PS-Monster mit Straßenzulassung
Der KTM X-BOW GT-XR setzt interessante Akzente im Kreis der Supersportwagen
Nicht, dass man es dem Motorrad-Hersteller KTM nicht zugetraut hätte, aber der neue X-BOW ist in gewisser Weise eine Überraschung. Doch Blättern wir zunächst in den Geschichtsbüchern ein paar Seiten zurück: Am Anfang war die Überlegung, wie man das Motorradfahren sicherer machen könnte. Eine Möglichkeit lautete zweispurig zu werden. Das erste Auto der Marke wurde 2007 vorgestellt, im Jahr darauf starteten die ersten Auslieferungen. Seit 2017 war man auch im Motorsport erfolgreich aktiv, zuletzt mit dem X-BOW GTX/GT2.
Dieses Wettbewerbsfahrzeug wurde nun fit für die Straße gemacht und dabei keinesfalls weichgewaschen. In anderen Worten: Alle Teile sind mit dem Rennwagen eins zu eins austauschbar. Die Straßenversion verzichtet lediglich auf den Überrollbügel und das sequenzielle Renngetriebe, bietet im Gegenzug ein fein angerichtetes Cockpit mit einem gesunden Minimum an Komfort-Features (wie zum Beispiel Klimaanlage und Smartphone-Anbindung). Einen Kofferraum gibt es auch, der fasst ordentliche 160 Liter.
In Sachen PS-Zahl steigerte man sich im Vergleich zum Ur-X-BOW von 2007 drastisch. 500 PS sind bei einem offiziellen Leergewicht von 1 250 Kilo eine Ansage, ebenso die Optik: nach vorne öffnende Haube wie bei einem Kampfflugzeug, Kohlefaser wohin das Auge reicht.
Das Biest erwacht zum Leben
Der Weg ins Cockpit ist kein leichter, denn es gilt in das Monocoque zu klettern. Hat man das geschafft, wird die Pedalbox justiert (die Kohlefaser-Sitze sind direkt mit dem Chassis verschraubt). Dann anschnallen: Vierpunktgurt. Zuerst rund um das Becken festziehen, dann die Schultern. Es kann losgehen. Mittiger Startknopf, das Biest erwacht zum Leben.
Erster Eindruck: Hier vibriert es wie in einem Rennwagen, die Lautstärke hält sich hingegen in Grenzen. Die Kanzel schließt elektrisch, es kann losgehen. Großserien-Technik und Doppelkupplungsgetriebe sei Dank, die Gänge werden sanft eingelegt, die Wechsel
erfolgen geschmeidig. Der Blick in die Außenspiegel fällt jedoch ins Leere, denn diese gibt es nicht. Stattdessen ist ein Kamerasystem verbaut.
Rein in die manuelle Schaltgasse, zwei Gänge runter und Druck! Die Turbos verdichten, die fünf Zylinder explodieren – bis in den roten Bereich, dann wird geschaltet, daraufhin der Vorgang wiederholt. Der von Audi zugekaufte Zweieinhalbliter-Motor hat leichtes Spiel mit den 1 250 Kilogramm, der GT-XR ist ein flottes Auto. Nicht so brachial wie die meist stärkere Konkurrenz, aber: mehr als ausreichend.
Kompromisslos und präzise
Doch darum geht es gar nicht so sehr bei einem Rennwagen – zum schnell Geradeausfahren kann man auch Limousinen oder SUVs kaufen. Hier geht es um die KurvenPerformance. Also, erstes Einlenken: kompromisslos, brachial, präzise. Attribute eines Rennwagens eben, der legal für die Straße gemacht wurde. Noch ärger sind die Bremsen: Hat man sich an den extrem hohen Pedaldruck erstmal gewöhnt, verzögern die Eisen so nachdrücklich, dass man spätestens jetzt um den Benefit von Vierpunktgurten Bescheid weiß.
Auf der Straße fühlt sich der XBOW brutal an, ohne unkomfortabel zu wirken. Längere Fahrten sind durchaus drin, zumindest die Anreise zur Rennstrecke ist problemlos machbar. Dort gehört er nämlich hin, der GT-XR, hier findet er sein natürliches Habitat. Dank niedrigem Gewicht, einer Achsverteilung von 44/56 sowie einem Rennsportfahrwerk wird der Ritt am Ring zum Genuss. Dazu passt auch der Umstand, dass aus Luxemburger Sicht der nächstliegende Händler am Nürburgring zu Hause ist.
Kaufinteressenten gibt es zur Genüge. Um den Anforderungen gerecht zu werden, hat KTM ordentlich in die Produktionsanlage in Graz investiert. Lediglich 100 Fahrzeuge pro Jahr werden dort in Handarbeit von Spezialisten gebaut. Wer jetzt bestellt, bekommt sein Auto frühestens 2024.
Bis dahin bleibt genügend Zeit, sich mit den Individualisierungsmöglichkeiten zu beschäftigen, die bei Supercar-Kunden hoch im Kurs stehen. Der GT-XR bietet hier das volle Programm: Neben den drei Standard-Farben Orange, Grau und Weiß stehen über 100 000 FarbOptionen zur Auswahl.
Zudem gibt es die Möglichkeit, das Fahrzeug lediglich mit Klarlack zu überziehen, was einen permanenten Blick auf die KarbonHaut ermöglicht. Außerdem kann man auch „gefärbtes Karbon“bestellen. Weitere Fahrzeug-Details wie Nähte, Sitzpolster oder auch die Fahrwerksfedern sowie die Bremssättel werden auf Wunsch ebenfalls individuell lackiert.
Dagegen überschaubar: Die hauseigenen Felgen können nur in fünf Farben geordert werden. Eine 20/21-Zoll Schmiederad-Kombination mit Zentralverschluss aus dem GT2-Rennwagen ist demnächst verfügbar, ebenso eine noch sportlichere Gummi-Mischung, eine Keramik-Bremsanlage sowie ein LiftSystem für die Vorderachse.
Preislich rangiert der GT-XR in einem eigenen Segment. Elitäre Supercars mit Kohlefaser-Außenhaut findet man eigentlich nördlich der halben Million – sie bieten im Gegenzug jedoch auch mehr Prestige sowie mehr Zylinder. Schon eher vergleichbar sind die Rennstrecken-Varianten von Porsche oder Lamborghini. Diese sind jedoch im Vergleich trotz aller Hightech-Features fast schon konventionelle Autos: Von einem abnehmbaren Renn-Lenkrad, einer Kampfflieger-Haube oder Schubstangenaufhängung wie im Formel-1-Auto können sie nur träumen. Von einer exklusiven Stückzahl ganz zu schweigen.