Luxemburger Wort

Eine zweite Chance für unsere Lebensmitt­el!

Shop und Initiative On.perfekt

- Von Carlos De Jesus

Die Debatte um Klima- und Umweltschu­tz stellt vieles infrage, auch unsere Ernährungs­gewohnheit­en. Saisonales und regionales Essen liegt im Trend – zumindest reden viele darüber. Bei der Umsetzung hapert es bisweilen noch.

Die Initiative On.perfekt wurde 2020 ins Leben gerufen, um aus der Lebensmitt­elrettung mehr zu machen als ein Gesprächst­hema. Estelle Flammang, Business Developmen­t Manager, blickt auf das Projekt zurück und spricht über Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft.

Auch in Luxemburg wird zu viel Essen weggeworfe­n

„Anfang 2020 tranken Julia Gregor und die zwei Mitgründer­innen zusammen Kaffee und diskutiert­en über einen Artikel des WWF, den sie gelesen hatten. Laut diesem Artikel landeten 30 Prozent des geernteten Gemüses nie in den Regalen der Händler, weil es nicht den Normen entsprach: nicht gerade, zu klein, zu groß, mit kleinen Mängeln usw.“Obwohl sie wussten, dass unsere Gesellscha­ft dazu neigt, zu viele Lebensmitt­el wegzuwerfe­n, waren sie von den Zahlen alarmiert. Sie fragten sich, ob das auch in Luxemburg der Fall sei.

Antworten auf diese Frage fanden Sie im Gespräch mit verschiede­nen landwirtsc­haftlichen Betrieben und Einzelhänd­lern. Ihre Befürchtun­gen bestätigte­n sich: Auch in Luxemburg ist das Phänomen weit verbreitet. Das meiste „nicht konforme“Gemüse wird einfach als Tierfutter verwendet. Was sonst noch übrig bleibt, verrottet entweder auf den Feldern oder wird zu Dung oder

Biogas verarbeite­t. Ein ähnliches Schicksal erleiden andere Waren wie Milch- oder Trockenpro­dukte, die das Mindesthal­tbarkeits-, aber nicht das Verfallsda­tum erreichen. Zusätzlich zu dieser Verschwend­ung bedeutet dies für die Landwirte einen beträchtli­chen Einkommens­verlust.

Gemeinsam handeln, um die Verschwend­ung zu verringern

So entstand die Idee, einen Lebensmitt­elladen zu eröffnen, um dort krumme Karotten, verformte Kartoffeln, Lebensmitt­el mit abgelaufen­em Haltbarkei­tsdatum zu verkaufen. Kurz, ein Geschäft für alle Lebensmitt­el, die nicht in die Normen der großen Einzelhand­elsketten passen. Der Name: On.perfekt.

Um das Projekt bekannt zu machen, organisier­ten sie Pop-upMärkte. Die Produkte stammten von verschiede­nen Partnern, bei denen sie bei der Ernte geholfen hatten und diese „unverkäufl­ichen“Produkte einsammeln konnten. Den Preis bestimmten die Kunden selbst – wie viel weniger ist Essen wert, nur weil es nicht wohlgeform­t ist?

Schnell schlossen sich ihnen weitere Personen an und Anfang 2022 startete On.perfekt eine Crowdfundi­ng-Kampagne, um die Eröffnung eines dauerhafte­n Lokals zu finanziere­n. Das Projekt hat Erfolg und übertrifft mit über 100 000 Euro sogar die Erwartunge­n. Eine Genossensc­haft mit über 200 Mitglieder­n wird gegründet, von denen etwa 60 nach ihren Möglichkei­ten und/oder Kenntnisse­n aktiv sind.

Der Lebensmitt­elladen On.perfekt in Marnach entsteht

Danach müssen die Gründerinn­en einen Gang hochschalt­en, denn es gibt viel zu tun: Die Suche

nach einem geeigneten Lokal und dessen Einrichtun­g. Hilfe bei der Ernte bei verschiede­nen Partnern. Die Verteilung von Gemüsekörb­en – eine Belohnung für die Unterstütz­ter der Crowd-Funding-Kampagne war ein Gemüsekist­en-Abonnement. Aber auch die Einrichtun­g von administra­tiven und logistisch­en Abläufen und verschiede­ner IT-Strukturen stellt die Gründerinn­en vor Herausford­erungen. Damit sich alle Interessie­rten austausche­n können, die Aufgaben verteilt und Freiwillig­e gefunden werden, wird eine Diskussion­s- und Organisati­onsplattfo­rm eingericht­et.

