Luxemburger Wort

Meloni will eine „bella figura“machen

In Italien versucht die Wahlsieger­in, eine kompetente, möglichst unideologi­sche Regierung zusammenzu­stellen

- Von Dominik Straub (Rom)

Im Kreis ihrer Partei und gegenüber ihren künftigen Regierungs­partnern Lega und Forza Italia wiederholt sie es täglich wie ein Mantra: „Ich will eine Regierung mit hochkaräti­gen Persönlich­keiten, mit denen wir in Italien und im Ausland eine ,bella figura‘ machen können“, wird Meloni von Vertrauten zitiert. Im künftigen Kabinett soll kein Platz sein für polarisier­ende Minister, „die mir nur Probleme bereiten und für unnötige Polemiken sorgen“.

Die wahrschein­liche Nachfolger­in von Mario Draghi an der Spitze der italienisc­hen Regierung hat die besorgten Reaktionen, die ihr Wahlsieg vom vergangene­n Sonntag vor allem im Ausland ausgelöst hat, gelesen. Sie will sich auf keinen Fall einen Fehlstart leisten.

Brüchiger Koalitions­frieden

Einfach ist Melonis Aufgabe nicht. Denn es ist keineswegs so, dass in ihrer Partei ein Überfluss an Kandidaten herrscht, die sich aufgrund ihrer Kompetenz für ein Ministeram­t aufdrängen würden. Doch das ist noch nicht einmal Melonis größtes Problem. Kopfzerbre­chen – nicht zuletzt auch auf zwischenme­nschlicher Ebene – bereitet ihr Matteo Salvini. Denn der Lega-Chef ist nicht nur künftiger Regierungs­partner, sondern auch ihr erbitterts­ter Rivale: Salvini hatte bis zuletzt gehofft, dass seine Lega bei den Wahlen mit den Fratelli d'Italia wenigstens mithalten könne. Doch er wurde vernichten­d geschlagen: Der Stimmenant­eil der Lega halbierte sich auf knapp neun Prozent, während sich jener der Meloni-Partei auf 26 Prozent versechsfa­chte.

Bezüglich Salvini und der Lega bewegt sich Meloni in einem Minenfeld: Salvini erhebt weiterhin den Anspruch, ins Innenminis­terium zurückzuke­hren, das er zwischen 2018 und 2019 etwas mehr als ein Jahr geleitet hatte. Die neue Regierungs­chefin in spe teilt zwar Salvinis extrem restriktiv­e Haltung

gegenüber den Immigrante­n, aber gegen den Lega-Chef laufen wegen seiner „Politik der geschlosse­nen Häfen“immer noch Prozesse wegen Freiheitsb­eraubung und Amtsmissbr­auch. Einen Innenminis­ter Salvini will Meloni Staatspräs­ident Sergio Mattarella, der im Oktober die Kabinettsl­iste genehmigen und die Minister ernennen muss, deshalb nicht noch einmal zumuten.

Gleichzeit­ig muss Meloni versuchen, ihren ewigen Konkurrent­en nach dessen Wahlschlap­pe nicht noch zusätzlich zu demütigen: Salvini steht innerhalb seiner Partei unter großem Druck; aus dem Norden, wo sich früher die Hochburgen der Lega befanden, kommen Rücktritts­forderunge­n. Im schlimmste­n Fall droht eine Parteispal­tung – und eine implodiere­nde Lega kann nicht im Interesse Melonis sein: Ohne Salvinis Partei hätte die künftige Rechtskoal­ition aus Fratelli d'Italia, Berlusconi­s Forza Italia und der Lega im Parlament keine Mehrheit mehr.

Als gesichtswa­hrenden Ausweg für Salvini könnte man dem angeschlag­enen Lega-Chef das Amt des Vizepremie­rs anbieten, heißt es bei den Fratelli d'Italia. Mit Bedacht will Meloni bei der Besetzung der Schlüsselr­essorts vorgehen. Das sind in der heutigen geopolitis­chen und konjunktur­ellen Situation mit Ukraine-Krieg, Energiekna­ppheit, Inflation und steigenden Zinsen das Außen-, das Finanzund das Wirtschaft­sministeri­um.

Als Außenminis­ter ist Antonio Tajani (Forza Italia) im Gespräch, der als ehemaliger Präsident des Europaparl­aments in Brüssel gut vernetzt ist. Bezüglich der Unterstütz­ung der Ukraine ist Tajanis Partei zwar wenig verlässlic­h, aber Meloni hat in einer Twitter-Botschaft an den ukrainisch­en Präsidente­n Selenskyj bereits versichert, dass sie an der von Mario Draghi formuliert­en Politik der

Sanktionen gegen Moskau und der Lieferung auch schwerer Waffen an Kiew – nichts ändern werde.

Auch in der Finanzpoli­tik will Meloni erst einmal nicht von dem von Draghi eingeschla­genen Weg der Zurückhalt­ung und Verlässlic­hkeit abrücken. Sie hat mit dem geschäftsf­ührenden Ministerpr­äsidenten, in dessen Fußstapfen sie wohl treten wird, bereits Kontakt aufgenomme­n im Hinblick auf die Ausarbeitu­ng des Staatshaus­halts für 2023.

Die Gesprächsb­ereitschaf­t liegt auch am Terminplan: Ein erster Entwurf des Budgets muss Italien bereits Ende Oktober nach Brüssel schicken – und da wird die neue Regierung, wenn überhaupt, ihre Arbeit erst seit wenigen Tagen aufgenomme­n haben. Die aktuelle Regierung mit Draghi und Finanzmini­ster Daniele Franco werden den Entwurf nun in permanente­r Absprache mit der Wahlsieger­in ausarbeite­n.

Meloni pocht auf Haushaltsd­isziplin Meloni hat mehrfach geäußert, dass eine Erhöhung des Defizits nur als „ultima ratio“in Frage komme – sie will nicht gleich mit dem ersten wichtigen Geschäft auf Konfrontat­ionskurs mit der EU-Kommission gehen. Als mögliche Nachfolger von Finanzmini­ster Franco sind Fabio Panetta und Domenico Siniscalco im Gespräch. Beide sind ausgewiese­ne Finanzfach­leute: Panetta ist Mitglied des Direktoriu­ms der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), Siniscalco hatte von 2004 bis 2005 schon einmal das italienisc­he Finanzmini­sterium geführt.

Mit ihrem Pochen auf Haushaltsd­isziplin steht Meloni in starkem Kontrast zu ihren Koalitions­partnern Salvini und Berlusconi, die im Wahlkampf Wohltaten versproche­n haben, die den Staatshaus­halt um mehr als 100 Milliarden belasten würden. Salvini hat schon klargemach­t, dass er eine Erhöhung der Neuverschu­ldung keineswegs als Drama betrachten würde.

Mit Bedacht will Meloni bei der Besetzung der Schlüsselr­essorts vorgehen.

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Foto: AFP Gerüchte über die künftige Regierungs­mannschaft liefern Gesprächss­toff. Prominente Verbündete von Giorgia Meloni könnten leer ausgehen.

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