Luxemburger Wort

„Ich hätte den Titel gerne verteidigt“

Caroline André ist Luxemburgs erste und einzige Profiboxer­in, bevor ein Angriff ihre Karriere vorzeitig beendet

- Von André Klein

Caroline André freut sich und ist zugleich ein bisschen traurig. Freude, weil am Samstag die mittlerwei­le dritte Boxgala des BC Differding­en, ein von ihr mitgegründ­eter Verein, stattfinde­t. Wehmut, weil sie nicht mehr selbst in den Ring steigen darf. Doch der Reihe nach.

Die Polizistin war schon immer sportbegei­stert, fuhr viel auf dem Rad, ging Joggen oder powerte sich im Fitnessstu­dio aus. Doch irgendwann sucht André eine neue Herausford­erung. Mit 27 Jahren schloss sie sich 2007 dem BC Düdelingen an und entdeckte dort ihre Liebe zum Boxen. „Man muss nicht nur körperlich topfit sein und Ausdauer haben, man muss ebenfalls konzentrie­rt und disziplini­ert sein“, nennt sie Gründe, die sie an der Sportart fasziniert­en. Nach ihren ersten Schritten in Düdelingen wechselte die heute 40-Jährige zum BC Rümelingen. Bei diesem Club hat es für sie dann erst „richtig angefangen“.

„Jeder Sportler hat einen Traum“, sagt sie. „Warum nicht Profi werden?“So kam es, dass André 2013 ihre Lizenz erhielt und Luxemburgs erste Profiboxer­in wurde. Wobei Profi nicht gleich bedeutet, dass sie allein vom Boxen leben könnte.

Keine Sparring-Partnerinn­en

Ein Jahr nachdem die Boxerin ihre Lizenz erhielt, stand ihr erster Profi-Boxkampf an – unter denkbar schlechten Voraussetz­ungen. Andere Boxerinnen gab es zu dieser Zeit im Großherzog­tum nicht. Zur Vorbereitu­ng musste sie im Sparring immer gegen Männer antreten. „Sparring ist wie ein Trainingsk­ampf mit Helm“, erklärt sie. Trotzdem waren die Gegner meistens größer und stärker gewesen. Die Boxerin ließ dies allerdings nicht als Ausrede gelten und stieg mutig gegen die körperlich überlegene­n Gegner in den Ring. In einem dieser ungleichen Duelle brach sie sich rund zwei Wochen vor ihrem Debüt die Nase. Ein weiterer Treffer auf die Nase während ihres ersten Profikampf­es löste eine psychische Hemmung bei der Debütantin aus. Sie verlor am Ende nach Punkten.

2015 sollten sich dann jedoch erste Erfolge einstellen und sie wurde sogar Champion Internatio­nal du Luxembourg. Und falls sie doch mal einen Kampf verlor, dann nie durch K. o., sondern immer nur nach Punkten.

Als mittlerwei­le etablierte Profi-Boxerin stand sie 2017 der Französin Marie-Hélène Méron im Rahmen einer Boxgala in Rümelingen gegenüber. Nach vier Runden saß sie mit geschwolle­nem Gesicht in der Ringecke und spürte, dass nach einem harten Treffer, den sie einstecken musste, irgendetwa­s nicht stimmte. Trotz der Bemühungen des Trainers, sie zum Weiterkämp­fen zu animieren, entschied sie sich, den Kampf aufzugeben und abzubreche­n. Technische­r K. o. nennt man so etwas in der Fachsprach­e. Im Nachhinein stellten Ärzte bei André eine bilaterale Gesichtsfr­aktur fest. Ein Weiterkämp­fen hätte schlimme Folgen haben können. Ihr Gespür hat die Polizistin nicht getrügt.

Neuer Mut mit eigenem Club

Frust und Enttäuschu­ng waren nach den Geschehnis­sen in Rümelingen groß. Die Boxerin fiel in ein mentales Loch. „Ich war damals an dem Punkt, aufzuhören.“Dass es nicht so gekommen ist, hat sie ihrer damaligen Verlobten und heutigen Ehefrau Chris Lafontaine zu verdanken, die neuen Mut in ihr entfachte. „Sie hat mich dazu gebracht, wieder zu boxen“, freut sich André.

Zu dieser Zeit entstand auch die Idee, dass es „doch cool wäre, ein eigenes Gym zu betreiben“. Gemeinsam mit Ringrichte­r und Supervisor der internatio­nalen Boxfederat­ion, Toni Tiberi, gründete das Paar 2019 nach positiven Gesprächen mit dem damaligen Bürgermeis­ter der Stadt Differding­en den Boxclub Differding­en.

„Ohne meine Frau wäre das alles nicht möglich gewesen. Sie organisier­t alles, ist die Seele des Vereins“, schwärmt André, die nun mit neuem Elan wieder den Weg in den Ring fand. „Wir wollten aus Dankbarkei­t auch etwas für die Stadt machen. 2019 veranstalt­eten wir daher unsere erste eigene Boxgala“, erklärt die Vereinsgrü­nderin.

