Auf den Hund gekommen
Autor Guy Rewenig und Claude D. Conter, Direktor der Nationalbibliothek, im Gespräch über ihr (Lese-)Stück „Schnéiwäiss Männer“
Zwei ehemalige Schulkameraden begegnen sich nach 50 Jahren auf einem Parkplatz in Mamer. Die beiden alten weißen Männer, der einstige Rebell Maller und der ehemalige Diplomat Rommelfangen, geraten beim Diskutieren in einen Rausch. In ihrem Dialog „Schnéiwäiss Männer“liefern sich Guy Rewenig und Claude D. Conter rund 70 Minuten einen selbstironischen Schlagabtausch im TNL über die (Un-)tiefen Luxemburgs und einen rumänischen Köter. Eine Lesung zwischen Leerstück, Selbstvergewisserung und ästhetischer Kunsterfahrung ...
Was ist passiert? Habt Ihr Euch gerade gerauft? Und Guy hat den Kürzeren gezogen?
Guy Rewenig: Ja, Claude ist manchmal sehr brutal mit mir. Eigentlich ist er ein ganz Lieber, aber manchmal haut er mir auf die Fresse. Das ist nun das Resultat.
Ihr seid ja auch zwei alte weiße Männer. Habt Ihr schonmal an eine Haarfärbung gedacht?
Claude D. Conter: Bei Guy gibt es weniger einzufärben, als bei mir, aber bei den Barthaaren selbstverständlich.
Guy Rewenig: Ich wollte mich mal grün einfärben lassen, so mit Butterblumen auf dem Kopf, aber da wurde mir gesagt, da ist nicht mehr genug Gras. Das klappt nicht.
Wie seid Ihr auf die Idee einer Doppel-Lesung im TNL gekommen? Die CNL-Lesung im Frühjahr 2021 war ja bereits ein Erfolg ...
Guy Rewenig: Ja, die erste Lesung war in der Nationalbibliothek im Rahmen der CNL-Liesrees. Da hatte ich Claude gebeten, ein Stück mitzulesen, und wir waren auf Anhieb so begeistert, dass wir beschlossen, das auszubauen.
Beim Proben hatten wir solchen Spaß, wir kommen nicht mehr los davon.
Claude D. Conter: Genau. Das wollen wir jetzt nochmal machen und dann ein Hörbuch, aber der Verleger weiß noch nichts davon.
Alte Männer sind ja auch weise ... Seid Ihr mittlerweile ‚altersweise’ geworden? Wie kam es zu dem Titel „Schnéiwäiss Männer“?
Guy Rewenig: Ja, anfangs hieß es „schneeweise Männer“, aber irgendwo ist da ein Druckfehler hineingeraten ... Aber schneeweiß ist auch eine Anspielung auf Schneewittchen, es hat also schon etwas Märchenhaftes.
Guy Rewenig gilt doch allgemein als griesgrämiger Misanthrop, Claude Conter hingegen hat für jeden Autor ein offenes Ohr, ihm ist an Dialog gelegen und er wirkt eher wie ein Menschenfreund ... Spiegelt sich diese Konstellation auch in dem Text wider?
Claude D. Conter: Ich sehe das nicht so. Ich glaube, dass Guy ein großer Menschenfreund ist, nicht griesgrämig. Er wirft aus Menschenliebe einen Blick auf die Gesellschaft, die ihn besorgt. Aber in jedem seiner Texte ist die Liebe für den Menschen spürbar. Dass es im Text Gegensätze gibt, hängt an unterschiedlichen Charakteren. Trotzdem verstehen sich Maller und Rommelfangen aber sehr gut.
Guy Rewenig: Claude ist mein bester Analytiker, auch was Texte und seine Menschenkenntnis anbelangt. Mir ist es bisher immer gut gelungen, meinen Griesgram vor ihm zu verstecken ...
„De Ben Maller war de gréisste Rebell, dee jee d’Schoulbänk am Kolléisch gedréckt huet“heißt es in dem Text. Er gründete damals die „Kritesch Allianz“(KRALL). Ist es ein Dialog von einstigen Rebellen, die nun auf ihre Jugend und verlorenen Idealismus zurückblicken?
