Der fehlende Baustein
Webasto-Chef Holger Engelmann über die Investitionspläne für das Werk in Grevenmacher
Im August verkündete der deutsche Automobilzulieferer Webasto, dass er Carlex Glass Luxembourg übernehmen wird, das etwa 500 Mitarbeiter in Grevenmacher beschäftigt. Im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“erläutert Geschäftsführer Holger Engelmann, was er mit dem Luxemburger Standort vorhat und wie Lieferkettenprobleme und Inflation sich auf die Automobilzulieferbranche auswirken.
Holger Engelmann, Webasto stellt Fahrzeugkomponenten von Dachbis zu Batteriesystemen her, Carlex Luxemburg Glaselemente für die Autoindustrie. Was ist die Schnittmenge zwischen den Unternehmen? Welche Synergien erhoffen Sie sich von der Übernahme?
Wie Sie wissen, sind wir Marktführer im Bereich von Schiebeund Panoramadächern. Der Standort Grevenmacher ist in dem Zusammenhang für uns ein sehr wichtiger Baustein, denn bei den großen Panoramadächern verbauen wir sehr viel Glas. In diesem Bereich wird zukünftig sehr viel Innovation stattfinden. Deswegen ist es wichtig für uns, die Luxemburger Glasexperten an Bord zu haben.
Können Sie ein Beispiel nennen für Innovation in dem Bereich?
Die zukünftigen Autodächer werden stark schaltbar sein, sodass man zum Beispiel steuern kann, wie viel Sonne in den Innenraum kommt. Mit entsprechender Beschichtung der Scheiben ist es möglich, den Wärmeeintrag in das Fahrzeug zu verringern. Außerdem kann man mit angepasster Beleuchtung das Ambiente im Auto verändern oder Konnektivitätsfunktionen integrieren. Glas wird also immer „intelligenter“. Der ehemalige Carlex Standort wird für uns so eine Art interner Zulieferer für solche Entwicklungen sein und Projekte gemeinschaftlich mit unseren Mitarbeitern in der Zentrale in Stockdorf umsetzen.
Lohnt sich für Sie Industrieproduktion in einem Land mit so einem hohen Lohnniveau wie Luxemburg?
Wir wollen das Glasgeschäft weiter ausbauen und gerade für solche intelligenten Dächer globale Marktführer sein. Dafür ist Grevenmacher für uns ein wichtiger Standort, mit sehr kompetenten Mitarbeitern in der Entwicklung, aber auch in der Produktion. Diese Entwicklungs- und auch Prozesskompetenz ist entscheidend für unsere Wachstumspläne.
Perspektivisch wollen wir mit dieser Technologie auch in den asiatischen und amerikanischen Markt gehen. Dafür brauchen wir Mitarbeiter, die das Know-how haben und die Prozesse beherrschen. Da haben wir mit den neuen Mitarbeitern in Luxemburg ein sehr gutes Team hinzugewonnen. Deswegen werden wir in Luxemburg auch weiter investieren. Wenn wir zusätzlich noch ein wenig Unterstützung von der Luxemburger Regierung bekommen, werden wir gerade im hochpreisigen Segment der Dächer im Land auch sehr effizient produzieren können.
In welche Bereiche werden Sie investieren?
Wir werden in der Produktion definitiv in eine weitere Glaslinie investieren, damit wir Dachsysteme mit größeren Glaselementen vor Ort herstellen können. Insgesamt werden wir den Standort modernisieren. Da wir technologisch anspruchsvolle Glaselemente herstellen, ist das hier vorhandene Know-how der entscheidende Wettbewerbsfaktor, mit dem wir auch mögliche Kostennachteile kompensieren können.
Wir werden in Luxemburg im zweistelligen Millionenbereich investieren.
Können Sie eine ungefähre Summe nennen, die Sie am Standort investieren möchten?
Das möchte ich derzeit noch nicht. Wir sind in der Analysephase und auch in Gesprächen mit dem Wirtschaftsministerium.
Aber ich kann sagen, dass die Investitionen im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich liegen werden.
Übernahmen sind immer auch verbunden mit der Angst vor Arbeitsplatzabbau oder der Umschichtung von bestimmten Tätigkeitsbereichen. Können Sie ausschließen, dass Sie sich im Zuge der Übernahme von Mitarbeitern trennen werden?
Ausschließen kann man in der heutigen herausfordernden Zeit nie etwas. Aber wir haben den Standort Luxemburg nicht gekauft, um vorhandene Fähigkeit synergetisch zu vereinen und so Kosten zu sparen. Das ist nicht der Charakter der Übernahme. Stattdessen haben wir eine neue Kompetenz dazu gewonnen, neue Fähigkeiten, die wir benötigen.
Glasbearbeitung ist sehr energieintensiv. Sind die extrem gestiegenen Preise für Sie ein Problem?
