Luxemburger Wort

Rote Welle

Frankreich­s Profifußba­ll diskutiert über eine Flut an Platzverwe­isen

- Von Peter Hacker

Manchmal ist es einfach Ungeschick­lichkeit. Zu beobachten etwa bei dem für Nice spielenden Verteidige­r Jean-Clair Todibo, der seinen Gegenspiel­er Abdallah Dipo Sima ungestüm „von den Beinen holte“, wie die Fußballer sagen. Da Sima nach Ansicht von Schiedsric­hter Bastien Dechepy freie Bahn aufs gegnerisch­e Tor gehabt hätte, zeigte dieser Todibo die Rote Karte – nach nur neun Sekunden Spielzeit.

Dieser Platzverwe­is in der Partie zwischen Nice und Angers war nicht nur einer der schnellste­n, die je im modernen Fußball verhängt wurden, sondern auch Teil einer roten Welle, die derzeit durch die Stadien der Ligue 1 schwappt. Ganze 34 Mal hielten die Unparteiis­chen während der ersten acht Spieltage den roten Karton in die Luft. Der dritte Spieltag mit seinen elf Roten und Gelb-Roten Karten bedeutet sogar einen neuen Rekord, seitdem derartige Statistike­n in Frankreich geführt werden. Sind die Spieler im Hexagon einfach undiszipli­nierter als anderswo oder haben die Schiedsric­hter zu wenig Fingerspit­zengefühl? Eine Spurensuch­e in aufgeheizt­er Atmosphäre.

Die rote Flut sorgt nämlich nicht nur für mehr Platz auf dem Rasen, sondern auch für erregte Gemüter. „Ich weiß, dass in diesem Jahr die kleinen Clubs absteigen müssen, doch es reicht langsam!“, schimpfte Jean-Pierre Caillot, der Präsident von Reims, das mit fünf Roten Karten den unrühmlich­en letzten Platz der Fairness-Tabelle einnimmt. Womit er die Schiedsric­hter ziemlich unverblümt verdächtig­te, bei der Verkleiner­ung der Ligue 1 von 20 auf 18 Vereine, die in dieser Saison greift, dafür zu sorgen, dass es auch ja die „Richtigen“erwische.

Tatsächlic­h blieb etwa Serienmeis­ter Paris SG, das finanziell­e Zugpferd der Liga, bislang von harten Sanktionen verschont. Dass Verteidige­r Presnel Kimpembe, bereits mit Gelb vorbelaste­t, das Spiel gegen Brest trotz eines gefährlich­en Tacklings und einer verbalen Auseinande­rsetzung mit dem Schiedsric­hter – „Fass mich nicht an, Bruder!“– beenden durfte, ist selbst bei nachsichti­ger Regelausle­gung nur schwer nachvollzi­ehbar. Allerdings zeigt ein Blick auf die Statistik, dass auch Mannschaft­en wie Monaco oder Nice, die beileibe nicht zu den „Kleinen“der Liga gehören, mit je drei Roten Karten hart bestraft wurden.

Lannoy: „Keine größere Strenge“Was den Blick auf die Schiedsric­hter lenkt. Traditione­ll nutzen sie die Sommerpaus­e, um sich mit eventuelle­n Regeländer­ungen vertraut zu machen und die Instruktio­nen ihrer Obmänner entgegenzu­nehmen. Haben die Männer und Frauen in Schwarz also Anweisung erhalten, in dieser Saison härter durchzugre­ifen? Stéphane Lannoy, stellvertr­etender Technische­r Direktor für das Schiedsric­hterwesen beim Fußballver­band FFF, winkt ab: „Es gibt keine größere Strenge. Nur die gleiche

Forderung, den Fußball zu schützen“, betonte er gegenüber der Nachrichte­nagentur AFP. Allerdings räumte er ein, dass die Schiedsric­hter gegen Beschwerde­n der Spieler – die berühmte Rudelbildu­ng – härter durchgreif­en sollten. Zu spüren bekam dies etwa Romain Salin: Der Torhüter in Diensten von Rennes kritisiert­e die Entscheidu­ngen der Unparteiis­chen im Spiel gegen Ajaccio derart heftig, dass er mit einer GelbRoten Karte in die Kabine geschickt wurde. Duschen musste der 38-Jährige dort allerdings nicht unbedingt – er hatte das Spiel auf der Ersatzbank zugebracht.

Das alles könnte man unter der Kategorie „französisc­he FußballFol­klore“einordnen, wären da nicht die internatio­nalen Wettbewerb­e. Denn in anderen europäisch­en Ligen leuchtet die rote Farbe

deutlich seltener. Wie die Tageszeitu­ng „Le Figaro“vorrechnet­e, stellen die 34 bislang in der Ligue 1 verhängten Platzverwe­ise beinahe das Neunfache der englischen Premier League (vier Rote Karten), das Dreifache der deutschen Bundesliga (zwölf) und mehr als das Doppelte der italienisc­hen Serie A (15) dar. Selbst die als durchaus hart bekannte spanische La Liga kann mit 21 Roten und Gelb-Roten Karten nicht mit dem nördlichen Nachbarn mithalten.

Emotionen verboten

Gut möglich, dass sich die französisc­hen Teams, die im Europapoka­l antreten, in Zukunft bewusst auf eine andere Regelausle­gung vorbereite­n müssen. Zumal die französisc­hen Schiedsric­hter zuweilen über das Ziel hinauszusc­hießen scheinen.

So holte sich besagter Verteidige­r Todibo aus Nice im Duell mit Clermont eine zweite Gelbe Karte ab, da er aus Verärgerun­g den Ball weggeschla­gen hatte. „Das Problem ist leider, dass wir jetzt keine Emotionen mehr auf dem Platz zeigen dürfen“, beklagte sich der 22-Jährige hinterher. Manchmal ist es einfach Übereifer der Schiedsric­hter.

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Die Schiedsric­hter in der Ligue 1 zeigen die Rote Karte deutlich öfter als in anderen Ländern.
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Fotos: Getty Images Jean-Clair Todibo (Nice) fliegt gegen Angers schon nach neun Sekunden vom Platz.

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