Claude D. Conter: Es ist ein Dialog von einem ehemaligen Rebellen, der in der linken Freiheitsbewegung aktiv war, der womöglich seine Sicht auf die Gesellschaft nicht geändert, der aber seine Handlungsweisen verändert hat – wohl aufgrund eines langjährigen Schuldienstes. Während Rommelfangen nie ein Rebell war, aber sich womöglich, nachdem er den diplomatischen Dienst verlassen hat, gerne zu einem entwickeln würde. Das ist aber ein Wunschgedanke, den er erst im Gespräch mit Maller entwickelt. In seinen Handlungs- und Denkweisen bleibt Rommelfangen durchaus gefangen.
In dem Text geht es auch um einen rumänischen Hund, Schweizer Rasse, extra gezüchtet für die Lëtzebuerger, „Schesku“. Das Tier ist etwas eigenwillig und tanzt seinem Herrchen auf der Nase herum ... Was hat es mit dem
Hund auf sich?
Guy Rewenig: Ja, der Hund spielt die Hauptrolle in diesem Stück und die beiden Protagonisten kreisen eigentlich ständig um ihn. Dieser Hund ist unbegreiflich, den kriegen sie nicht in den Griff. Alle beide nicht. Also ist das fremde Unbekannte da. Das ist ein richtiger Sauhund. – Ciao Ciao Schesku!
Claude D. Conter: Der wird nach der Lesung im TNL in die Karpaten zurückgeschickt ...
Guy Rewenig: Nee, der kommt in den Fleischwolf.
Claude D. Conter: Wir sind uns noch uneins.
„Wat hu mir Lëtzebuerger nëmme verbrach, datt mir ageklemmt sinn tëscht deenen dräi Schäisslänner? Et kënnt ee sech jo vir wéi am Schraufstack!“, heißt es im Text. Claude Conter: Haben Sie Verständnis für Guy Rewenigs’ lange Schachtelsätze und Wut-Tiraden?
Claude D. Conter: Die Sätze sind mir nicht lang genug! Und: Ich mag den Begriff der Wutrede nicht. Der hat für viele heute eine Nähe zu Wutbürgern, und das sind die Tiraden von Maller und Rommelfangen nicht. Das sind virtuos gebaute Sätze, in denen Kritik deutlich wird und die zugleich zeigen, wie viel Freude an der Sprache man haben kann.
Guy Rewenig mit Pflaster auf Stirn und Nase, aber nichts Schlimmes ... Und nein, er und Claude D. Conter haben sich nicht gerauft. Beide lesen an diesem Samstag und Sonntag auf der Bühne des TNL „Schnéiwäiss Männer“.
Das sind virtuos gebaute Sätze, in denen eine Kritik deutlich wird und die zugleich zeigen, wie viel Freude an der Sprache man haben kann. Claude D. Conter
In dem Text kommen an vielen Stellen trotzdem sehr viele Spitzen gegenüber den saturierten Luxemburgern rüber ...
Guy Rewenig: Wichtig ist am Ende die Selbstironie. Diese beiden schneeweißen Männer reden ja eigentlich (selbst-)ironisch über alles. Denn sie gehören ja auch zu diesen saturierten Wohlstandsbürgern in Luxemburg. Das heißt, der Blick ist ironisch verfälscht. Eigentlich ist es auch ein bisschen eine Selbstanklage.
Was ist eigentlich so schlimm daran, dass alte weiße Luxemburger ihr bedingungsloses Hocheinkommen genießen?
Guy Rewenig: Weil es keine Frauen sind zum Beispiel.
Claude D. Conter: Und, weil sie alleine sind. Sehr einsam. Nie kommt irgendjemand vorbei.
Der Hund spielt die Hauptrolle und die beiden Protagonisten drehen sich eigentlich ständig um ihn. Das ist ein richtiger Sauhund. – Ciao Ciao Schesku! Guy Rewenig
Das Ganze wirkt trotzdem nicht sehr ‚woke’ ... Ist diese Pauschalschelte gegen die so genannten alten weißen Männer, ein Trend im Feuilleton, nicht schon Schnee von gestern?