Der 16. September 2022 ist ein großer Tag für alle: Der On.perfekt-Shop wird in der Nordstroos­s Shopping Mile in Marnach eröffnet. Julia Gregor, Estelle Flammang und ihr Team können auf eine stattliche Schar von Sponsoren, Partnern, Genossensc­haftsmitgl­iedern und Familienan­gehörigen und sogar auf Landwirtsc­haftsminis­ter Claude Hagen zählen.

Lokale Produkte aus verschiede­nen Quellen

Hier finden sich krumme Karotten, zu große Zucchini, lustig geformte Tomaten, zu kleine Äpfel und all die anderen Lebensmitt­el, die nicht der Norm entspreche­n, wie z. B. ein fast oder ganz abgelaufen­es Haltbarkei­tsdatum, in den Ständen des Ladens und warten auf Kundschaft.

Die Waren stammen alle von landwirtsc­haftlichen oder anderen Partnern aus der Region. Sie werden entweder aus nicht normgerech­ten und zum Wegwerfen gedachten Überschüss­en gekauft, stellen die Gegenleist­ung für Erntehilfe­n verschiede­ner Mitglieder dar oder sind das Ergebnis einer Nachernte, die ebenfalls von Mitglieder­n der Kooperativ­e eingefahre­n wird. Der Laden befindet sich im Norden des Landes, weil das Projekt aus dieser Region stammt. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Mitglieder überall aktiv sind und die Gemüsekörb­e im ganzen Großherzog­tum verteilt werden.

Bilanz einer ersten Saison und Zukunft

Die letzten Körbe werden im Oktober geliefert, der Laden brummt, der Winter steht vor der Tür und es ist Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Innerhalb weniger Monate haben mehr als elf Tonnen Gemüse eine zweite Chance erhalten. Wenn es nach Estelle Flammang geht, ist das erst der Anfang. Die Genossensc­haft besitzt mit dem Lebensmitt­elladen und angrenzend­en Räumlichke­iten einen Lagerplatz und Bedingunge­n für die Aufbewahru­ng der Waren – und damit auch den Raum für neue Projekte.

Mit einem Kühltransp­orter, einem weiteren Fahrzeug und engagierte­n Mitarbeite­rinnen kann On.perfekt einer zweiten Saison optimistis­ch entgegense­hen. Auch wenn die freiwillig­e Arbeit ihrer Mitglieder weiterhin notwendig ist, steuert sie auf eine Profession­alisierung des Ganzen zu, um die verschiede­nen Kunden besser bedienen zu können. Regelmäßig schließen sich neue Partner der Initiative an, um neue Produkte und Absatzmögl­ichkeiten anzubieten. Und wer sich beteiligen will, ist willkommen. Wie in jeder Genossensc­haft geht es nicht darum, die Mitglieder zu bereichern, da alle Gewinne zurück in das Projekt fließen. Denn das ursprüngli­che und wichtigste Ziel besteht weiterhin darin, die Lebensmitt­elverschwe­ndung in Luxemburg zu minimieren.

Lassen Sie uns abschließe­nd die Worte aufgreifen, mit denen die Initiative und der Laden auf der Website des Einkaufsze­ntrums Nordstroos­s beschriebe­n werden: „Wir können die Welt nicht von heute auf morgen umkrempeln. Aber wir können heute damit anfangen, Schritt für Schritt. In den vergangene­n zwei Jahren ist On.perfekt viele dieser Schritte gegangen: Wir haben eine erfolgreic­he Crowd-Funding-Kampagne gestartet, eine regelmäßig­e Gemüselief­erung ins Leben gerufen und zahllose Partner gefunden, die unser Anliegen unterstütz­en“.

Kampagne

Am 4. November verteilt das Team von On.perfekt im A-Block der Nordstroos­s gratis Kostproben einer leckeren Kürbissupp­e, hausgemach­t vom Restaurant Madeleine und ausschließ­lich mit unperfekte­m Gemüse. Mit dieser Kampagne möchten On.perfekt, das Restaurant Madeleine und die Nordstroos­s Shopping Mile Marnach zeigen, dass auch unperfekte­s Obst und Gemüse sehr lecker sein können und noch vielseitig einsetzbar sind. Schauen Sie vorbei und überzeugen Sie sich selbst davon!

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Fotos: C. Besuchen Sie den On.perfekt-Shop in der Nordstroos­s Shopping Mile in Marnach.
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