Ja, das ist eine große Herausforderung. Wir sind in unseren Prozessen auf Elektrizität angewiesen, daher beeinträchtigen uns natürlich die stark gestiegenen Strompreise. Wir versuchen daher, jegliche Effizienzmöglichkeiten auszuschöpfen und unseren Umgang mit Energie zu optimieren, zum Beispiel, indem wir Ausschuss in der Glasbearbeitung vermeiden. Aber gleichzeitig können wir diesen starken Preisanstieg nicht vollkommen auffangen und brauchen daher die Unterstützung der Kunden. Wir sind dazu aktuell in langfristig orientierten Gesprächen mit ihnen.
Wie stellt sich die Situation auf dem Zulieferermarkt für die Automobilindustrie aktuell dar? Inwieweit belasten Sie die Probleme in den Lieferketten?
Die geopolitischen Entwicklungen, die Staus in den Lieferketten und die Inflation betreffen Webasto genauso wie jeden anderen Zulieferer. Diese unterschiedlichen Krisen und Unsicherheiten müssen wir gleichzeitig managen. Das gelingt uns bis jetzt gut, aber es ist anstrengend. Immer wieder müssen wir Taskforces einrichten, zum Beispiel zu der Frage, wie wir Halbleiter beschaffen oder mit den Materialkostenerhöhungen umgehen.
Parallel zu diesen Themen haben wir die grundlegende Transformation der Branche zu stemmen, einerseits in Richtung Elektromobilität, auf der anderen Seite zum automatisierten Fahren. Darauf müssen wir uns als Zulieferer einstellen und entsprechend investieren, um an diesen Trends zu partizipieren und damit zu wachsen. Hier sind wir mit innovativen Lösungen vorne mit dabei.
Haben sich die aktuellen Krisen bereits auf der Nachfrageseite bemerkbar gemacht?
Bisher kaum, wenngleich wir bemerken, dass das Absatzvolumen stagniert. Die Branche hat nach wie vor verschiedene Engpassthemen in ihren Lieferketten und wir sind ein Teil davon. Wir sind zum Beispiel weiterhin eingeschränkt durch die Verfügbarkeit von Halbleitern.
Wir sehen eine gewisse Stabilisierung. Der Mangel an Halbleitern scheint sich langsam aufzulösen, nicht unmittelbar, aber wohl in zehn bis 20 Monaten. Auch in anderen Bereichen wie beim Stahlpreis deutet sich eine Entspannung an, im Moment ist die Lage aber noch sehr angespannt. Wir werden sehen, ob die rezessiven Tendenzen in Europa und den USA sich auch auf der Nachfrageseite niederschlagen werden.
Inwieweit ist die Umstellung auf Elektromobilität für Sie eine Herausforderung?
Wir sehen die Transformation als große Chance. Wir haben vor einiger Zeit gesehen, dass die Elektromobilität kommt und seit 2015 investieren wir massiv in diesem Bereich. Damit haben wir richtig gelegen. Gleichwohl ist das Eintauchen in neue Technologien und einen komplett neuen Markt mit einer neuen Konkurrenzsituation mit vielen Herausforderungen verbunden.
Der Markt ist sehr dynamisch und die Entwicklung der Nachfrage nicht klar vorhersehbar. Aber für uns ist es eine Chance, an der Entwicklung teilnehmen zu können und sie mitzugestalten. Unser größter Geschäftsbereich mit
Dachsystemen ist auch von dem Wandel betroffen, weil die Ansprüche an die Fahrzeugkonstruktion und den Innenraum sich verändern. Aufgrund der Positionierung einer Batterie in einem Elektrofahrzeug muss zum Beispiel das Dach anders verbaut sein. Das bedeutet, dass wir wachsam bleiben und uns anpassen müssen. Aber wir haben eine bessere Ausgangsposition als Zulieferer, die sehr stark auf Verbrenner fokussiert waren.
Bringt die Elektromobilität nicht auch eine Tendenz zu einer vertikalen Integration bei Autoherstellern mit sich? Ist es für Sie als Zulieferer eine Bedrohung, wenn die Automobilkonzerne einen größeren Teil der Wertschöpfung an sich ziehen?
Im Batteriebereich sind wir von Anfang an davon ausgegangen, dass die Autohersteller zu etwa 75 Prozent den Batteriemarkt selbst abdecken. Aber wir denken, dass es zu 25 Prozent einen freien Markt gibt, wo Hersteller die Produktion an Zulieferer outsourcen.
Das ist für uns bei der Größe des Marktes vollkommen ausreichend, um Fuß zu fassen. Hier ist Webasto inzwischen gut etabliert. Mittelfristig denken wir, dass die Automobilhersteller auch wieder mehr von der Produktion an die Zulieferer geben werden. Viele Fahrzeughersteller haben die Batterieproduktion zunächst einmal ins Unternehmen geholt, um das System zu verstehen, werden sich aber in Zukunft wieder mehr auf die Bereiche konzentrieren, in denen sie operative Kostenvorteile haben. Für die Autohersteller dürfte das eher die digitale Welt des Fahrzeugs sein. Die Batterieproduktion wird dann wieder dem überlassen, der sich auf diese spezialisiert hat.
Als Automobilzulieferer benötigt man eine gewisse kritische Größe.