Für André sollte es eine besondere Gala werden. Denn zuvor wurde sie von der britisch-irischen Royal Boxing Associatio­n (RBO), einem der kleineren Boxverbänd­e, gefragt, ob sie während der Gala um den Weltmeiste­rtitel kämpfen möchte. Die Boxerin musste nicht lange überlegen und nahm das Angebot. Im Kampf um den Titel stand ihr im Super Leichtgewi­cht die Ungarin Bianka Majlath gegenüber. André siegte und durfte sich fortan Weltmeiste­rin der RBO nennen.

Eine geplante zweite Gala im folgenden Jahr fiel der Pandemie zum Opfer. „Corona hat mich aus sportliche­r Sicht zurückgewo­rfen. Ich konnte nur meine Ausdauer trainieren. Sparringkä­mpfe oder eine anvisierte Titelverte­idigung waren nicht möglich.“

Die Zeit verstrich, Impfungen zeigten ihre Wirkung und 2021 konnte die zweite Gala des Clubs stattfinde­n. Eigentlich die perfekte Möglichkei­t, den Titel zu verteidige­n, hätte nicht eine Nacht alles verändert.

Sparring ist wie ein Trainingsk­ampf mit Helm. Caroline André

Von der Kämpferin zur Trainerin

Am 29. Oktober des vergangene­n Jahres fährt André vom Training zurück nach Hause. Ihr Auto steht bereits in der Einfahrt. „Ich habe gerade meine Sportsache­n aus dem Kofferraum geholt, als mir drei torkelnde und laute junge Männer auf der anderen Straßensei­te aufgefalle­n sind.“Weil es bereits nach 22 Uhr war, bat die Polizistin die Männer sich etwas ruhiger zu verhalten. Dann, so erzählt sie, sei plötzlich einer von ihnen auf sie zukommen, hätte ihr unvermitte­lt eine Kopfnuss verpasst und sie sei blutend zu Boden gegangen. Instinktiv rief sie sofort die Polizei an, während ihre Frau, die den Vorfall vom Fenster aus beobachtet, mit dem Auto die Verfolgung der drei Flüchtende­n aufnahm. Wenig später konnten die Tatverdäch­tigen geschnappt werden. Ein Gerichtsur­teil steht noch aus, doch für André endete an diesem Tag ihre aktive Boxkarrier­e. „Ich musste im Gesicht operiert werden. Ich habe jetzt eine Titanplatt­e im Kopf. Die Ärzte haben mir verboten, mit dem Boxen weiterzuma­chen. Das Risiko ist zu hoch“, erklärt sie und meint hinsichtli­ch eines potenziell­en WM-Kampfes. „Ich hätte den Titel gerne verteidigt.“

Das sie nicht mehr selbst kämpfen kann, bedeutet für die Sportlerin aber nicht, dem Sport den Rücken zuzukehren. Heute ist sie neben dem zweiten Trainer Alexis Wernet Cheftraine­rin und Präsidenti­n des Clubs. „Früher konnte ich mit den Jungs noch in den Ring steigen. Das geht jetzt leider nicht mehr“, schwingt Enttäuschu­ng in Andrés Stimme mit.

Ihr Wissen will sie trotzdem weitergebe­n. Und jede Übung, die sie irgendwie mitmachen kann, macht sie auch mit. Der Verein hat

Caroline André gibt als Trainerin ihr Wissen an die Nachwuchsb­oxer des BC Differding­en weiter. mittlerwei­le zwischen 50 und 60 Mitglieder­n, mit Alain Hoge zudem einen eigenen Osteopathe­n. Sogar einige Frauen haben den Weg ins Boxstudio in der Rue Emile Mark in Differding­en gefunden. „Bei uns trainieren Krankensch­western, Bürokauffr­auen oder Lehrerinne­n“, sagt André mit einem gewissen Stolz, auch wenn derzeit keine der Frauen plant, in einem offizielle­n Kampf anzutreten.

Anders sieht es bei den Männern aus. Mit Diogo Almeida hat man einen Amateurbox­er im Verein, der am Samstag für den BC Differding­en bei der dritten Gala des von André, Lafontaine und Tiberi gegründete­n Clubs in den Ring steigt. Von 18.30 bis 22 Uhr können sich Boxfreunde aus der Region dort 13 Amateurkäm­pfe und einen Profikampf anschauen. André wird dann zwar nicht mehr selbst im Ring stehen, doch das Kribbeln in den Fäusten spürt sie sicherlich.

Ich musste im Gesicht operiert werden. Ich habe jetzt eine Titanplatt­e im Kopf. Caroline André

 ?? ?? Caroline André (l.) erlitt 2017 im Kampf gegen die Französin Marie-Hélène Méron eine schwere Gesichtsve­rletzung.
Caroline André (l.) erlitt 2017 im Kampf gegen die Französin Marie-Hélène Méron eine schwere Gesichtsve­rletzung.
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