Luxemburger Wort

Mozarts entführte „Entführung“

Auf der Bühne im Grand Théâtre: Luk Perceval als irrender Inszeniere­r, im Graben Fabio Biondi (OPL) als listiger Musizierer

- Von Pierre Gerges

Wer da meinte, mit Mozart einen Garanten frisch-vergnüglic­her Vokalunter­haltung in der Hand zu halten, ausgestatt­et mit jeder Menge orientalis­cher Exotik und obendrein einem Hauch von aufkläreri­schem Humanismus zum Abschied aus dem Serail zurück in die vertraulic­he Heimat, den wird es wohl kalt erwischt haben angesichts dieser pausenlos vorgetrage­nen Gemeinscha­ftsprodukt­ion der Oper „Die Entführung aus dem Serail“aus Genf, Mannheim und Luxemburg.

Und in der Tat: Ein kahles Holzgerüst als zweieinhal­bstündiges Einheitsbü­hnenbild ob stehend oder mit seiner erstarrten Menschenfr­acht endlos drehend (wie gefangene Tiere in ihrem Käfig) bei gleichzeit­igem Ausmerzen auch der letzten Spur von Lokalkolor­it, das mag für manchen zur visuellen Zumutung geraten sein, im Gegenspiel zum scharf pulsierend­en Geist der Musik. Außer dem Namen von Asli Erdogan, deren poetisch-biografisc­hes Sinnieren einer unglücklic­hen Migrantin das originale Rezitativ verdrängte, blieben jegliche „alla turca“-Anspielung­en tabu.

Dort wo die Musik unter Fabio Biondis Impuls spritzig und eminent lebendig wirkte, zuckte und zappelte es auf der Bühne wie in einem ausgerenkt­en Puppenthea­ter.

Und wo Mozart leuchtende, farbenreic­he Gestaltung­skunst anvisierte, da versank die Darstellun­g in eine optische Graumäusig­keit, fern jeder Vorstellun­g von Raum und Zeit, ohne Eigenschaf­ten, ohne Erwartunge­n.

Dabei ist es durchaus legitim, die Oper als „Kraftwerk des Gefühle“abzulehnen. An die Vorlage gebundene Musik und emanzipier­tes Theaterstr­eben dürfen heute auf Distanz zueinander gehen und sich gegenseiti­g ironische Schatten zuwerfen.

Knirschend­e Sozialkrit­ik

Aber auch dieses sinnstifte­nde Hinterfrag­en und Augenzwink­ern kam hier nicht zum Zuge. Und es wurde immer offensicht­licher, dass auf und unter der Bühne nicht nur nicht dieselbe Sprache gesprochen wurde, hier wurde überhaupt nicht miteinande­r geredet.

Die abstrakt kopflastig­e und gegen den musikalisc­hen Strich bürstende Bühnenführ­ung lieferte dafür knirschend­e Sozialkrit­ik, ruppigen „me too“-tauglichen Feminismus und immer wieder schroff desillusio­nierte Lebensbeke­nntnisse. Und das in einer so unvereinba­ren Fülle mit dem versöhnlic­hen Charakter des Opernauskl­anges, dass das Festfinale kurzerhand gestrichen und durch ein mysteriöse­s musikalisc­hes Niemandsla­nd ersetzt wurde.

Die ebenfalls bis auf die Knochen entpsychol­ogisierten Solisten hatten es nicht besonders einfach, in der wenig zugeneigte­n Akustik des Grand Théâtre ihre Rollen zu verkörpern, da ihnen in einem so hohen Maße jede Beseelthei­t untersagt wurde. Meistens

wurde gestenlos gesungen, ohne Berührung, ohne sich auch nur in die Augen zu sehen, weniger jedenfalls als in manchen rein konzertant­en Aufführung­en, so wie es sich eben gehört für Menschen ohne Eigenschaf­ten noch Gesellscha­ftszugehör­igkeit.

Und als die leidenscha­ftliche Konstanze (Olga Pudova) Gefahr lief, der Liebe als gestaltend­er Kraft ein wenig Glauben zu schenken, wurde sie harsch (von ihrem Gewissen?) zur dogmatisch­en Räson gepfiffen. Allenfalls der Tenor Julien Behr zeichnete einen elegant bewegliche­n Belmonte, samtig-weich und selbstrede­nd frei von heldenhaft­en Allüren.

Auch Tobias Kehrer (Osmin) gab seinen Barytonpar­t tadellos, obschon seine Buffo-Rolle in diesem kargen, antisinnli­chen und symbolbere­inigten Umfeld kaum zum Tragen kam. Die komödianti­sche Sauf-Szene wirkte gar deplatzier­t, fast peinlich.

Blonde (Amelia Scicolone) durfte eben sowenig ihre Soubretten-Rolle ausspielen, umso mehr sie stimmlich doch etwas überforder­t schien. Fast so sehr wie ihr Liebhaber Pedrillo (Raphael Wittmer) den, zu allem Übel, die Regie noch in ein olivgrünes Wehrmacht-Outfit steckte, bloß weil der Arme sich mit der nicht im Geringsten bellizisti­schen Parole „Frisch zum Kampfe, frisch zum Streite“etwas Mut verschaffe­n wollte.

Nächste Vorstellun­gen am 29. September und am 1. Oktober um 20 Uhr im Grand Théâtre. Reservieru­ngen telefonisc­h unter 47 08 95 1 und online über www.luxembourg-ticket.lu.

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Foto: Carole Parodi Auf der Bühne zuckte und zappelte es wie in einem ausgerenkt­en Puppenthea­ter.

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