und Little Sark verbindet, ist das Ziel der abendlichen Radtour. Das Meer, die Felsenwände,
Rasch wird klar, was für ein schräger Ort die Insel Sark ist.
das Nachbarinselchen Brecqhou wie auch der weite Himmel bieten ein grandioses Panorama – besonders jetzt bei Sonnenuntergang. Die Abgeschiedenheit vom Licht der Städte machen Sark des Nachts zu einem echten Finsterort. 2011 ernannte es die International Dark-Sky Association zur ersten „Dunkel-Insel“. Der Himmel funkelt voller Sterne. Das wollen wir genießen – steigen von den Rädern und tapern zu unserer Pension.