Räume frei machen
Fabienne Hollwege spricht über ihr neues Buch
Mit „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“veröffentlicht die Schauspielerin, Sängerin und Schriftstellerin Fabienne Hollwege ein multimediales Werk, das sich in feministischer Perspektive mit dem Frau- und dem Elternsein befasst. Es geht unter anderem um Schwangerschaften und Geburten, sowie um Gleichberechtigung. Neben Kurzgeschichten, essayistischen Texten und Gedichten, liegt dem Buch auch eine CD mit dem Titel „Dazwischen Frei“bei. Das Gesamtprojekt vereint Collagen, Illustrationen, Videoclips und (Song-)Texte.
Fabienne Hollwege, seit wann schlummert dieses Projekt in Ihnen?
Ich würde mal ganz grob sagen, dass die ersten Songs und Gedichte, die sich jetzt im Buch befinden, vor ca. 15 Jahren entstanden sind. Also, eigentlich habe ich ja schon immer geschrieben. Neben meinem Schauspielengagement in Stuttgart habe ich angefangen, Literaturwissenschaften zu studieren. In Berlin habe ich dann eine Lektorin kennengelernt, der ich meine bereits verfassten Kurzgeschichten gegeben habe. Daraufhin
meinte sie: „Okay, die Kurzgeschichten hängen so aneinander, willst du nicht ein Roman schreiben?“So kamen wir ein wenig in Austausch. Dann kam allerdings meine erste Tochter zur Welt, weswegen ich überhaupt nicht mehr an diesem Projekt weiter gearbeitet habe.
Haben Sie das Schreiben zu dem Zeitpunkt ganz aufgegeben?
Nein, auf keinen Fall. Ich habe nie gar nicht geschrieben. Vielmehr habe ich nach der Geburt meiner ersten Tochter ganz viel aus der Not heraus, keinen Widerhall zu finden, geschrieben. In meiner Umgebung und dem, was ich gelesen habe, habe ich mich als Mensch und Mutter kaum wiedergefunden. Also auf jeden Fall nicht, mit meinen Nöten und meinem Alltag. Es gab so viele Hürden zu bewältigen, bei denen ich mir dachte, dass ich damit sicherlich nicht alleine bin. So stellte sich mir dann die Frage, wieso nicht darüber geschrieben und gesprochen wird, ohne, diese Thematiken zu banalisieren.
Wie sind Sie diese Themen denn angegangen, außer, dass Sie selbst auch damit konfrontiert waren und sind?
Ich war unter anderem sehr viel im Austausch mit anderen Frauen, mit jungen Müttern über das Thema „Elternsein“. Und ab dem Zeitpunkt wurde das fragmenthafte künstlerische Arbeiten konkreter. So sind immer wieder Teile von Collagen, Zeichnungen, Gedichten und Texte entstanden.
Das heißt, Sie arbeiten schon recht lange an dem Projekt. Hatten Sie denn nie daran gedacht, bereits viel früher ein ähnliches Werk zu veröffentlichen?
Natürlich wollte ich schon damals diese Idee aufnehmen und meine Songs und Gedichte irgendwie an die Öffentlichkeit bringen ... Aber keine Zeit und kein Geld. Und meine Arbeit, mit der ich eigentlich mein Geld verdiene, ist nun mal auch das Theater, also die Schauspielerei. Zeitmangel war mit einer der Gründe, wieso meine Texte stets in den Schubladen verschwunden sind. Tatsächlich weiter gearbeitet an dem Roman habe ich, als ich mit meiner zweiten Tochter schwanger war. Ich musste nämlich zwei Monate liegen. Das heißt, ich war gezwungen, konnte also nichts machen außer schreiben. Und das war ja super. Aber, als sie dann da war, ist das Schreiben natürlich wieder in den Hintergrund geraten.
Und wie ist nun daraus das multimediale „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“entstanden?
