Mozarts entführte „Entführung“
Auf der Bühne im Grand Théâtre: Luk Perceval als irrender Inszenierer, im Graben Fabio Biondi (OPL) als listiger Musizierer
Wer da meinte, mit Mozart einen Garanten frisch-vergnüglicher Vokalunterhaltung in der Hand zu halten, ausgestattet mit jeder Menge orientalischer Exotik und obendrein einem Hauch von aufklärerischem Humanismus zum Abschied aus dem Serail zurück in die vertrauliche Heimat, den wird es wohl kalt erwischt haben angesichts dieser pausenlos vorgetragenen Gemeinschaftsproduktion der Oper „Die Entführung aus dem Serail“aus Genf, Mannheim und Luxemburg.
Und in der Tat: Ein kahles Holzgerüst als zweieinhalbstündiges Einheitsbühnenbild ob stehend oder mit seiner erstarrten Menschenfracht endlos drehend (wie gefangene Tiere in ihrem Käfig) bei gleichzeitigem Ausmerzen auch der letzten Spur von Lokalkolorit, das mag für manchen zur visuellen Zumutung geraten sein, im Gegenspiel zum scharf pulsierenden Geist der Musik. Außer dem Namen von Asli Erdogan, deren poetisch-biografisches Sinnieren einer unglücklichen Migrantin das originale Rezitativ verdrängte, blieben jegliche „alla turca“-Anspielungen tabu.
Dort wo die Musik unter Fabio Biondis Impuls spritzig und eminent lebendig wirkte, zuckte und zappelte es auf der Bühne wie in einem ausgerenkten Puppentheater.
Und wo Mozart leuchtende, farbenreiche Gestaltungskunst anvisierte, da versank die Darstellung in eine optische Graumäusigkeit, fern jeder Vorstellung von Raum und Zeit, ohne Eigenschaften, ohne Erwartungen.
Dabei ist es durchaus legitim, die Oper als „Kraftwerk des Gefühle“abzulehnen. An die Vorlage gebundene Musik und emanzipiertes Theaterstreben dürfen heute auf Distanz zueinander gehen und sich gegenseitig ironische Schatten zuwerfen.
Knirschende Sozialkritik
Aber auch dieses sinnstiftende Hinterfragen und Augenzwinkern kam hier nicht zum Zuge. Und es wurde immer offensichtlicher, dass auf und unter der Bühne nicht nur nicht dieselbe Sprache gesprochen wurde, hier wurde überhaupt nicht miteinander geredet.
Die abstrakt kopflastige und gegen den musikalischen Strich bürstende Bühnenführung lieferte dafür knirschende Sozialkritik, ruppigen „me too“-tauglichen Feminismus und immer wieder schroff desillusionierte Lebensbekenntnisse. Und das in einer so unvereinbaren Fülle mit dem versöhnlichen Charakter des Opernausklanges, dass das Festfinale kurzerhand gestrichen und durch ein mysteriöses musikalisches Niemandsland ersetzt wurde.
Die ebenfalls bis auf die Knochen entpsychologisierten Solisten hatten es nicht besonders einfach, in der wenig zugeneigten Akustik des Grand Théâtre ihre Rollen zu verkörpern, da ihnen in einem so hohen Maße jede Beseeltheit untersagt wurde. Meistens
wurde gestenlos gesungen, ohne Berührung, ohne sich auch nur in die Augen zu sehen, weniger jedenfalls als in manchen rein konzertanten Aufführungen, so wie es sich eben gehört für Menschen ohne Eigenschaften noch Gesellschaftszugehörigkeit.
Und als die leidenschaftliche Konstanze (Olga Pudova) Gefahr lief, der Liebe als gestaltender Kraft ein wenig Glauben zu schenken, wurde sie harsch (von ihrem Gewissen?) zur dogmatischen Räson gepfiffen. Allenfalls der Tenor Julien Behr zeichnete einen elegant beweglichen Belmonte, samtig-weich und selbstredend frei von heldenhaften Allüren.
Auch Tobias Kehrer (Osmin) gab seinen Barytonpart tadellos, obschon seine Buffo-Rolle in diesem kargen, antisinnlichen und symbolbereinigten Umfeld kaum zum Tragen kam. Die komödiantische Sauf-Szene wirkte gar deplatziert, fast peinlich.
Blonde (Amelia Scicolone) durfte eben sowenig ihre Soubretten-Rolle ausspielen, umso mehr sie stimmlich doch etwas überfordert schien. Fast so sehr wie ihr Liebhaber Pedrillo (Raphael Wittmer) den, zu allem Übel, die Regie noch in ein olivgrünes Wehrmacht-Outfit steckte, bloß weil der Arme sich mit der nicht im Geringsten bellizistischen Parole „Frisch zum Kampfe, frisch zum Streite“etwas Mut verschaffen wollte.
Nächste Vorstellungen am 29. September und am 1. Oktober um 20 Uhr im Grand Théâtre. Reservierungen telefonisch unter 47 08 95 1 und online über www.luxembourg-ticket.lu.