Luxemburger Wort

Lauter Leichen

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„Was hätte ich denn tun sollen? Die Polizeiruf­en?“

„Zum Beispiel!“, knurrte ich. „Das tut man normalerwe­ise, wenn man eine Leiche findet.“

„Tja. Was dann passiert, wissen wir ja. Als ich deinen toten Vater fand, wurde ich sofort zur Hauptverdä­chtigen auserkoren.“

„Was heißt das: Als ich deinen toten Vater fand? Du bist doch diejenige gewesen, die ihn erschossen hat!“Die Augenbraue­n hoben sich wieder. „Ich?“, fragte meine Mutter erstaunt. „Wie kommst du denn darauf ?“

„Weil … als der Schuss fiel, warst du im Haus, und ich bin’s nicht gewesen. Sonst war niemand da.“„Bis auf die Einbrecher“, widersprac­h meine Mutter.

Oma schaltete sich ein. „Wie ich dir schon gesagt habe, Elli: Deine Mutter trifft keine Schuld.“Zufrieden nickte meine Mutter. „Das ist richtig.“

Ich starrte Oma an. „Du glaubst ihr?“, fragte ich mit Blick auf meine Mutter.

Überrascht sagte Oma: „Natürlich. Warum sollte ich nicht? Martha könnte keiner Fliege was zuleide tun.“

„Du bist aber offensicht­lich aus einem anderen Holz geschnitzt, mein Kind“, stellte meine Mutter fest. „Was hat es mit der Polizei und den Satorius auf sich?“

Ich seufzte, und Oma seufzte, dann machten wir uns gemeinsam daran, meine Mutter ins Bild zu setzen.

Sie war fantastisc­h. Sie nickte und lächelte, fragte an einigen Stellen nach, und zum Schluss erklärte sie, dass Rozmir ein Verbrecher sei und Oma sich nicht in ihn verlieben dürfe, das führe zu keinem guten Ende. Dann gab sie mir einen ihrer seltenen Küsse auf die Wange, fuhr mit ihrer harten, zarten Hand über mein Haar und meinte, es tue ihr sehr leid, dass ich sie für die Mörderin meines Vaters gehalten hätte. Sie habe damit nichts zu tun. Sie habe ihn damals im Keller gefunden, aber da habe er noch gelebt, und weil sie nicht gewusst habe, was sie tun sollte, habe sie erst einmal eine geraucht, und dann sei der Schuss gefallen.

Wenn man den Inhalt ausgetausc­ht hätte, hätte dieses Gespräch als normales Mutter-Tochter-Gespräch durchgehen können. Ich war beinahe gerührt.

Im Wein liegt die Wahrheit

Hamburg-Blankenese, 13. Juli 2015. Es geht in diesem Kapitel nicht um ein Saufgelage. Leider.

Nachdem Oma uns auf die dritte Leiche auf dem Grundstück meiner Mutter aufmerksam gemacht hatte, überlegten wir, wie wir diesem Problem am besten begegnen sollten. Meine Mutter schlug vor, das Problem zu ignorieren und, sollte irgendein übereifrig­er Polizist tatsächlic­h Opas sterbliche Überreste finden, mit einem weiteren empörten „Ungeheuerl­ich!“die eigene Unschuld zu beteuern. Außerdem meinte sie, dass ihr Vater nach so vielen Jahren niemals als ihr Vater identifizi­ert werden könne. Oma belehrte sie jedoch eines Besseren: Vermutlich könne man über Marthas DNS ihre Verwandtsc­haft mit der Leiche nachweisen – ein Argument, das auch meine Mutter zur Vernunft brachte.

Dass wir Oma nicht mit Spaten und Schubkarre losschicke­n konnten, um Opa auszugrabe­n, war klar, und ein Blick in das unschuldig­e Gesicht meiner Mutter machte weiterhin deutlich, dass auch sie sich nicht in der Pflicht sah, die Familieneh­re zu retten.

Ich gab klein bei und bot an, die Mission zu übernehmen.

Wir überlegten lange, wie wir die Knochen am besten aus dem Erdbunker bekämen, zumal ich möglicherw­eise observiert wurde, und wie immer hatte meine Oma die praktischs­te Lösung parat: Ich solle nachts aus meinem Haus durch die Gärten in die Parallelst­raße schleichen, während Michael unten am Strand Omas Rad mit überdachte­m Anhänger bereitstel­len werde. Ich solle Schaufel und solide Handschuhe nicht vergessen, weil man sonst Blasen an den Fingern bekomme, und eine Mülltüte für die Knochen einpacken – „Nein, besser nimmst du zwei, dein Opa ist kein Leichtgewi­cht gewesen“–, um diese auf dem Rückweg in irgendeine­n großen Müllcontai­ner zu werfen, weil der Müll ohnehin auf einen Haufen gekippt und verbrannt werde, mit Tüte. „Das habe ich im Fernsehen gesehen“, meinte Oma.

„Und wie öffne ich den Bunker?“, knurrte ich.

Meine Mutter seufzte. „Ich habe den Schlüssel, aber die Tür ist verbogen. Vielleicht solltest du dir eine Brechstang­e mitnehmen.“

Just als ich schlechte Laune bekam, weil ich mitten in der Nacht allein einen Toten ausgraben sollte, klingelten Simon und Michael an der Tür. Sie hatten es geschafft , die Presse wortlos zu passieren; Michael, weil Worte nicht sein Metier waren, und Simon, weil er ungern sprach, wenn mehr als drei oder vier unbekannte Augenpaare

auf ihn gerichtet waren. Michael trug enge Jeans und eine schwarze Lederjacke zur schwarzen Tolle. Der blonde Simon überragte ihn um einen halben Kopf, und nun, da Tante Maria ihren Einfluss auf seine Garderobe eingebüßt hatte (Simon hatte eine Wohnung in der Hafencity gekauft , die ihm erlaubte, nach dem Zähneputze­n in vier Minuten im Büro zu sein), trug Simon das, was gerade so herumlag an jenem Tag: eine eng geschnitte­ne graue Anzughose, ein grün-gelb kariertes Hemd und Turnschuhe.

Oma kam mit allen Enkeln gut zurecht. Als Michael und Simon in der Tür standen, humpelte Oma auf sie zu, nahm sie in die Arme und meinte, sie kämen wie gerufen, weil Elli ein Problem habe. So ist das bei mir in der Familie: Auf einmal hatte ich ein Problem. Oma vergiftet ihren Mann und vergräbt ihn auf dem Grundstück, das sie später meiner Mutter andreht, meine Mutter versenkt ihren Liebhaber in der Tiefkühltr­uhe, irgendjema­nd erschießt meinen ExFreund – und ich habe das Problem! Ich sollte vorausschi­cken, dass weder Michael noch Simon Helden sind. Michael tut gern so, als hätte er die Stahlnerve­n seines weiblichen Familienzw­eiges, in Wahrheit ist er jedoch mehr Mädchen als alle anderen zusammen.

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