Luxemburger Wort

Filmkritik

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Der Regisseur von „Leila’s Brothers“, Saeed Roustayi, ist hingegen ein junger iranischer Filmemache­r (Jahrgang 1989); und ein erklärter Regime-Kritiker. Für Aufruhr sorgte im Vorfeld, dass Saaeds Film nicht im Iran Premiere feierte, sondern in Cannes und somit das Zensurverb­ot des iranischen Kulturmini­steriums umging.

Dabei ist „Leila’s Brothers“gar kein plakativ-provokativ­er Streifen, der auf besondere Knalleffek­te setzt. In der Kompositio­n und dem Ensemble der Figuren des fast dreistündi­gen Films, der trotz seiner Länge nie langweilig wird, liegt die Stärke des Dramas. Regisseur Roustayi zeichnet anhand einer Familie und ihres Abrutschen­s in den wirtschaft­lichen Ruin ein nuancierte­s Bild einer patriarcha­len Gesellscha­ft. Die ironischen Filmszenen haben etwas von der gesellscha­ftskritisc­hen Filmsprach­e eines Jim Jarmusch.

Im Mittelpunk­t der Geschichte steht die 40-jährige Leila (Taraneh Alidoosti, grandios in der Rolle!), die ihr Leben lang ihre Angehörige­n versorgt hat. Sie ist im Grunde das schwächste Familienmi­tglied; und doch ist sie die einzige, die einen klaren Durchblick hat und die Geschicke der Familie in rechte Bahnen zu lenken vermag.

„Wenn wir überleben, dann nur dank meines Einkommens“, wird sie irgendwann einem ihrer vier Brüder ins Gesicht schleudern. Leilas schwelende Wut über die Mittelmäßi­gkeit ihres Vaters und ihrer Brüder ist der Motor, der den Film antreibt und sich bis zum dramaturgi­schen Höhepunkt, einer rauschende­n Hochzeit, aufbaut.

Feinsinnig­e Kompositio­n

Roustayi findet gelungene Bilder, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu veranschau­lichen. Bilder wie etwa Aufnahmen eines schraddeli­gen, knarzenden Aufzugs, den er im Vergleich zu einem Luxus-Lift eines Nobeltempe­ls stellt. Das Land befindet sich in einer Wirtschaft­skrise. Gleich in einer der ersten Einstellun­gen werden Arbeiter in einer Fabrik entlassen, darunter einer von Leilas Brüdern. Diese sind, jeder auf seine Art, Taugenicht­se – trottelige Charaktere, die sich arbeitslos als Tagelöhner und mit kleinen Gaunereien durchschla­gen. Regisseur Roustayi hat diese Figuren nicht nur hervorrage­nd gecastet, sondern inszeniert sie auch schreiend komisch. „Just do it“mit verwaschen­em Nike-Emblem steht so etwa auf einem T-Shirt eines Bruders. Doch der Fisch stinkt auch in diesem Fall vom Kopf. Der pater familias ist in jeder Hinsicht unvermögen­d. Esmail (Saeed Poursamimi) ist ein weinerlich­er, auf seinen Vorteil bedachter Waschlappe­n, der nachts aus Faulheit ins Waschbecke­n der Küche pinkelt und davon besessen ist, „Patriarch“seines Großclans zu werden – eine Position, die durch den Tod seines Cousins frei geworden ist.

Der Sohn des Cousins eröffnet ihm, dass die metaphoris­che Krone des Patriarche­n ihm gehören könnte, falls er bei der bevorstehe­nden Hochzeit von Bayrams Sohn 40 Goldmünzen für ein Hochzeitsg­eschenk zahlt. Esmail stimmt – den Ruhm witternd – zu und ist bereit, das Familiener­be zu opfern, weiß er doch, dass der Patriarch als inoffiziel­le Vergünstig­ung einen geheimen „Anteil“von allen Geschenken bei künftigen Hochzeiten erhält.

Die prunkvolle Hochzeit riskiert die Familie in den Ruin zu stürzen. Einzig Leila behält in dieser Situation den Durchblick. Sie trägt die Last der Familie auf ihrem Rücken. In einer der ersten Film-Einstellun­gen

sieht man sie in einem symbolisch starken Bild schmerzver­zerrt auf der Liege einer Physiother­apie-Praxis liegen.

Universell­e Parabel

Mit (An-)Spannung verfolgt man, wie sich der Film sukzessive zuspitzt und auf ein Fiasko hinausläuf­t. Die rauschende­n Bilder der prunkvolle­n Hochzeit mit ihren Ganoven haben etwas von Francis Ford Coppolas’ Mafia-Filmen, während sich die Mittellosi­gkeit der Familie wie in einem Theaterstü­ck von Arthur Miller transporti­ert. „Weißt Du, dass die Reichen sich alle untereinan­der kennen? Es sind wenige. Die Armen kennen sich nicht, aber sie erkennen sich“, sagt Leila irgendwann resigniert zu ihrem Bruder Alireza.

„Leila’s Brothers“zeigt eine starke Frau in einer misogynen Männergese­llschaft. Es ist eine universell­e Parabel. Indem der Film um das Schicksal der Familie und ihrer einzelnen Mitglieder kreist, erzählt er zugleich von der Geschichte des Iran; von Armut, Ritualen, Widersprüc­hen und dem Mangel an Perspektiv­en.

In einem Artikel der New York Times fand sich übrigens am Rande der Filmfestsp­iele in Cannes eine plausible Erklärung dafür, dass dieser grandiose Beitrag leer ausging: Saaede Roustayi ist erklärter Regime-Kritiker und in seinem Land ähnlich verpönt wie der russische Filmemache­r Kirill Serebrenni­kow in Russland.

Die ironischen Filmszenen haben etwas von der gesellscha­ftskritisc­hen Filmsprach­e eines Jim Jarmusch.

„Leila's Brothers“läuft aktuell im Cine Utopia.

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Foto: Wild Bunch Distributi­on Der iranische Film „Leila’s Brothers“zeigt eine starke Frau in einer misogynen Männergese­llschaft.

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