„Keine Orte für Menschen mit Klaustrophobie“
Der Untergrund der Hauptstadt beginnt im Dernier Sol, direkt hinter dem Restaurant Lisboa II. Dort steht in einem kleinen Garten ein rundes Metallgebäude. Hier versteckt sich das Tor zu einem anderen Luxemburg. Das Bauwerk ermöglicht den Zugang zu einem der 22 unterirdischen Wasserrückhaltebecken der Hauptstadt.
Der Mann, der diese Infrastruktur unterhält, heißt Tony Alves. „Die meisten Einwohner der Hauptstadt haben keine Ahnung, dass unter ihren Füßen 660 Kilometer Wasserkanäle verlaufen“, sagt er. „Die Untergründe in Luxemburg sind riesig. Es ist eine unsichtbare Welt, in der viel passiert.“
660 Kilometer Wasserkanäle
Diese Wasserbecken sind beeindruckende Bauwerke, moderne Höhlen, die 3 000 Kubikmeter Wasser fassen. Sie gehören zu den jüngsten unterirdischen Bauwerken der Hauptstadt, deren Untergrund wie ein Schweizer Käse durchlöchert ist.
Die Stadt ist auf Sandstein gebaut. Für den Bau von Tunneln und Stollen gibt es keine besseren geologischen Bedingungen. Jahrhundertelang haben die Luxemburger gegraben. Nur wenige kennen den Untergrund der Hauptstadt so gut, wie der Historiker Robert Philippart. Er ist verantwortlich für die Erhaltung der Kasematten. Es gäbe jedoch weitere, weniger bekannte und auch ältere unterirdische Bauwerke.
Unterirdische Gräber
Philippart führt das Beispiel der Krypten und Grabmäler an. „Bis ins 19. Jahrhundert war die religiöse Vorstellung verbreitet, dass wir von der Erde kommen und zur Erde zurückkehren“, erklärt er. Damals wurden die Gebeine ganzer Familien in unterirdischen Gräbern aufbewahrt, erst später traten oberirdische Gräber an ihre Stelle.
„Der Untergrund ist ein Symbol für das Gefühl des Schutzes. Ein Ort, an dem man sich geborgen fühlt“, sagt der Historiker. Unter der evangelischen Kirche in der Altstadt befindet sich eine Krypta, in der sich die Schädel der Gründungsschwestern eines längst vergangenen Klosters befinden. Dann es gibt noch eine weitere Krypta, die unter der heutigen Cité judiciaire liegt. „Andererseits ist der Untergrund auch ein Ort, in dem man Beweise eines Verbrechens verschwinden lassen oder Schätze verstecken kann.“
In 65 Meter Tiefe
Von verborgenen Schätzen ist im Aquatunnel keine Spur, er wurde in den 1960er-Jahren gebaut. Der Korridor erstreckt sich über eine Strecke von 960 Metern, in einer vier Meter hohen und ebenso breiten Röhre. Gleich am Eingang befindet sich die Inschrift: „de gëllene Mëttelwee“. Passender wäre: „Der Weg darunter“, denn diese Struktur verläuft genau unter der Oberstadt, in einer Tiefe von 65 Metern. Entlang der Strecke stehen Schilder mit den Namen der Straßen, die darüber verlaufen: Côte d'Eich, Rue Beaumont, Rue des Bains, Boulevard Royal, Grand-Rue, Place d'Armes.
„Es handelt sich um einen Wasserkanal, über den die Abwässer der Stadt abgeleitet werden“, erklärt der Historiker Jean-André Stammet. Geplant war jedoch mehr: „Wir befanden uns auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges und die Idee war, diesen als Bunker zu nutzen“, sagt er. „Aber zum Glück wurde der Tunnel nie dafür gebraucht.“
Ein Tunnel für das Wasser
Direkt neben dem Aquatunnel verläuft ein weiterer Tunnel. Dieser wurde im Jahr 1870 erbaut und hatte einen anderen Zweck: Frischwasser aus den Theiwesbuer-Quellen in die Innenstadt leiten. Die Oberstadt hatte bis dahin keinen direkten Zugang zu Wasser. Wassermänner brachten das knappe Nass aus dem Pfaffenthal oder dem Grund in die Oberstadt. „Ein Eimer Wasser kostete zwei Cent“, erzählt der Historiker.
Bis in die 1950er-Jahre gab es auch keine Kühl- oder Gefrierschränke, sodass das Eis unterirdisch gelagert werden musste. „Im Winter wurden große Eisblöcke aus gefrorenen Flüssen und Teichen herausgesägt und in die Eiskeller gebracht“, erklärt der Historiker. „Natürlich schmolzen sie mit der Zeit, aber für die Sommermonate reichte es aus“, sagt er.
Unterirdisches Eis hielt das Bier frisch
Jean-André Stammet schlängelt sich entlang eines zugewachsenen Pfades im Pfaffenthal. Er muss sich durch Dornen kämpfen, um zum Eingang zu gelangen. „Das waren früher die Eishöhlen der Brasserie Funck-Nouveau“, verkündet er inmitten der feuchten, dunklen Galerien. Heute existiert die Brauerei nicht mehr. Was bleibt, sind die Eishöhlen.
Andere Zeit, anderer Ort: Im Jahr 1986 stieg eine Gruppe Höhlenforscher in ein Loch im
Der Lebensraum der luxemburgischen Kasematten ist so eigenartig, dass sich in diesen Tunneln eine endemische Spinnenart entwickelt hat.
Wir befanden uns auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges und die Idee war, den Aquatunnel als Bunker zu nutzen. Jean-André Stammet, Historiker