Guy Rewenig: Ja, vielleicht sitzt bei unseren Lesungen wieder so ein woke-Apostel oder eine Sittenpolizistin im Publikum und zählt die Männer und die Frauen auf der Bühne ...
das ist etwas, was im Gespräch danach ausgetauscht werden kann. Es ist kein Bürgerspiegel.
Guy Rewenig: Es ist kein Lehrstück, im besten Fall ein Leerstück, mit zwei ee, aber kein Lehrstück. Es ist eine Form der Selbstvergewisserung, dass die beiden noch leben, und da beziehen sie das Publikum mit ein. Ich hasse es, wenn irgendwo steht, ‚er hat der Gesellschaft wieder den Spiegel vorgehalten’. Ich schaue ja selber in den Spiegel. Der Lehrmeister auf der Bühne – das ist ja so etwas von überholt.
Claude D. Conter: Es findet ja in einem Theater statt, an einem Ort, der deutlich macht, dass es um die Erfahrung von Literatur im Sinne von Kunst geht.
Ihr treibt Eure Unterhaltungen bisweilen ad absurdum. Habt Ihr keine Sorge, dass das Publikum abgehängt werden könnte und gar nichts mehr versteht?
Guy Rewenig: Nee.
Claude D. Conter: Doch.
Welche Reaktionen wünscht Ihr Euch?
Guy Rewenig: Dass es danach einen guten Wein gibt, wünschen wir uns.
Claude D. Conter: Für manche Wein, für die anderen Wasser. Guy Rewenig: Wei(h)nwasser... Claude D. Conter: Wie gesagt: Teilhabe an einer literarischen Erfahrung, eine ästhetische Erfahrung zu machen. Das ist für mich ein Wunsch. Ich habe keine spezifische Erwartung. Ich möchte nur, dass Schesku beglückt ist an dem Abend. Aber das Problem ist, dass Schesku vielleicht gar nicht reingelassen wird ins Theater, weil Theater eigentlich sehr tierfeindlich sind. Darüber wird zu wenig in unserer Gesellschaft gesprochen.
Guy Rewenig: Also, einen Indikator haben wir von dieser Lesung in Mersch. Und da wurde sehr viel gelacht.
Claude D. Conter: Findest Du nicht, dass an den falschen Stellen gelacht wurde?
Wie geht es danach weiter? Werdet Ihr als zwei Comedians durch die Lande ziehen?
Claude D. Conter: Also, wenn der Effekt wäre, dass wir Comedians sind, werden wir nie wieder auftreten.
Guy Rewenig: Ich kann aber verraten, dass Claude ein versteckter Komödiant ist. Die Art und Weise, wie er den Text liest, hat etwas unglaublich Komödiantisches. Im Gegensatz zu dem Ernst, den er an den Tag legen muss als Generaldirektor seiner Prachthalle auf Kirchberg.
Claude D. Conter: Das Schöne daran ist eben, dass es nicht den gängigen Erwartungen entspricht, wie manche Guy Rewenig sehen. Er hat eine sehr ruhige Art und Weise zu lesen. Und die steht womöglich im Gegensatz zum Gesellschaftskritiker oder aufgebrachten Rebellen.
Guy Rewenig: Ja, meine Faulheit nimmt auch zu. Ich habe keine Lust mehr, so rumzubrüllen. Man muss seine Stimme ja auch schonen als alter weißer Mann.
Meine Faulheit nimmt auch zu. Ich habe keine Lust mehr, so rumzubrüllen. Man muss seine Stimme ja auch schonen als alter weißer Mann. Guy Rewenig
Noch eine letzte wichtige Botschaft?
Claude D. Conter: Eigentlich dreht sich alles um diesen Sauhund ... Wir planen auch noch einen Auftritt im Tierheim vor Schäferhunden und Langhaardackeln.
Guy Rewenig: Es kommt allerdings darauf an, was für eine Farbe die haben.
„Schnéiwäiss Männer“. De Guy Rewenig an de Claude D. Conter liesen. Text: Guy Rewenig. Mit: Guy Rewenig und Claude D. Conter. Am 1. Oktober um 20 Uhr und am 2. Oktober um 17 Uhr im Théâtre National du Luxembourg.