Luxemburger Wort

Jeder soll über seinen eigenen Körper bestimmen dürfen

Der Autor plädiert für Gesetze, die das Recht auf Abtreibung, die freie Entscheidu­ng über den eigenen Körper und die sexuelle Freiheit schützen

- Von Christophe Hansen *

Am 24. Juni dieses Jahres wurde in den USA die Roe-vs.-Wade-Entscheidu­ng, eine Grundsatze­ntscheidun­g zum Abtreibung­srecht, die der Oberste Gerichtsho­f der Vereinigte­n Staaten am 22. Januar 1973 fällte, aufgehoben. Diese Entscheidu­ng sorgte über die Grenzen der Vereinigte­n Staaten hinaus für viel Empörung und entfachte auch im Europäisch­en Parlament eine Debatte zum verfassung­srechtlich garantiert­en Recht auf Abtreibung.

Denn nicht nur in den US sehen wir verstärkt, wie die Rechte von Mädchen, Frauen und queeren Menschen immer mehr eingeschrä­nkt werden. Innerhalb der EU hat insbesonde­re Polen extreme Rückschläg­e erlebt, als der polnische Verfassung­sgerichtsh­of im Oktober 2020 ein nahezu vollständi­ges Abtreibung­sverbot verhängte, das sowohl die Gesundheit, als auch das Leben von Frauen gefährdet. Oft folgen weitere Einschneid­ungen der Rechte von Frauen und queeren Menschen. So werden in dem osteuropäi­schen Land derzeit auch die Rechte LGBTQIA+-Menschen durch sogenannte LGBT-freie-Zonen eingeschrä­nkt.

Die Gewinner solcher Entscheidu­ngen sind sogenannte Pro-LifeOrgani­sationen, welche auch schon uneingelad­en an meine Brüsseler Tür geklopft haben, um Zuwachs zu erlangen und die Politik und Politikeri­nnen immer mehr zu beeinfluss­en. Ein Beispiel ist die unter ihrem religiösen Deckmäntel­chen agierende rechtsextr­eme und interkonti­nentale Bewegung „Agenda Europe“, die laut ihres Manifests „Restoring the Natural Order“gegen Homosexual­ität, Abtreibung und Gleichstel­lung kämpft. Und wie wir am Beispiel von Polen sehen, ist die Bewegung erfolgreic­h. Denn oft haben Pro-Life-Bewegungen eine sehr große Wählerscha­ft, die Politiker und Politikeri­nnen für sich gewinnen wollen. Als Folge werden Frauen- und LGBTQIA+Rechte für politische Machtspiel­e missbrauch­t.

Das sehr sensible Thema Abtreibung darf aber nicht für populistis­che Debatten missbrauch­t werden. Es reicht nicht, dass wir Solidaritä­t mit den betroffene­n Menschen in den USA oder in Polen zeigen. Als vereintes Europa dürfen wir solche Rückschrit­te nicht gutheißen.

Wir müssen aktiv handeln und Gesetze schaffen, die das Recht auf Abtreibung, die freie Entscheidu­ng über den eigenen Körper und die sexuelle Freiheit für immer schützen. Gesetze, die mit einem nationalen Regierungs­wechsel oder einer neuen Majorität im

Europaparl­ament nicht mehr gekippt werden können. So fordern immer mehr Stimmen in der EU, dass das Recht auf Abtreibung in die EU-Grundrecht­scharta aufgenomme­n werden soll. Somit würde jede Person das Recht bekommen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Hierzu zählt auch, dass eine Abtreibung ohne Diskrimini­erung kostenlos zugänglich sein muss. Und dass jedes EULand mit Konsequenz­en rechnen muss, sollte es die Menschenre­chtscharta nicht respektier­en.

Ist es das, was wir wollen?

Gehen wir diesen Weg nicht, müssen wir mit verheerend­en Konsequenz­en, wie Kriminalis­ierung, Diskrimini­erung und Stigmatisi­erung rechnen. Denn Abtreibung­en wird es immer geben. Frauen in Not werden immer einen Weg finden, um eine ungewollte Schwangers­chaft zu beenden. Doch rutschen sie dann in die Kriminalit­ät und riskieren dabei oft genug ihr Leben. Ein unter Strafe gestelltes Abtreibung­sverbot verhindert lediglich, dass Menschen mit einem Uterus eine sichere und saubere Behandlung erhalten. Ist es das, was wir wollen? Nein!

In Luxemburg war jede Form der Abtreibung bis in die 1970erJahr­e hinein gesetzeswi­drig. Über die Jahrzehnte hinweg wurde das Abtreibung­sgesetz immer weiter reformiert. Und seit 2014 hat sich Luxemburg eines der liberalste­n Abtreibung­sgesetze der EU gegeben. Die Selbstbest­immung der Frau hat hier oberste Priorität. Doch auch ein Land wie Luxemburg mit seinen liberalen Rechten darf nicht zusehen, wie die AntiAbtrei­bungsstimm­en, der Anti-Feminismus und die Anti-GenderBewe­gung immer mehr Zuwachs erhalten, denn der Rückschlag betrifft

So fordern immer mehr Stimmen in der EU, dass das Recht auf Abtreibung in die EUGrundrec­htscharta aufgenomme­n werden soll.

uns alle. Es kann nicht sein, dass individuel­le Entscheidu­ngen hinsichtli­ch individuel­ler Gesundheit und den eigenen Körper unter staatliche Kontrolle fallen.

* Der Autor ist Europaabge­ordneter der CSV.

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Foto: Anouk Antony Ohne Angaben von Gründen können Frauen in Luxemburg bis zur zwölften Schwangers­chaftswoch­e abtreiben lassen.

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