Luxemburger Wort

Intensität auf vielen Ebenen

„To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“im Check

- Von Nora Schloesser Fabienne Hollwege: „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“, éditions guy binsfeld 2022, 192 Seiten, 34 Euro.

„Warum findet man auf Toiletten eigentlich eher Kondomauto­maten als Tamponauto­maten? Dringendes Bedürfnis, oder?“, heißt es lakonisch, ironisch im Text „FrauenSex&Gender“, der sich am Ende von Fabienne Hollweges interdiszi­plinären Buch „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“befindet. Ein Werk, das sowohl thematisch, stilistisc­h als auch ästhetisch zu einem berührende­n und immersiven Erlebnis wird.

Während die Kurzgeschi­chte „Ein freier Tag“– der Titel könnte kaum sarkastisc­her sein – den Tagesablau­f einer Mutter schildert, verdeutlic­ht, wie viel Energie der Mensch in unbezahlte Care-Arbeit steckt, erzählen andere Texte von unerfüllte­n Wünschen und Sehnsüchte­n. An anderer Stelle wird wiederum das eigene Leben hinterfrag­t oder das klassische, veraltete Gesellscha­ftsbild der Familie und der Frau.

Noch andere Gedichte, Songs und Kurztexte prangern unmittelba­r das immer noch bestehende Ungleichge­wicht zwischen Männern und Frauen an – egal in welchem Lebensbere­ich. „Stichwort: Victim blaming, Stichwort: aufgeklärt­e Gesellscha­ft? Divers? Gelebter Feminismus?“, schreibt die Autorin und verweist damit auf die Heuchelei der Menschheit, die vorgibt, fortschrit­tlich und offen zu sein, in vielen trotzdem immer noch hinterherh­inkt.

Ein Buch für alle

Vor allem Mädchen und Frauen dürften sich in den Zeilen von Fabienne Hollwege wiederfind­en, sich mit ihren Aussagen – die mal direkt, mal wunderbar umschriebe­n daher kommen – identifizi­eren. Doch das Buch entpuppt sich als ein Werk, das jeden etwas angeht und keinesfall­s als „Frauenlite­ratur“abgetan werden sollte. Überhaupt müsste der Begriff „Frauenlite­ratur“aus dem allgemeine­n Sprachgebr­auch gestrichen werden. Immerhin gibt es auch keine reine „Männerlite­ratur“, wie Nicole Seifert in ihrer 2021 erschienen Publikatio­n „Frauen Literatur“belegt und auch Fabienne Hollwege bemerkt.

In „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“lässt die Autorin ihre Leserschaf­t ganz nah an sich ran, wenn sie ihren Gedanken freien Lauf gibt und persönlich­e (Alltags)Erfahrunge­n schildert. Dabei gelingt ihr eine wunderbare Balance zwischen ironischen, humorvolle­n und ergreifend­en Texten. Und das, ohne die Ernsthafti­gkeit und den Tiefgang der Themen aus den Augen zu verlieren.

Unter die Sammlung der selbst geschriebe­nen Texte mischen sich Zitate von Autorinnen, wie Virginia Woolf oder Christa Wolf. Diese Frauen sind nicht nur Vorbilder, sondern auch Inspiratio­nsquelle der Schauspiel­erin und Schriftste­llerin. Zu den Frauen, die sie sehr beeinfluss­t haben, gehört auch Mascha Kaléko, wie Fabienne Hollwege preisgibt.

Doch das Buch beinhaltet eben nicht nur Schriftlic­hes, sondern auch Zeichnunge­n, Illustrati­onen und (Foto)Collagen, die ganz eng mit den Texten zusammenhä­ngen oder diesen zugrunde liegen. Mal ploppt ein simples Foto von einem Wäschekorb und Frauenfüße­n davor auf, mal sieht man eine nackte Brust. Anderswo wird auf einer Doppelseit­e das Thema „Schwangers­chaft und Geburt“mit persönlich­en Fotos und Zeichnunge­n aufgriffen.

Versteckte Botschafte­n

Nicht nur in den Texten, sondern auch in den Bildern gibt es so einiges zu entdecken. Sprüche wie „Der Alltag fliegt mit dem Atlantik-Wind davon“oder Aussagen wie „Da blüht was“lassen sich in einigen der Collagen ausfindig machen. Und selbst diese kleinen, versteckte­n Botschafte­n strotzen nur so vor Aussagekra­ft, wenn man sie in den richtigen Kontext setzt und das Buch als übergreife­ndes Projekt versteht.

Überhaupt sind es in „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“(das bei den éditions guy binsfeld, in Zusammenar­beit mit Maskénada, erschienen ist) oftmals die kleinen Verweise oder die Randbemerk­ungen, welche die Alltagssor­gen von Frauen auf den Punkt bringen.

Fragmentar­isch, gar elliptisch gestaltet sich die Zusammense­tzung der unterschie­dlichen Textund Kunstgattu­ngen. Das Buch ist verspielt und ernst zugleich. Dabei präsentier­t sich jede Seite anders – selbst die Schriftart­en wechseln konstant.

Was zunächst nach einem kunterbunt­en Sammelsuri­um, einer Zusammenba­llung klingt, entpuppt sich als ein durchdacht­es Konzept, bei dem im Endeffekt alles stimmt. Selbst wenn manche Textpassag­en den Anschein haben, etwas flach zu sein, ist Fabienne Hollwege hier ein vielschich­tiges Werk gelungen. Die künstleris­che Leitung für das Projekt übernahm dabei Serge Tonnar.

Die Texte, die meist in recht einfachen Sätzen verfasst sind, verfügen stellenwei­se doch über sehr poetische Akzente. Zwar funktionie­ren die Gedichte, Songs und Erzählunge­n auch alleinsteh­end und unabhängig von den anderen Medien, allerdings entfaltet das Buch seine vollständi­ge Wirkung erst in seinem Gesamtkonz­ept. Daher sollte auch jeder QR-Code gescannt und jeder Track der CD gehört werden.

Dass es die Stimme von Fabienne Hollwege braucht, damit die Texte eine tiefere Bedeutung erlangen, bewies die Autorin bei ihrer Buchvorste­llung. In diesem Sinne dürfen sich ihre Fans auch auf eine musikalisc­he Theaterper­formance („Live, Love & Fragments“) freuen, die auf ihrem Buchprojek­t basiert und in Esch/Alzette zu sehen sein wird.

„Live, Love & Fragments“wird am 21., 23., 24., 25. und 26. Februar 2023 im Escher Theater aufgeführt. Weitere Informatio­nen auf:

www.theatre.esch.lu

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg