Jeder soll über seinen eigenen Körper bestimmen dürfen
Der Autor plädiert für Gesetze, die das Recht auf Abtreibung, die freie Entscheidung über den eigenen Körper und die sexuelle Freiheit schützen
Am 24. Juni dieses Jahres wurde in den USA die Roe-vs.-Wade-Entscheidung, eine Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht, die der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten am 22. Januar 1973 fällte, aufgehoben. Diese Entscheidung sorgte über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus für viel Empörung und entfachte auch im Europäischen Parlament eine Debatte zum verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Abtreibung.
Denn nicht nur in den US sehen wir verstärkt, wie die Rechte von Mädchen, Frauen und queeren Menschen immer mehr eingeschränkt werden. Innerhalb der EU hat insbesondere Polen extreme Rückschläge erlebt, als der polnische Verfassungsgerichtshof im Oktober 2020 ein nahezu vollständiges Abtreibungsverbot verhängte, das sowohl die Gesundheit, als auch das Leben von Frauen gefährdet. Oft folgen weitere Einschneidungen der Rechte von Frauen und queeren Menschen. So werden in dem osteuropäischen Land derzeit auch die Rechte LGBTQIA+-Menschen durch sogenannte LGBT-freie-Zonen eingeschränkt.
Die Gewinner solcher Entscheidungen sind sogenannte Pro-LifeOrganisationen, welche auch schon uneingeladen an meine Brüsseler Tür geklopft haben, um Zuwachs zu erlangen und die Politik und Politikerinnen immer mehr zu beeinflussen. Ein Beispiel ist die unter ihrem religiösen Deckmäntelchen agierende rechtsextreme und interkontinentale Bewegung „Agenda Europe“, die laut ihres Manifests „Restoring the Natural Order“gegen Homosexualität, Abtreibung und Gleichstellung kämpft. Und wie wir am Beispiel von Polen sehen, ist die Bewegung erfolgreich. Denn oft haben Pro-Life-Bewegungen eine sehr große Wählerschaft, die Politiker und Politikerinnen für sich gewinnen wollen. Als Folge werden Frauen- und LGBTQIA+Rechte für politische Machtspiele missbraucht.
Das sehr sensible Thema Abtreibung darf aber nicht für populistische Debatten missbraucht werden. Es reicht nicht, dass wir Solidarität mit den betroffenen Menschen in den USA oder in Polen zeigen. Als vereintes Europa dürfen wir solche Rückschritte nicht gutheißen.
Wir müssen aktiv handeln und Gesetze schaffen, die das Recht auf Abtreibung, die freie Entscheidung über den eigenen Körper und die sexuelle Freiheit für immer schützen. Gesetze, die mit einem nationalen Regierungswechsel oder einer neuen Majorität im
Europaparlament nicht mehr gekippt werden können. So fordern immer mehr Stimmen in der EU, dass das Recht auf Abtreibung in die EU-Grundrechtscharta aufgenommen werden soll. Somit würde jede Person das Recht bekommen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Hierzu zählt auch, dass eine Abtreibung ohne Diskriminierung kostenlos zugänglich sein muss. Und dass jedes EULand mit Konsequenzen rechnen muss, sollte es die Menschenrechtscharta nicht respektieren.
Ist es das, was wir wollen?
Gehen wir diesen Weg nicht, müssen wir mit verheerenden Konsequenzen, wie Kriminalisierung, Diskriminierung und Stigmatisierung rechnen. Denn Abtreibungen wird es immer geben. Frauen in Not werden immer einen Weg finden, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Doch rutschen sie dann in die Kriminalität und riskieren dabei oft genug ihr Leben. Ein unter Strafe gestelltes Abtreibungsverbot verhindert lediglich, dass Menschen mit einem Uterus eine sichere und saubere Behandlung erhalten. Ist es das, was wir wollen? Nein!
In Luxemburg war jede Form der Abtreibung bis in die 1970erJahre hinein gesetzeswidrig. Über die Jahrzehnte hinweg wurde das Abtreibungsgesetz immer weiter reformiert. Und seit 2014 hat sich Luxemburg eines der liberalsten Abtreibungsgesetze der EU gegeben. Die Selbstbestimmung der Frau hat hier oberste Priorität. Doch auch ein Land wie Luxemburg mit seinen liberalen Rechten darf nicht zusehen, wie die AntiAbtreibungsstimmen, der Anti-Feminismus und die Anti-GenderBewegung immer mehr Zuwachs erhalten, denn der Rückschlag betrifft
So fordern immer mehr Stimmen in der EU, dass das Recht auf Abtreibung in die EUGrundrechtscharta aufgenommen werden soll.
uns alle. Es kann nicht sein, dass individuelle Entscheidungen hinsichtlich individueller Gesundheit und den eigenen Körper unter staatliche Kontrolle fallen.
* Der Autor ist Europaabgeordneter der CSV.