Ein Polizist mit Schattenseiten
Charakterfragen rücken bei Prozess um tödlichen Einsatz in den Fokus
Während am ersten Prozesstag um den tödlichen Schuss des damaligen Polizisten M. auf einen Widerstand leistenden Autofahrer 2018 in Bonneweg die Ungewissheiten beim Tatablauf und die Schnelligkeit der Ereignisse im Mittelpunkt standen, drehte sich gestern alles um den Charakter des Angeklagten.
Zwei Psychiater und zwei Psychologen sind mit dem Dossier betraut. Und zumindest die beiden Mediziner befassten sich extensiv mit den Schattenseiten im Leben des beschuldigten Polizisten, der bei dem Vorfall als gerade mal 22Jähriger knapp ein Jahr im Polizeidienst war. Allerdings hinterlie- Am 11. April 2018 erschießt ein Polizist in Bonneweg einen flüchtenden ßen deren Aussagen häufig einen Autofahrer. Beigeschmack, als könne es für die besprochenen Aspekte auch andere Erklärungen geben. Die beiden Psychologen – so der Eindruck – nuancierten denn auch in der Folge so manches zuvor Gesagte.
Diese Interpretationsdivergenzen zielen vorrangig auf eine dem Angeklagten zugeschriebene Emotionsund Empathielosigkeit ab. Und: Der überaus intelligente junge Mann sei exzessiv misstrauisch, fühle sich in einer feindlichen Welt, was ihn in einem Beruf, zu dem das Tragen einer Waffe gehöre, potenziell gefährlich mache, so ein Psychiater. Seine Nichtantwort auf bestimmte Fragen sei ein psychiatrisches Symptom für sich. Eine Einschätzung, die der Verteidiger von M. zurückwies: Die Haltung des Mandanten sei nachvollziehbar. Er rate seinen Klienten, stets achtsam zu sein, bei dem, was sie gegenüber Gutachtern äußern, da alles im Ermittlungsdossier lande und später gegen sie verwendet werden könne.
Grausame Fotos
Länger befasst wurde sich auch mit den Aussagen der Polizeikollegen von M., die sich zu dessen Charakter und Auftreten im Dienst ausgesprochen kritisch geäußert haben müssen. Das wird im weiteren Prozessverlauf noch im Detail thematisiert. Mehr als bemerkenswert erscheint dabei eine Aussage von M. während der Ermittlungen: „Putain, wéini kréien ech meng Waff zeréck, well soss kann ech jo kee méi bläien“. Ob das aber ein sarkastischer Ausdruck seiner Frustration war, eine Folge von Depressionen, oder auf tatsächliche
Gleichgültigkeit und Häme gegenüber dem Opfer zurückzuführen ist, ließen die Gutachter offen.
Auf die „Dark Side“des Angeklagten, wie einer der Psychiater sie nannte, wird heute Nachmittag der leitende IGP-Ermittler im Detail eingehen. Hierbei handelt es sich um Fotos von Todesopfern aus aller Welt, die M. nach dem tödlichen Vorfall aus dem Internet auf seinen Dienstcomputer heruntergeladen hatte.
Während die Psychiater eine Perversion des Beschuldigten ins Gespräch brachten, schloss einer der Psychologen nicht aus, dass es sich dabei um eine Art und Weise handeln könne, mit den tödlichen Schüssen umzugehen. Dem widerspreche jedoch, dass M. sich nicht zu den Fotos habe äußern wollen.
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