Luxemburger Wort

Etwas Nabelschau zum 80. Geburtstag

Die Krimiautor­in Donna Leon erzählt ihre eigene Vita in „Ein Leben in Geschichte­n“

- Von Peter Mohr

Es gibt literarisc­he Figuren, die bekannter sind als ihre Schöpfer. Das gilt für Georges Simenons Kommissar Maigret, für Agatha Christies Miss Marple und ganz sicher auch für Donna Leons Romanprota­gonisten Guido Brunetti. Im Frühjahr ist der 31. Roman mit dem eigenbrötl­erischen Kriminalko­mmissar aus Venedig seit 1992 erschienen, und viele von ihnen standen (auch dank der Verfilmung­en) lange auf den Bestseller­listen.

Pünktlich zum 80. Geburtstag von Donna Leon am 28. September hat der Diogenes Verlag den Band „Ein Leben in Geschichte­n“vorgelegt. Und im jüngsten Brunetti-Fall „Milde Gaben“erleben wir, wie Venedig ganz allmählich wieder aus dem Lockdown erwacht und welche Folgen die Pandemie für die Lagunensta­dt hatte. Die Touristen sind ausgeblieb­en, viele Geschäfte haben die Krise nicht überlebt.

So langsam wie das Leben wieder erwacht, so gemächlich beginnt auch der Roman. Erst nach etlichen Seiten taucht die nicht mehr ganz junge, aber höchst attraktive Elisabetta Foscarini in der Questura auf. Die einstige Jugendfreu­ndin Brunettis macht sich Sorgen um ihre Tochter, deren Ehemann offene Drohungen ausgesproc­hen hat. „Ich fürchte, er tut etwas Schlechtes“, mutmaßt Elisabetta und bringt damit die Handlung in Schwung.

„Er ist ein interessan­ter Mann. Er ist intellektu­ell und auch emotional interessan­t. Aber er ist ein

Donna Leon: „Ein Leben in Geschichte­n“. Aus dem Amerikanis­chen von Werner Schmitz und Christa Seibicke. Diogenes Verlag, Zürich 2022, 191 Seiten, 22 Euro. ganz normaler Mann. Ich nehme an, es gibt viele Männer wie Brunetti, die intelligen­t und sensibel sind, die ihre Familie lieben und das Bedürfnis haben, ihren Job gut zu machen“, befindet Donna Leon über ihre Hauptfigur.

Brunetti ist aber nicht nur der Kommissar, der darunter leidet, das Böse nicht aus der Welt schaffen zu können; Brunetti ist stets auch der Familienva­ter und Ehemann. Seine Frau Paola, die aus eine der ältesten Familie Venedigs stammt, arbeitet als Professori­n für englische Literatur (ähnlich wie Donna Leon selbst) und wirkt bisweilen mit ihrem aufbrausen­den Temperamen­t und ihrer leidenscha­ftlichen Diskussion­swut wie ein leibhaftig­es Relikt der 68er Bewegung.

Ihre heranwachs­enden Kinder Raffaele und Chiara stehen oft hilflos zwischen den elterliche­n „Fronten“. Das Nebeneinan­der von Kriminalfä­llen und der Einblick in Brunettis Familienle­ben – das ganze eingebette­t in das malerische Flair Venedigs: Dieses Erfolgskon­zept von Donna Leon scheint sich zu einem Dauerbrenn­er zu entwickeln.

Opernliebh­aberin Donna Leon

Donna Leon, die vor 80 Jahren in Montclair im US-Bundesstaa­t New Jersey geboren wurde, arbeitete nach dem Studium als Reiseführe­rin, Werbetexte­rin und Dozentin für Englisch und englische Literatur, ehe sich seit den frühen 1990er Jahren ganz der Literatur widmete. In ihrer Freizeit reist die Opernliebh­aberin quer durch Europa und verpasst kaum eine Händel-Inszenieru­ng.

In ihrem frühen Roman „Aqua Alta“rahmte eine Händel-Arie ein Treffen Brunettis mit einem mysteriöse­n Mann in einem riesigen Palast ein. In Venedig, wo Donna Leon lange lebte (heute hat sie ihren Erstwohnsi­tz in der Schweiz), gibt es mittlerwei­le Stadtpläne, auf denen die Handlungss­chauplätze ihrer Romane extra ausgewiese­n sind.

„Weil Venedig so außergewöh­nlich schön ist, glauben die Menschen wahrschein­lich unbewusst, dass diese Stadt in jeder Hinsicht etwas Besonderes sein müsse“, erklärte Donna Leon ihren Kritikern, die ihr ein undifferen­ziertes und stark überzeichn­etes Italienbil­d vorwerfen. Korruption und Vetternwir­tschaft sind in fast allen Romanen tragende Handlungss­äulen. Als Kontrast dazu preist Donna Leon in Handlungsn­ebensträng­en auch immer wieder das dolce vita, die italienisc­he Küche, die exzellente­n Weine und den etwas lockereren Lebensstil. Dennoch hat es die Autorin bisher untersagt, dass italienisc­he Übersetzun­gen ihrer Werke erscheinen.

Donna Leon versteht es geradezu meisterlic­h, ihre Leser auf äußerst spannende Weise zu unterhalte­n und viele (falsche) Fährten zu legen. Die Welt ist auch nach dem jüngsten Roman „Milde Gaben“noch nicht gerettet, das Böse noch nicht endgültig besiegt. Guido Brunetti wird weiter arbeiten müssen, und die Leser dürfen sich schon auf seinen nächsten Fall freuen.

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Foto: Diogenes Verlag Donna Leon ist 80 geworden und versteht es wie eh und je, ihre Leser auf äußerst spannende Weise zu unterhalte­n.
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