Vor einigen Jahren kam mir die Idee, wie schön es doch wäre, wenn man geschriebene Texte via QR-Code als Hörgeschichte weiterführen könnte und zusätzlich Videos einbauen würde – alles in einem Buch. Als meine Familie und ich dann nach Luxemburg gezogen sind, standen wieder ganz andere Themen auf der Tagesordnung. So hat sich mit den Jahren dann alles Stück für Stück zusammengefügt. Davor wurde eben auch eine meiner luxemburgischen Kurzgeschichten veröffentlicht und auch ein paar Gedichte. In Gesprächen mit anderen Autorinnen und Autoren ist die Idee immer weiter gewachsen, wobei ich zunächst nur eine CD mit Songtexten – ein Booklet – veröffentlichen wollte. Entstanden ist letztlich jedoch ein buntes Sammelsurium an Songs, Gedichten, Texten, Collagen, Fotos und Zeichnungen, die ich in den letzten Jahren entworfen habe.
Die Zeichnungen und Collagen sind also auch von Ihnen. Wie stehen diese denn im Verhältnis zum Text? Wie hängen die unterschiedlichen Medien zusammen?
Diese Interdisziplinarität unter den Kunstgattungen ist auch miteinander verknüpft. Manchmal ist es eine Zeichnung oder ein Foto, das zu einem Gedicht, inspiriert, manchmal ist es andersherum. Es gibt Gedichte im Buch, bei denen ich dachte: „Ja, da fehlt mir jetzt noch was. Deswegen die Collagen, Zeichnungen und Fotos“. Die Collagen sind sehr viel auf die Texte und die Songs entstanden. Eigentlich ist es auch schräg, wie diese Dinge zusammenhängen. Teilweise habe ich sogar mit sehr alten
Fotos gearbeitet, um die Collagen zu vervollständigen.
Wollen Sie mit Ihrem Buch dann auch eine Art Enttabuisierung bestimmter Themen bezwecken?
Ich glaube, mir ist es einfach wichtig, dass unsichtbaren Räumen Raum gegeben wird, also das, was unsichtbar ist, sichtbar zu machen. Ja, dass Räume geöffnet werden dürfen, von denen ich denke, warum soll der Alltag und all das, was uns so sehr als
Mensch betrifft – sei es Mann oder Frau – nicht in der Kunst, in der Wissenschaft, in all dem widerhallen? Man merkt aber bereits, dass solche Themen immer mehr in der Öffentlichkeit wahr
In meiner Umgebung und dem, was ich gelesen habe, habe ich mich kaum wiedergefunden.
Räume dürfen nebeneinander, miteinander existieren, aber sie müssen eben auch benannt werden, sie müssen wahrgenommen und angesprochen werden. Natürlich ist das Ganze auch ein Politikum, weil man einfach sieht, dass alles, was mit diesen Räumen zusammenhängt, so ausgesondert wird, das existiert gar nicht. Eine schwangere Frau ist etwa besser geschützt als eine Frau, die ein Baby bekommt. Das ist einfach Fakt. Und es wird immer gemacht, als würde man danach wieder der Mensch sein, der man vorher war – als Arbeitskraft jetzt gesehen. Und diese 40-Stunden-Arbeitswoche,
Solange die Politik da keinen Schritt macht, können wir Gleichberechtigung in der Familie nicht leben.
von der wir immer ausgehen, die ist halt gemacht für einen Mann, der ein „Heimchen“am Herd hat. Oder es wird alles ausgesondert auf Care-Arbeitskräfte, die finanziert werden. Solange die Politik keinen Schritt macht, glaube ich, können wir Gleichberechtigung in der Familie nicht leben. Teilzeit muss akzeptiert, muss gefördert werden. Und Care-Arbeit muss finanziert werden.
Im Endeffekt liegt eine gleichberechtigte Arbeitsverteilung in Bezug auf Familie also in der Hand der Politik. Ein Umdenken in der Gesellschaft reicht also nicht?
Es ist ein Zusammenspiel. In Berlin sieht man beispielsweise, wie viele Väter sich tatsächlich trauen, Teilzeit zu machen. Anders würden wir als Familie in Luxemburg auch gar nicht leben können, wenn mein Mann nicht immer ständig auch Teilzeit gemacht hätte. Wir gehen da wirklich Hand in Hand, auch wenn wir teilweise dafür belächelt wurden. Wobei ich mir denke, dass es doch gar nicht anders geht. Und anders wollen wir „Familie“auch gar nicht leben. Aber das muss natürlich jede Familie für sich selbst entscheiden können.