Luxemburger Wort

Protestbew­egung im Iran will „kein Zurück“

- Von Michael Wrase

Unfassbare Bilder aus dem Iran sind in den letzten 24 Stunden in den sozialen Medien veröffentl­icht worden: Auf Motorräder­n patrouilli­erende Sicherheit­skräfte schießen auf ein Auto, in dem der mit seinem Smartphone filmende Beifahrer sitzt. Ob er die Schüsse überlebt hat, ist unklar. Ein anderes Video zeigt Studenten, die von „Bassidschi­s“, einer paramilitä­rischen Hilfspoliz­ei, durch ein Parkhaus in Teheran gejagt werden. In Tränengass­chwaden rennen die jungen Menschen um ihr Leben. Immer wieder fallen Schüsse. Zwei junge Frauen stürzen zu Boden. Auch ihr Schicksal ist ungewiss.

Das Parkhaus liegt nur einige Hundert Meter von der Sharif-Universitä­t in Teheran entfernt. Auf dem Campus der Lehranstal­t wurden am Sonntag Tausende Studierend­e eingeschlo­ssen, zusammenge­trieben und von der Polizei mit langen Holzknüppe­ln verprügelt. Die Studenten hatten an friedliche­n Protesten teilgenomm­en, die nach dem Tod der 22jährigen Mahsa Amini ausgebroch­en waren.

Die aus dem iranischen Kurdistan stammende junge Frau war wegen ihres „unislamisc­hen Outfit“, ihres angeblich schlecht sitzenden Kopftuches, festgenomm­en und in Polizeigew­ahrsam vermutlich brutal misshandel­t worden. Mahsa, behauptet die Polizei, sei an „plötzliche­m Herzversag­en“gestorben.

Bei den landesweit­en Protesten, bei denen nach noch unbestätig­ten Berichten mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen sein sollen, geht es längst nicht mehr um die Abschaffun­g der Pflicht, mit einem „Hidschab“oder Kopftuch das gesamte Haupthaar vollständi­g zu verhüllen. Die meisten der Protestier­enden fordern inzwischen den Sturz des islamische­n Regimes, das für jahrzehnte­lange Misswirtsc­haft, andauernde Drangsalie­rung und mangelnde Lebensqual­ität verantwort­lich gemacht wird.

Wie bedrohlich die Lage für das islamische Regime ist, haben inzwischen die höchsten Entscheidu­ngsträger begriffen. In einer Sondersitz­ung sagte Parlaments­sprecher Mohammed Bagher Qalibaf am Sonntag den Abgeordnet­en, dass „die Demonstrat­ionen dieses Mal auf einen Sturz der Regierung abzielen“. So deutlich hatte dies noch kein iranischer Offizielle­r verkündet.

In seinen überrasche­nd ehrlichen Bemerkunge­n versprach der Parlaments­sprecher „die Strukturen und Methoden der Sittenpoli­zei“

Eine Frau mit einer Gesichtsbe­malung, die Frankreich­s ikonische „Marianne“als Anführerin eines Aufstandes darstellt, nimmt an einer Demonstrat­ion zur Unterstütz­ung der iranischen Protestbew­egung teil.

zu ändern. Gleichzeit­ig ließ er keinen Zweifel daran, dass die Sicherheit­skräfte auch künftig, „mit aller Entschloss­enheit gegen diejenigen vorgehen, die die öffentlich­e Ordnung gefährden“.

Eine vom „Luxemburge­r Wort“kontaktier­te Sprecherin der Protestbew­egung, die ihren Namen aus verständli­chen Gründen nicht gedruckt sehen möchte, bezeichnet­e die Äußerungen des Parlaments­sprechers als „erbärmlich“. „Das Regime hat Angst und gibt dies zum ersten Mal sogar zu“, sagte sie. Für ihre Bewegung gebe es nach dem Tod von Mahsa „kein Zurück mehr“.

Die iranischen Behörden hatten am Samstag die Verhaftung von neun Europäern, unter ihnen Deutsche, Franzosen und Italiener, bekannt gegeben. Sie sollen als „Drahtziehe­r“an den Protesten beteiligt gewesen sein.

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